Cinema Moralia – Folge 253
Könige für tausend Nächte |
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Ikonisches Bild eines Desasters: Apocalypse Now | ||
(Foto: Tobis) |
»If your officer’s dead and the sergeants look white,
Remember it’s ruin to run from a fight:
So take open order, lie down, and sit tight,
And wait for supports like a soldier.
When you're wounded and left on Afghanistan’s plains,
And the women come out to cut up what remains,
Jest roll to your rifle and blow out your brains
An' go to your Gawd like a soldier.«
Rudyard Kipling: »The Young British Soldier«
»It’s a place of war and tribes – which is to say: a land of opportunity.« – Dies ist der schönste Satz in diesem an solchen sardonisch-ehrlichen, bewusst humorvoll-provokativen Sätzen reichen Film. Der Platz, von dem hier die Rede ist, heißt Kafiristan. Es gibt ihn wirklich, auch wenn es klingt wie aus einem Märchen von tausendundeiner Nacht. Es liegt hinter dem Hindukusch, im Nordosten Afghanistans.
Dorthin wollen Peachy Carnehan und Daniel Dravot, denn »dort
hat man noch Platz. Wir sind keine Kleinbürger.« Peachy und Dravot sind eher zwei Glücksritter, Ex-Soldaten der britischen Armee, die sich in Britisch-Indien um 1880 mit Diebstählen und Betrügereien durchschlagen. In diesem Film lernt man zunächst Peachy kennen, in den Augen des Erzählers, der dritten Hauptfigur. Der merkt sofort, dass Peachy versucht hat, ihn zu bestehlen, dass er ein Hochstapler ist, aber immerhin einer mit Ehrgefühl – und der Erzähler ist fasziniert von
diesem seltsamen Mann. Dieser Erzähler heißt Rudyard Kipling, und da von diesem bis aufs »Dschungelbuch« bei uns viel zu unbekannten britischen Schriftsteller auch die Kurzgeschichte stammt, die die Vorlage für John Hustons The Man Who Would Be King (Der Mann, der König sein wollte) bildet, wird
klar, dass Huston wie Kipling selbst – der in Britisch-Indien aufwuchs, wo er seine Karriere als Journalist begann –, hier Historisches mit Fiktion wild vermischt. Die Fiktion ist das Mittel, um Tatsachen deutlicher zu machen.
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Beiden geht es aber vor allem ums Abenteuer und um die ungeheure Faszination für das Fremde, das Unentdeckte, die »opportunities«. Als Peachy und Dravot vom Commissioner des Landes verwiesen und »nach Hause« geschickt werden, antworten sie: »Nach Hause zu was? Um als Portiers vor dem Restaurant für Zivilisten Kutschentüren zu öffnen? Nichts für uns, danke. Nicht, nachdem wir auf dem Schlachtfeld das Kommando übernommen haben, als die Afghanen den Hügel runterstürmten und alle Offiziere wegrannten.« Sie spielen lieber »Alles oder Nichts« und ziehen gen Norden.
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Kafiristan also. Auf Kiplings Bemerkung, dorthin habe es seit Alexander dem Großen noch kein Europäer geschafft, fällt Peachy nur ein: »Well, if a Greek can do it, we can do it.«
In dieser Erzählung steckt eine große Kindergeschichte von zwei Männern, die allein in ein wildes, unbekanntes Land ziehen, um dort ihr Glück zu machen, um fremde Völker zu unterwerfen und Könige zu werden. Es stecken hierin aber auch die Reisegeschichten aller Zeiten, der Eroberung der Welt durch die
europäischen Kolonialherren, die gerade auch etwas aus der Mode geraten sind, aber es ist doch nur eine Frage der Zeit, wann wir uns wieder auf sie besinnen, an ihnen orientieren werden: Dravot und Peachy sind moderne Conquistadoren, und wie bei Cortez oder Pizarro liegt im tiefen Grund ihres Eroberungstriebs die Verzweiflung und Verlorenheit von Veteranen, die außer Kämpfen nichts gelernt haben. Das ist der harte Kern dieser Erzählung. Ihre lichte Höhe ist der Mythos von Alexander
dem Großen, dessen Züge ihn bis nach Indien führten, und dessen Heirat mit Roxanne den Traum der Verschmelzung von West und Ost symbolisch vollzog: »Ex oriente lux!«
Als sie Kafiristan erreichen, werden Dravot und Peachy tatsächlich für Wiedergänger dieses »Sikander« gehalten, für Götter also, und auch wenn Peachy abwehrt »Not gods – Englishmen. The next best thing«, legt man ihnen ein Reich zu Füßen, und auch eine Roxanne, die tatsächlich so heißt, lässt nicht lange auf sich warten. Dies ist natürlich pure Ironie. Satire auf Kolonialismus, auf die Doppelmoral der Imperialisten: »Well, es waren 'Schädlinge' wie wir, die das verdammte Empire aufgebaut haben«, erklärt Peachy schon früh.
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Es ist aber auch die reine unschuldige Romantik. Und hier offenbart sich die Wahl-Verwandtschaft zwischen Kipling und Huston. Auch Huston (der Regisseur von The Maltese Falcon, 1941; Key Largo, 1948; The Misfits, 1961) war ein Macho, der am liebsten mit seinen Hauptdarstellern saufen ging und mit seinen Hauptdarstellerinnen ins Bett, auch wenn Letzteres nicht immer klappte; ein Filmemacher, den immer wieder Kriegerisches und Männerbündisches, aber auch verschwindende Männerwelten interessierten – wie in Kiplings Erzählung, die letztlich natürlich eine des Scheiterns ist, der zerstobenen Träume.
Huston unternahm über die Jahre gleich mehrere Anläufe, um den Stoff zu verfilmen: In den 1950er Jahren mit Humphrey Bogart und Clark Gable in den Hauptrollen, später mit Burt Lancaster und Kirk Douglas, und noch einmal, um 1970, mit Robert Redford und Paul Newman. Man hätte alle diese drei Versionen auch gern gesehen. Newman soll es gewesen sein, der ihm dann Sean Connery und Michael Caine vorschlug, die schon wegen ihres britischen Englisch die viel geeignetere Besetzung waren. Dies ist tatsächlich einer der glänzendsten Auftritte in beider Karriere. Christopher Plummer übernahm die Rolle Kiplings, Frauen dagegen kommen kaum vor – bis auf die Traumfrau Roxanne wie gesagt, hier gespielt von Caines Ehefrau, der Lateinamerikanerin Shakira Caine.
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Der Mann, der König sein wollte, der kürzlich erstmals auf Blu-Ray in prachtvoller Qualität (ohne erwähnenswerte Extras, die hier auch niemand vermisst) erschienen ist, ist großartiges Abenteuerkino, »wie es heute nicht mehr gemacht wird«, jedenfalls zu wenig: Voller Würde und Eleganz, mit Charme und Sinn für die ihm innewohnende Absurdität.
Weil dieser Film aber nicht nur von den
Träumen der Männer erzählt, sondern auch von den Hoffnungen und Projektionen des Westens, stößt er schmerzhaft hinein ins Herz unserer aktuellsten Gegenwart: Denn das Scheitern von Peachy und Dravot ist notwendig. Und mit ihnen scheitern wir alle. Huston erzählt mit Kipling, der sich zeitlebens als Inder und Fremdkörper im kleinen England fühlte, von der Überlegenheit der nichteuropäischen Kulturen. Wie einige Kommentatoren der vergangenen Dekade, zuletzt Peter Frankopan in
seinem Geschichtsschmöker »Licht aus dem Osten«, verlagerten Kipling und Huston das Gravitationszentrum der Weltgeschichte nach Osten. So gesehen enthält dieser Film bereits alles, was sich seit der iranischen Revolution von 1979, seit der sowjetischen Invasion Afghanistans 1980, seit den Golfkriegen und 9/11 zwischen dem Mittleren Osten und »uns« ereignete. »Der Mann, der König sein wollte« ist ein wunderbarer Film über das Scheitern des Westens.
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Man muss die Leinwand vermutlich nicht etwa »dekolonisieren«, sondern Kolonialismus dialektisch reflektieren, wie Huston es tut, damit Filme ihr Erkenntnispotential entfalten.
Wer mit diesem Beispiel nicht genug hat, dem kann man noch ein paar weitere Filme empfehlen, die Hilfestellung geben beim Sondieren der aktuellen Lage. Es gibt Naheliegendes: Khandahar vom Iraner Mohsen Makhmalbaf etwa, oder Syriana, einen der besten Filme über die Sinnlosigkeit amerikanischer Geheimdienstaktivitäten, die sich jetzt ja gerade wieder in der Praxis zeigt.
Weniger nahe liegen auf den ersten Blick zwei weitere Literaturverfilmungen: Philip Noyce' The Quiet American, nach Graham Greene und auch mit Michael Caine: Wie die USA aus reiner Naivität in den Vietnamkrieg hineingezogen werden.
Die Naivität besteht auch Jahre später oder früher, in Francis Ford Coppolas Apocalypse Now, das eigentlich bekanntermaßen eine Verfilmung von Joseph Conrads Kongo-Story »Heart of Darkness« ist.
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Erinnern wir uns: Zum Klang der »Doors« sehen wir Nebelschwaden am Ufer eines schier endlosen Flusses. Als sie sich lichten, erkennt man eine Plantage. Colonel Willard, Held, Killer und Unschuldsengel in diesem Film, unterbricht seine Reise mit ein paar Mann per Boot flussaufwärts und wird für einen Tag und eine Nacht Gast bei den französischen Plantagenbesitzern.
Sie erhalten im Dschungel eine Art privates Kolonialreich aufrecht: Reiche zerfallen, Invasoren kommen und
gehen – was bleibt, sind Luxus, Stil, Drogen und die Liebe, die Kultur eines behaglichen Salons, erfüllt von Nostalgie, Konversation und Debussy-Klängen.
Unter diesen Franzosen werden die Amerikaner endgültig zu Barbaren, und der französische Aristokrat Hubert de Marais sagt es ihnen auf den Kopf zu: »You don’t understand our mentality … Warum sind wir hier? Um unsere Familie zusammenzuhalten. Weil wir um das kämpfen wollen, was uns gehört. Ihr Amerikaner
kämpft lediglich um das größte Nichts in der Geschichte der Menschheit.«
Diese Begegnung der alten und der vorübergehenden neuen Herren, ein beklemmendes Dinner mit Silberbesteck und Smalltalk in der Wildnis, gehört zu den allerbesten Szenen dieses Films; sie zeigt das Herz der Zivilisation inmitten von Chaos und Barbarei des Dschungels.
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In der ursprünglichen »Work in Progress«-Fassung von Apocalypse Now, die nach dem Gewinn der Goldenen Palme weltweit verbreitet wurde, fehlte sie. Trotzdem ist sie Teil der endgültigen Gestalt dieses Meisterwerks geworden.
Eines Meisterwerks, das zu den seltenen Filmen gehört, die nicht nur fester Bestandteil im kulturellen Kanon der Gegenwart geworden sind, sondern darüber hinaus
Eingang ins kollektive Bewusstsein gefunden haben: Die Überblendung vom Ventilator zum Hubschrauberrotor, der Hubschrauberangriff zur Kavallerietrompete und Wagners Walkürenritt, die im Bombenhagel surfenden GIs am Strand, das Gesicht Marlon Brandos im Dschungel – jeder kennt diese Bilder und Töne. Die bekanntesten Fakten – unglaubliche 237 Drehtage; die Überschreitung des ursprünglichen Budgets um das Doppelte; Tropenstürme, die das Set zerstörten; der
Austausch des Hauptdarstellers Harvey Keitel nach zehn Drehtagen; der Herzinfarkt seines Ersatzes Martin Sheen – sind dabei nur die Spitze des Eisbergs.
Apocalypse Now, dem von der Kritik gleichermaßen Kriegsverherrlichung wie falsch angelegte Kriegskritik vorgeworfen wurden (und für beide Vorwürfe gibt es Gründe), vereinfacht nie. Gerade dadurch ist diese tiefenpsychologische brillante Reflexion über den Charakter unserer Zivilisation der richtige Film zur richtigen Zeit.
Wer Colonel Willard auf seinen verschlungenen Pfaden durch den Dschungel folgt, entdeckt noch etwas anderes: Im Kern ist Apocalypse Now, der ursprünglich Psychodelic Soldier heißen sollte, eine Parsifalgeschichte. Und der heilige Gral, den der tumbe Tor Willard schließlich findet, ist nichts anderes als der Faschismus, verkörpert von Colonel Kurtz.
In diesem
Sumpf aus Mythen, Zitaten und Gewalt fungiert Willard als Coppolas listenreiches, verschlagenes Alter Ego, das sich wie Odysseus an den Mast seines Schiffs ketten lässt – denn auf die Sirenengesänge will er nicht verzichten.
Wie wir heute, vor den Fernsehnachrichten aus Kabul, wie damals 1975 in Saigon: Wenn schon Apokalypse, dann möchte man doch wenigstens dabei gewesen sein.
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Als ob sie es geahnt hätten: In der ZDF-Mediathek kann man jetzt Philip Leinemanns Film Das Ende der Wahrheit ansehen, und vielleicht sollten Heiko Maas und Annegret Kramp-Karrenbauer genau das tun: Denn dieser brisante Politthriller bringt dann bei allem, was ihn von französischen, italienischen und amerikanischen Vorbildern unterscheidet, doch ganz gut auf den Punkt, was bei uns im Hinblick auf außereuropäische Gebiete und die Außenpolitik des Westens alles schiefläuft: Irreale Annahmen und Moralismus, das Blame-Game, das die Falschen zu Sündenböcken stempelt, und die Unfähigkeit, zu herrschen, die auch eine Unfähigkeit zum Imperium ist. Kipling, Conrad und Greene haben das gewusst, was die Russen und die Chinesen uns jetzt vormachen werden.
Wir Europäer dagegen, wir Deutschen voran, trauen uns noch nocht einmal die naheliegenden Fragen zu stellen: In welche Taschen sind die geschätzten drei Billionen (also 3000 Milliarden) Dollar gewandert, die der westliche Einsatz seit 2001 nach derzeitigen
Schätzungen gekostet hat? Warum hat man diese Gelder nicht besser einfach gleichmäßig in der Bevölkerung verteilt, anstatt sie in die Taschen der Warlords und Clanführer zu spülen?
Vor allem aber: Wer finanziert eigentlich die Taliban? Wer rüstet sie aus? Die Antwort würde lauten: Nicht Russen, China, der Iran. Die werden sich hüten. Sondern unsere Verbündeten: Pakistan, die Türkei, Saudi-Arabien und Katar. Aber da wollen wir ja nächstes Jahr Fußball-WM feiern.
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»The Great Game« nannte man im 19. Jahrhundert das imperiale Ringen zwischen dem britischen Empire und dem Zarenreich um Zentralasien.
Kaum zu glauben, dass es schon 14 Jahre her ist, dass Mike Nichols seinen letzten Film gedreht hat, die bittere wahre Komödie Charlie Wilson’s War, in der er vom neuen »Great Game« unseres Zeitalters erzählt, dessen neuesten Feldzug der Westen jetzt
verloren hat. Der Film zeigt, wie die USA zum Geburtshelfer des neuesten islamistischen Terrors wurden und man seinen heutigen Feind an der eigenen Brust nährte.
(to be continued)