18.05.2019
72. Filmfestspiele Cannes 2019

Cannes On Speed 06: Gut geölte Maschine

»Sorry, We Missed You« von Ken Loach
Sorry We Missed You von Ken Loach
(Foto: NFP/Filmwelt)

Sorry We Missed You von Ken Loach

Von Rüdiger Suchsland

Mit Über­ra­schungen ist bei Ken Loach nicht mehr zu rechnen. Das kann eine gute Nachricht sein, man weiß, was man an ihm hat; es kann aber auch schon im vorhinein lang­weilen. Genau auf diese Art von Lange­weile war ich gefasst, erst recht, als schon aus dem kleinen Film­aus­schnitt bei der Eröff­nungs­feier klar wurde, dass Sorry, We Missed You von einem Fami­li­en­vater handeln würde, der als Fahrer für Paket­dienste arbeitet, und von allen Seiten unter Druck gesetzt und sekkiert wird.

Um so erstaun­li­cher war dann die formale Meis­ter­schaft dieses Films und seines Regis­seurs, die von der ersten Minute an erkennbar ist. Wo andere sich 20 Minuten lang abmühen, um ihre Figuren zu etablieren, da gelingt das Loach in ein, zwei präzisen Szenen oder Dialogsätzen, in wenigen skiz­zen­haften Éinstel­lungen. Inhalt­lich ist Loachs Kino zwar schmerz­hafte Erin­ne­rung an die fiesen Reali­täten unseres Lebens, aber auch reine Propa­ganda im Guten wie Schlechten.

Technisch gesehen ist es aber eine gut geölte Maschine; das Werk eines absoluten Profis, der immer genau weiß, was er tut, was er will, und wie er es erreicht. In diesem Fall auch mit Hilfe hervor­ra­gend gecas­teter toller Schau­spieler.

Gern wüsste man aller­dings, ob dem alten Trotz­kisten Loach dabei noch wenigs­tens selber auffällt, dass auch jenseits aller totalen Vorher­seh­bar­keit die Ökonomie und extreme Effizienz seines Filme­ma­chens eigent­lich genau alldem entspre­chen, was er bekämpfen will.
Ken Loachs Art Filme zu machen, ist das Gegenteil jenes anti-kolo­nia­lis­ti­schen Kinos, das die Französin Mati Diop (»Atlan­tique«), der Brasi­lianer Kleber Mendonça (»Bacurau«) und noch andere hier zeigen. Es hat keine Leer­stellen, keinen Exzess, es ist undurch­lässig und durch und durch neoli­beral.