72. Filmfestspiele Cannes 2019
Cannes On Speed 06: Gut geölte Maschine |
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Sorry We Missed You von Ken Loach | ||
(Foto: NFP/Filmwelt) |
Mit Überraschungen ist bei Ken Loach nicht mehr zu rechnen. Das kann eine gute Nachricht sein, man weiß, was man an ihm hat; es kann aber auch schon im vorhinein langweilen. Genau auf diese Art von Langeweile war ich gefasst, erst recht, als schon aus dem kleinen Filmausschnitt bei der Eröffnungsfeier klar wurde, dass Sorry, We Missed You von einem Familienvater handeln würde, der als Fahrer für Paketdienste arbeitet, und von allen Seiten unter Druck gesetzt und sekkiert wird.
Um so erstaunlicher war dann die formale Meisterschaft dieses Films und seines Regisseurs, die von der ersten Minute an erkennbar ist. Wo andere sich 20 Minuten lang abmühen, um ihre Figuren zu etablieren, da gelingt das Loach in ein, zwei präzisen Szenen oder Dialogsätzen, in wenigen skizzenhaften Éinstellungen. Inhaltlich ist Loachs Kino zwar schmerzhafte Erinnerung an die fiesen Realitäten unseres Lebens, aber auch reine Propaganda im Guten wie Schlechten.
Technisch gesehen ist es aber eine gut geölte Maschine; das Werk eines absoluten Profis, der immer genau weiß, was er tut, was er will, und wie er es erreicht. In diesem Fall auch mit Hilfe hervorragend gecasteter toller Schauspieler.
Gern wüsste man allerdings, ob dem alten Trotzkisten Loach dabei noch wenigstens selber auffällt, dass auch jenseits aller totalen Vorhersehbarkeit die Ökonomie und extreme Effizienz seines Filmemachens eigentlich genau alldem entsprechen, was er bekämpfen will.
Ken Loachs Art Filme zu machen, ist das Gegenteil jenes anti-kolonialistischen Kinos, das die Französin Mati Diop (»Atlantique«), der Brasilianer Kleber Mendonça (»Bacurau«) und noch andere hier zeigen. Es hat keine Leerstellen, keinen Exzess, es ist undurchlässig und durch und durch neoliberal.