Unsere Afrikareise |
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Direkt den Träumen entstiegen: tranzania. living. room. |
Von Dunja Bialas
Einen leicht postkolonialen Touch hatte es ja schon, das Projekt, mit dem das 39. Internationale Festival von Rotterdam seinen diesjährigen Afrika-Schwerpunkt bereichern wollte. Zwölf handverlesene internationale Filmemacher waren vom Festival ausgesandt worden, den schwarzen Kontinent filmend zu bereisen, allesamt Filmemacher, die noch nie in Afrika gewesen waren. Schlimme Ahnungen an sensationsträchtige Kulturschocks und frisch-naive Blicke auf den »vergessenen« Kontinent kommen angesichts solcher Konstruktionen auf. Was interessanterweise aber ganz der Erwartung des Initiators Gertjan Zuilhof entspricht. Im Katalog sagt er über sein Projekt: »Ich stellte mir vor, in jedes Land, das ich besuchen wollte, einen Filmemacher im Schlepptau zu haben. Der Filmemacher sollte durch die Reise inspiriert werden und durch die Konfrontation mit einer anderen Kultur. Ich traf mich mit Filmemachern, die zum ersten Mal nach Afrika reisen sollten und das Land mit einem frischen Blick sehen und überwältigt sein würden.«
Die handverlesenen Filmemacher, die mit ihm nach Afrika fahren durften, rekrutierten sich zu einem Großteil aus guten Freunden des Festivals: Der Bad Boy des philippinischen Digitalkinos, Khavn de la Cruz, war dabei, mit an Bord war auch der US-Amerikaner Kevin Jerome Everson, der dieses Jahr in Rotterdam mit gleich vier Filmen vertreten war. Andere Bekannte waren der Indonesier Edwin, dessen Blind Pig Who Wants To Fly im Tiger-Wettbewerb von 2009 zu sehen war, oder Jakrawal Nilthamrong, seit 2008 Hubert-Bals-Fund-geförderter Filmemacher aus Thailand.
Die große Reise des Projektleiters bestimmte sich durch die Länder, die sich die Filmemacher selbst aussuchen konnten. Dort kamen sie in Kontakt mit ortsansässigen Filmemachern, »mit denen die Filmemacher über Kameras und Schauspieler reden konnten, was sie wohl lieber machen, als mit einem Festivalkurator über Finanzierung und Premieren zu sprechen«, so Zuilhof im Katalog. Die filmischen Ergebnisse der Reise waren am Ende dann doch sehr durchwachsen, aber Zuilhof hatte ja schon im Vorfeld alle Erwartungen zurückgefahren: »Am Ende des Projekts würde ich wenigstens ein Filmprogramm mit 12 Kurzfilmen haben«, beruhigte er sich, als er die Afrika-Sektion für das Festival plante, nicht wissend, ob er ein vorzeigbares Filmschaffen auf dem schwarzen Kontinent finden würde.
Khavn de la Cruz reiste mit Zuilhof in die Hauptstadt Kameruns, fuchtelte dort erwartbar mit seiner Handkamera herum, filmte Straßenszenen und den Rotterdamer Projektinitator, wie er durch den Fotoapparat »Kontakt« mit den Einheimischen aufnahm und gerne auch den Filmemacher fotografierte, und wie er im Schatten Kaffee oder auch Bier trank und auf dem Bazar nach Mitbringseln Ausschau hielt. Zuhause entzog Khavn seinen Bildern dann die Farbe, gab ihnen eine kühlen Blaustich und legte über sie einen als Liebesbrief gehalteten Soap-artigen Text, der an das Kritikerpaar Nika und Alexis erinnern soll, das letztes Jahr auf den Philippinen bei einem Raub erschossenen wurde (siehe Artechock vom 10.09.2009). Cameroon Love Letter, so nannte Khavn dieses vielschichtige, aber auch überfrachtete Reisetagebuch, und begleitete es live auf dem Klavier. So konnte einen wenigstens die Musik über das Zuviel auf der Leinwand hinwegtrösten, indem man genussvoll die Augen schloss.
Aber nicht nur Cameroon Love Letter zeigte sich problematisch als Teil eines großangelegten Projekts. Auch der wunderschön fotografierte Unreal Forest des thailändischen Wunderkinds Jakrawal Nilthamrong ging, weil er das Projekt selbst zum Thema machte, in die Knie. Seine in farbigem Hochglanz fotografierte Film-im-Film-Geschichte über einen Vater, der bei den Göttern durch einen spirituellen Tanz um Heilung für seinen todkranken Jungen ersucht, nimmt Ausgang bei einer dokumentarischen Schwarzweiß-Frequenz. In ihr sieht man, wie Zuilhof in einem Meeting in Sambia die Idee des Afrika-Projekts erklärt. Diese Szene legt der glanzvollen Filmerzählung eine prosaische, ja provinzielle Fessel an: der Film ist mit ihr für immer an Rotterdam gebunden.
Trotz aller Konstruiertheiten, Zwänge und Konzeptvorgaben: es gab sie, die geglückte Ausnahme, den vollendeten Film. tranzania. living. room. des Berliner Independent-Regisseurs Uli M. Schüppel zeigte, wie mit wenig Mitteln ein verführerisches Kino entstehen kann, das ganz für sich selbst steht. Schüppel spielt in seinem Filmessay auf bestechende Weise mit der durch das Projekt vorgegebenen Ausgangslage des Unbekannten, nur kehrt er es – auf äußerst erhellende Weise – um. Auf seinem heimischen Wohnzimmerteppich liegend erinnert sich der Filmemacher an die kurze Zeit, die er während seiner Kindheit in Tansania verbracht hat. Reist dann in die Hauptstadt Dar es Salaam und fragt die Einheimischen, wie sie sich ein deutsches Wohnzimmer vorstellen. »Voll gefüllte Kühlschränke«, gute Möbel, ein Sessel, ein großer Fernseher wären die Standardeinrichtungsgegenstände des deutschen Wohnzimmers. Mit »gutem Fensterglas« und »Fenstern ohne Gitter« wären sie außerdem bestückt, denn in Deutschland gäbe es schließlich keine Diebe. Die Vorstellungen sagen viel über die Lebenssituation der Befragten aus, es ergibt sich ein anregender Rückkoppelungs-effekt zwischen dem Gesagten und dem Ungesagten, denn Schüppel vermeidet es glück-licherweise, uns vorzuführen, wie es in Dar es Salaam in einem Wohnzimmer aussieht.
Im Gegenzug zu den Imaginationen der Tansanier zoomt Schüppel in Postkarten hinein, die den touristischen Savannen-Aspekt des Landes abbilden, mit wilden Löwen und langgestreckten Giraffenhälsen, Ansichten des Landes, die von den Touristen nach Hause geschickt werden. Straßenszenen aus Dar es Salaam halten unkommentiert das Bild des realen Tansania dagegen. Aber auch von der Wirklichkeit entrückte Bilder des Imaginären, das Wild-Romantische der Kindheitserinnerung lässt Schüppel grobkörnigen Super8-Aufnahmen entsteigen: sie zeigen diffuse Bilder einer ungezähmten, wilden Savanne, die direkt aus den Träumen zu kommen scheint.
Am Ende des Projekts bleibt die Frage offen, weshalb Zuilhof seine Reihe Forget Africa nannte. Sie kann vielleicht nur in einem Witz beantwortet werden, der Katalog jedenfalls gibt darauf keine Antwort. Man stelle sich vor, wie Zuilhof von seinem lange Monate dauernden Afrikatrip zurückkehrt ins kalte Rotterdam und nach seiner Reise befragt wird. Seine resignierte Antwort: »Forget Africa!«
Nicht nur Rotterdam zeichnet gerade den vergessenen Kontinent als neu zu entdeckenden (oder zu missionierenden?) Landstrich auf der kinematographischen Landkarte ein. Die Belgier pflegen schon seit vielen Jahren ein postkolonialistisches Wiedergutmachungskino à la Thierry Michel, mit den Bemühungen, im Sudan oder Senegal Filmschulen zu installieren. Jean-Marie Barbe bietet seit jeher im französischen Lussas afrikanischen Filmstudenten die Möglichkeit, als »filmmaker in residence« eine profunde Ausbildung in Kamera, Schnitt und Dokumentarfilmregie zu genießen. Sogar in den 70er Jahren versuchten schon Jean-Luc Godard und Anne-Marie Miéville, den Afrikanern die Möglichkeit für eigene Bilder zu geben, mit der Aufbauhilfe für eine TV-Station in Mozambique unter der damaligen marxistischen Regierung. Die Österreicherin Ella Reidel hat in Slam Video Maputo festgehalten, was aus der Idee geworden ist: billiges Unterhaltungsfernsehen. Irgendwie schön, wenn man sieht, wie das „gut Gemeinte“ sich verselbständigt.
Wo ist Afrika?, so fragte die große Afrika-Reihe mit umfassenden Retrospektiven und Einblicken in das zeitgenössische afrikanische Filmschaffen, die von den Leitern des Filmfestivals von Uganda, Alice Smits und Lee Ellickson programmiert wurde. Nicht dort, wo man es vermutet, zumindest nicht filmisch. Afrika ist ganz oft »Out of Africa«, in Spanien oder Italien, wo die afrikanischen »Illegalen« ihr Dasein fristen, in Frankreich, wo sie versuchen, sich zu »naturalisieren« (sprich die französische Staatsbürgerschaft zu erhalten), in Rotterdam, wo viele afrikanische Einwanderer leben. Viele gute Afrikafilme entstehen mindestens in Koproduktion mit einer Industrienation, oder sind Filme von Regisseuren, die aus Afrika kommen, aber mittlerweile in der nördlichen Hemisphäre wohnen und dort ihre Ausbildung genossen haben, wie Musa Dieng Kala, Regisseur des gut reflektierenden Dieu a-t-il quitté l’Afrique? In seinem ruhigen, von einer persönlichen Off-Erzählung getragenen Film kehrt der Filmemacher aus Kanada in seine Heimatstadt Dakar zurück. Er begegnet jungen Leuten, die in die Industriestaaten emigrieren wollen. Gott habe das Land verlassen, so sagen sie. Also müssten sie dorthin gehen, wo es noch Hoffnung gäbe. Da lässt sich die Frage anschließen: Wo ist noch Gott?
Gott oder die Götter leben in Afrika auf jeden Fall noch im Dschungel. Zumindest in Dansa als esperits des Barceloner Filmemachers Riscardo Iscar. Er porträtiert ein »Hospital der Geister« im Dschungel von Kamerun. Hier hat der Medizinmann Mba Owona Pierre ein traditionelles Krankenhaus errichtet, eines, das ohne Schulmedizin mit den herkömmlichen »Buschdoktor«-Methoden Krankheiten vertreibt. Was wie ein Witz klingt, ist in Wahrheit das Unternehmen eines äußerst gebildeten Mannes, hier ist sogar der Ausdruck des »Weisen« angebracht, der mit seinem Wissen über Kräuter und Heilmethoden die Schulmedizin bewusst dort ergänzt, wo sie nichts ausrichten kann, nämlich bei den »Krankheiten der Nacht«. Sein Denken entführt in das mystische Dickicht des Dschungels, dahin, wo die Geister mit der Seele zu tanzen beginnen. Dansa als esperits, der out of Africa in der Reihe Pompeu Fabra lief, überraschte durch den in ihm gezeigten Synkretismus, über das klare Miteinander von Moderne und Tradition, von afrikanischer und französischer Sprache, von Stadt und Dschungel. Interessant war der ethnologische Ansatz des Filmemachers. Er zieht sich als filmendes Subjekt zurück zugunsten seines Protagonisten und der porträtierten Welt, erklärt nichts, zeigt nur, und lässt die Welt sich selbst erklären.
Es gab viele Bilder aus Afrika dieses Jahr in Rotterdam zu sehen, und viele Bilder über Afrika. Die in Afrika entstandenen Spielfilme versuchten sich oftmals im publikumsträchtigen Genre wie der sehr unausgegorene, im Kudoro-Musik-Milieu spielende Actionfilm A guerra do Ku-Duro des angolesischen Henrique Narciso 'Dito' oder die Gaunerkomödie Balas e pistolas des Angolesen Francisco Cafua. Ein ernst zu nehmender Dokumentarfilm aus Afrika kam von Moussa Toure, einem Senegalesen, der in Les techniciens nos cousins die selbstverschuldete Ausweglosigkeit der Malaria aufzeigte.
Die Frage bleibt nur: Wer soll sich das ansehen? Die Afrikaner füllen die wenigen Kinos, die sie noch haben, mit den für sie abfallenden Filmen aus der Traumfabrik Hollywoods. Die Europäer finden in den in Afrika entstandenen Filmen kaum Erfüllung ihrer Ansprüche an ein gutes Kino. Bleiben die Festivals, die Aufklärungsgruppen vor Ort, die Filmschulen, die sich mit den Filmen befassen werden. Eine Alternative zu diesen etablierten, aber vermutlich scheiternden Kinoformen könnte das unabhängige Garagenkino sein, mit dem die jungen Philippinen seit längerem erfolgreich ihre Werke der eigenen Bevölkerung zeigen. Und eine ganz eigene Welle begründen konnten. Free Africa!