Verlorene Liebe, geliebte Wiederholung |
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Szene aus Jonás Truebas Volveréis | ||
(Foto: Viennale 24) |
Kunsttherapie (By the Stream)
Von Hong Sang-soo laufen dieses Jahr gleich zwei Filme auf der Viennale. Beide sind 2024 erschienen, der erste – A Traveler’s Needs – lief und gewann im Wettbewerb der Berlinale. Es ist der prestigeträchtigere Film, hat mit Isabelle Huppert einen großen Namen, und ist trotz der schmalen Laufzeit von 90 Minuten ein fein säuberlich strukturiertes Werk mit klarem Thema. Der
Sprache, und wie sie in Gedichten und dem Alltag mit sich selbst ringt.
Film zwei nun – By the Stream – erscheint auf den ersten Blick konfuser. Mit einer Laufzeit von 111 Minuten gehört er zu Hongs längeren Werken, auch die Struktur verläuft sich in Nebensächlichkeiten. Viele Charaktere, die nicht (wie in A Traveler’s Needs) zu Bezugspunkten der
Protagonistin werden, sowie eine sich langsam entfaltende Handlung, die immer wieder ausfasert, mehr die Ausgangslage bildet, als zum tatsächlichen Mittelpunkt zu werden. Es geht um die Lehrerin Jeon-im (Kim Min-hee), die ihren Onkel Chu Si-eon (Kwon Hae-hyo) um Hilfe bittet. An der Kunstuniversität, an der sie arbeitet, soll ein Theaterstück inszeniert werden, der angedachte Regisseur (selbst im Studentenalter) musste jedoch die Kontrolle abgeben, nachdem er gleich drei der
teilnehmenden Studentinnen gedatet hat. Gleichzeitig.
Hae-hyo nun springt ein, eine komfortable Wahl, schließlich war er selbst ein gefeierter Darsteller und Regisseur, bis er in Ungnade fiel. Warum wird nicht genau klar, vermutlich hängt es mit einer wie auch immer geäußerten Nähe zum Kommunismus zusammen.
An der Universität dann trifft er auf Jeon-ims Vorgesetzte Jeong (Cho Yun-hee), die seine Arbeit vergangener Tage verehrt und erst auf die Idee kam, ihn an die Schule zu
holen. Die Romanze liegt nahe, ebenso die damit verbundene komplizierte Dreiecksbeziehung.
Es ist also ein überraschend gewöhnlicher Plot für einen Hong-Film, eine klassische Liebesgeschichte. Dabei bleibt es aber natürlich nicht. So sehr der Film auf den ersten Blick im klassischen Erzählkino verhaftet ist, so sehr führt er die nun schon jahrelang etablierten Trademarks Hongs fort, schlägt nach dem heiteren und wirklich sehr lustigen Auftakt (Jeongs Flirtversuche, die Rückkehr eines etablierten Regisseurs an eine Amateurbühne) eine düstere, melancholische Route
ein.
Der verzweifelte (Theater-)Regisseur, die Verbindung des privaten und künstlerischen Raums, das sind wohlbekannte Themen im Oeuvre des Koreaners, diesmal jedoch setzt er sie besonders subtil ein, entwickelt sie langsam aus der Handlung heraus, kaum merklich nimmt der Film eine schwermütige Poesie an. Es geht um das Vergangene, das das Zukünftige auf immer zu bestimmen droht, um einen Moment im Leben, der so einschneidend ist, dass das Danach nur noch eine Verhandlung und
Bekämpfung dessen sein kann, ein stets sich-selbst-befragen, ein Ringen mit der eigenen Identität, die stehen bleibt, sich – anders als der titelgebende Stream – nicht mehr linear nach vorne bewegt.
Festgemacht werden diese scheiternden Transformationsmomente an repetitiven Gesprächen an Restaurant- und Küchentischen, stets verbunden mit einem ins Exzessive gleitenden Alkoholkonsum. Sogar für Hong-Verhältnisse wird viel getrunken in diesem Film, es sind die Momente, in denen sich die Figuren (versuchen) näher zu kommen. Das Trinken als singulärer, körperlicher Akt hat dabei stets einen feierlichen Charakter, man prostet sich zu, schenkt sich gegenseitig nach,
provoziert und simuliert eine permanente Feier. Zwischen jedem Glas aber scheint die Zeit still zu stehen, trinkt man nicht (sondern ist betrunken), hat man sich bereits nichts mehr zu sagen, tauscht Floskeln aus, fängt wieder an, in die Erzählungen der Vergangenheit zu rutschen – bis zum nächsten Glas. Die Feier wird hierbei als gewohnheitsmäßiger Mechanismus entlarvt, als Selbstbestätigung und Mutmache, ein Automatismus, der vorgibt glücklich zu sein, ohne es dabei werden
zu müssen. Wer zusammen trinkt, ist verbunden, muss sich nicht mit einem Davor oder Danach beschäftigen, löst sich auf in der Welt.
Jeong (vielleicht die einsamste Figur in diesem Film voll von Verlorenen) bringt es auf den Punkt, wenn sie von ihren Reisen erzählt: Steht sie vor der ersehnten, fremden Landschaft, hält das Glück nur Sekunden, die Einsamkeit kehrt zurück und sie sehnt sich – natürlich – nur nach dem nächsten Glas.
In diesem Modus fährt der Film fort, inszeniert mit Hongs typischen stilistischen Entscheidungen: Digitalkamera, die lange Einstellungen festhält, die einem strikten Realismus verhaftet sind, der nicht davor zurückschreckt Überbelichtungen oder Ruckler in der Tiefenschärfe abzubilden. Wie immer wirkt dies auf den ersten Blick wahllos, findet aber gerade darin eine alltägliche, direkte Poesie, wie sie im zeitgenössischen Kino nur Hong darstellen kann. Verändert werden die Szenen immer wieder durch Zooms, die das Bild neu rahmen, und in einer gleichbleibenden Kulisse neue Zugriffe ermöglichen, die natürlich bereits zuvor enthalten waren, aber erst durch den Perspektivenwechsel offensichtlich werden.
So entspinnt sich ein kaleidoskopisches Werk, das sich durch seinen nebensächlichen Charakter stets selbst zu hinterfragen scheint. Aus der Schwermut gibt es dabei keinen Ausweg, nur die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann, überträgt sich auf den Zuseher. Wer in der Vergangenheit verhaftet bleibt, der bleibt gleichermaßen bei sich selbst stehen, bis es keinen anderen Zugang zur Welt geben kann. Selbst die Kunst erscheint dann nurmehr therapeutisch, ein einziges
Rückbesinnen auf sich selbst, auf das, was gewünscht und/ oder verloren ist.
Ein Teufelskreis also, dabei selbst aber nur perspektivisch; genau wie Hongs Zooms, die stets ein Bild im Bild freizulegen im Stande sind.
Es ist (erneut) ein sehr schöner Film geworden.
+ + +
Das Gefühl im System (Volveréis)
Gänzlich anders verhält es sich in Jonás Truebas neuestem Werk.
Hier ist die Handlung schneller zusammen gefasst: Nach einer 14-jährigen Beziehung beschließen sich Ale (Itsaso Arana) und Alex (Vito Sanz) zu trennen. Ausgehend von einer Idee von Ales Vater wollen sie anlässlich dieses neuen Lebensabschnitts eine große Feier veranstalten. Es ist der makabre Versuch einer festlichen Beendung dieser Liebesbeziehung, die bei Freunden und Familie auf Unverständnis stößt. »Ihr werdet
wieder zusammenkommen«, so der Schluss fast aller Gesprächspartner.
Genau wie bei Hong wird diese Handlung als Ausgangslage begriffen, um darüber die Figuren zu erkunden. Dies geschieht auf eine ebenso poetische, wenngleich tonal gänzlich unterschiedliche Weise. Trueba hat einen ungemein verspielten, lebenslustigen Film gedreht, der seine eigene Medialität immer wieder in die Struktur mit aufnimmt. Ale ist Filmregisseurin, Alex Schauspieler. Sie arbeiten zusammen, haben einen neuen Film gedreht. Dieser wird immer wieder eingespielt, es ist dabei völlig unklar, auf welcher Handlungsebene wir Zuschauer uns dabei befinden. Anders als bei den meisten Metafilmen wird dabei dankenswerterweise aber nicht die Beziehung von Kunst und Realität ins Zentrum gerückt, viel mehr entsteht ein struktureller Wirbel, der es aktiv unterbindet, die Frage nach der Wirklichkeit zu stellen.
Wie häufig bei Trueba stehen dabei philosophische Texte im Vordergrund, die in Gesprächen aufgebracht und fortan formal verhandelt werden. Diesmal hat er sich einem besonders schönen Thema gewidmet: Dem Existenzialismus im Kontrast zum Hegelianischen System. Kierkegaard wird hierbei als Lebensratgeber herbeigezogen, »Die Wiederholung« ist das Buch des Films. Ebenso wie im Denken des dänischen Philosophen das über allem stehende, vollendete und alles bestimmende System emotional kritisiert und durchsetzt wird, bricht Volveréis seine filmische Form immer und immer wieder auf, um Anmutung über Logik zu stellen, das evozierte Gefühl, und damit die Poesie, gegen die Rationalität und (formale) Geschlossenheit ankämpfen zu lassen. So gibt es abrupte Achsen- und Zeitsprünge, an einer Stelle wird gar ein Großteil des Films »zurückgespult«.
Parallel zu By the Stream finden wir dabei Charaktere vor, die rein in der Vergangenheit leben, präziser in der (noch bestehenden) Beziehung verhaftet sind, sie im Grunde nicht loslassen wollen. Anders als bei Hong wird dieser Zustand jedoch nicht tragisch begriffen, sondern als reflexive Möglichkeit, als Kierkegaaard’sche Wiederholung, die – darin womöglich wieder rational – einen Neuanfang der Beziehung mit neuem Blick ermöglicht, ein
Sich-Verlieben in eine Person, die man ja bereits liebt.
Besonders interessant wird dies in einem intimen Moment verhandelt, in dem die beiden alte Urlaubsvideos betrachten. Diese wurden digital gedreht, jedoch mit einem (imitierten) Super-8-Filter überlegt. Es ist die Täuschung der Einmaligkeit, die über das (falsche) analoge Bild vermittelt wird, der Drang und die Hoffnung auf einen singulären Moment, in diesem Fall des Frisch-verliebt-Seins. Umso schöner natürlich ist die
Wiederaufnahme dieses Gefühls, das zwar in der Vergangenheit liegt, dabei aber weder final, noch unwiederholbar, noch absolut ist.
Gewissermaßen stellt dieser Film also die Antithese zu By the Stream dar, auch in seinen Feier-Szenen ist er mitreißend und schön, dem Alkohol haftet auch hier etwas Tragisches an, etwas jedoch, das noch immer als ästhetisches Mittel begriffen wird, noch längst entfernt vom trüben Selbstzweck des Gegenfilms. Eine weitere Parallele: Beide Regisseure arbeiten mit einem Ensemble von Stammschauspielern, beide wissen genau, wie sie ihre Gesichter und Körper zu inszenieren haben, Hong dabei passend subtil, mehr in Nuancen, Gestiken und Bewegungen, Trueba sogar noch extremer, wie die Haut etwa belichtet ist, wie die Haare fallen, wie nah die Kamera sich den Gesichtern nähert, zeugt alles von einem jahrelangen Vertrauen und einer genauen Studie.
So entsteht ein lebens- (und kunstfrohes) Werk, das ein buntes (das grelle Rot kennt man von Almodóvar, hier jedoch sind die Farben noch zu keinen Symbolen redigiert, sondern dürfen frei die Kulissen bestimmen) Porträt Spaniens entwirft, weit entfernt von jeglichem Kitsch, und die Liebe in all ihren Schattierungen begreift.
Und es ihr zugesteht, sich wiederholen zu dürfen.