18.02.2010

Unsere Afri­ka­reise

Tranzania. Living. Room.
Direkt den Träumen entstiegen:
tranzania. living. room.

Afrika im Aufbruch: Das 39. Rotterdamer Filmfestival begibt sich mit einem umfassenden Programm auf die Suche nach dem Filmkontinent

Von Dunja Bialas

Forget Africa!

Einen leicht post­ko­lo­nialen Touch hatte es ja schon, das Projekt, mit dem das 39. Inter­na­tio­nale Festival von Rotterdam seinen dies­jäh­rigen Afrika-Schwer­punkt berei­chern wollte. Zwölf hand­ver­le­sene inter­na­tio­nale Filme­ma­cher waren vom Festival ausge­sandt worden, den schwarzen Kontinent filmend zu bereisen, allesamt Filme­ma­cher, die noch nie in Afrika gewesen waren. Schlimme Ahnungen an sensa­ti­ons­träch­tige Kultur­schocks und frisch-naive Blicke auf den »verges­senen« Kontinent kommen ange­sichts solcher Konstruk­tionen auf. Was inter­es­san­ter­weise aber ganz der Erwartung des Initia­tors Gertjan Zuilhof entspricht. Im Katalog sagt er über sein Projekt: »Ich stellte mir vor, in jedes Land, das ich besuchen wollte, einen Filme­ma­cher im Schlepptau zu haben. Der Filme­ma­cher sollte durch die Reise inspi­riert werden und durch die Konfron­ta­tion mit einer anderen Kultur. Ich traf mich mit Filme­ma­chern, die zum ersten Mal nach Afrika reisen sollten und das Land mit einem frischen Blick sehen und über­wäl­tigt sein würden.«

Die hand­ver­le­senen Filme­ma­cher, die mit ihm nach Afrika fahren durften, rekru­tierten sich zu einem Großteil aus guten Freunden des Festivals: Der Bad Boy des phil­ip­pi­ni­schen Digi­tal­kinos, Khavn de la Cruz, war dabei, mit an Bord war auch der US-Ameri­kaner Kevin Jerome Everson, der dieses Jahr in Rotterdam mit gleich vier Filmen vertreten war. Andere Bekannte waren der Indo­ne­sier Edwin, dessen Blind Pig Who Wants To Fly im Tiger-Wett­be­werb von 2009 zu sehen war, oder Jakrawal Niltham­rong, seit 2008 Hubert-Bals-Fund-geför­derter Filme­ma­cher aus Thailand.

Die große Reise des Projekt­lei­ters bestimmte sich durch die Länder, die sich die Filme­ma­cher selbst aussuchen konnten. Dort kamen sie in Kontakt mit orts­an­säs­sigen Filme­ma­chern, »mit denen die Filme­ma­cher über Kameras und Schau­spieler reden konnten, was sie wohl lieber machen, als mit einem Festi­val­ku­rator über Finan­zie­rung und Premieren zu sprechen«, so Zuilhof im Katalog. Die filmi­schen Ergeb­nisse der Reise waren am Ende dann doch sehr durch­wachsen, aber Zuilhof hatte ja schon im Vorfeld alle Erwar­tungen zurück­ge­fahren: »Am Ende des Projekts würde ich wenigs­tens ein Film­pro­gramm mit 12 Kurz­filmen haben«, beruhigte er sich, als er die Afrika-Sektion für das Festival plante, nicht wissend, ob er ein vorzeig­bares Film­schaffen auf dem schwarzen Kontinent finden würde.

Khavn de la Cruz reiste mit Zuilhof in die Haupt­stadt Kameruns, fuchtelte dort erwartbar mit seiner Hand­ka­mera herum, filmte Straßen­szenen und den Rotter­damer Projek­t­in­i­tator, wie er durch den Foto­ap­parat »Kontakt« mit den Einhei­mi­schen aufnahm und gerne auch den Filme­ma­cher foto­gra­fierte, und wie er im Schatten Kaffee oder auch Bier trank und auf dem Bazar nach Mitbring­seln Ausschau hielt. Zuhause entzog Khavn seinen Bildern dann die Farbe, gab ihnen eine kühlen Blaustich und legte über sie einen als Liebes­brief gehal­teten Soap-artigen Text, der an das Kriti­ker­paar Nika und Alexis erinnern soll, das letztes Jahr auf den Phil­ip­pinen bei einem Raub erschos­senen wurde (siehe Artechock vom 10.09.2009). Cameroon Love Letter, so nannte Khavn dieses viel­schich­tige, aber auch über­frach­tete Reise­ta­ge­buch, und beglei­tete es live auf dem Klavier. So konnte einen wenigs­tens die Musik über das Zuviel auf der Leinwand hinweg­trösten, indem man genuss­voll die Augen schloss.

Aber nicht nur Cameroon Love Letter zeigte sich proble­ma­tisch als Teil eines großan­ge­legten Projekts. Auch der wunder­schön foto­gra­fierte Unreal Forest des thailän­di­schen Wunder­kinds Jakrawal Niltham­rong ging, weil er das Projekt selbst zum Thema machte, in die Knie. Seine in farbigem Hochglanz foto­gra­fierte Film-im-Film-Geschichte über einen Vater, der bei den Göttern durch einen spiri­tu­ellen Tanz um Heilung für seinen todkranken Jungen ersucht, nimmt Ausgang bei einer doku­men­ta­ri­schen Schwarz­weiß-Frequenz. In ihr sieht man, wie Zuilhof in einem Meeting in Sambia die Idee des Afrika-Projekts erklärt. Diese Szene legt der glanz­vollen Film­er­zäh­lung eine prosai­sche, ja provin­zi­elle Fessel an: der Film ist mit ihr für immer an Rotterdam gebunden.

Trotz aller Konstru­iert­heiten, Zwänge und Konzept­vor­gaben: es gab sie, die geglückte Ausnahme, den voll­endeten Film. tranzania. living. room. des Berliner Inde­pen­dent-Regis­seurs Uli M. Schüppel zeigte, wie mit wenig Mitteln ein verfüh­re­ri­sches Kino entstehen kann, das ganz für sich selbst steht. Schüppel spielt in seinem Filmessay auf bestechende Weise mit der durch das Projekt vorge­ge­benen Ausgangs­lage des Unbe­kannten, nur kehrt er es – auf äußerst erhel­lende Weise – um. Auf seinem heimi­schen Wohn­zim­mer­tep­pich liegend erinnert sich der Filme­ma­cher an die kurze Zeit, die er während seiner Kindheit in Tansania verbracht hat. Reist dann in die Haupt­stadt Dar es Salaam und fragt die Einhei­mi­schen, wie sie sich ein deutsches Wohn­zimmer vorstellen. »Voll gefüllte Kühl­schränke«, gute Möbel, ein Sessel, ein großer Fernseher wären die Stan­dard­ein­rich­tungs­ge­gen­s­tände des deutschen Wohn­zim­mers. Mit »gutem Fens­ter­glas« und »Fenstern ohne Gitter« wären sie außerdem bestückt, denn in Deutsch­land gäbe es schließ­lich keine Diebe. Die Vorstel­lungen sagen viel über die Lebens­si­tua­tion der Befragten aus, es ergibt sich ein anre­gender Rück­kop­pe­lungs-effekt zwischen dem Gesagten und dem Unge­sagten, denn Schüppel vermeidet es glück-licher­weise, uns vorzu­führen, wie es in Dar es Salaam in einem Wohn­zimmer aussieht.

Im Gegenzug zu den Imagi­na­tionen der Tansanier zoomt Schüppel in Post­karten hinein, die den touris­ti­schen Savannen-Aspekt des Landes abbilden, mit wilden Löwen und lang­ge­streckten Giraf­fen­hälsen, Ansichten des Landes, die von den Touristen nach Hause geschickt werden. Straßen­szenen aus Dar es Salaam halten unkom­men­tiert das Bild des realen Tansania dagegen. Aber auch von der Wirk­lich­keit entrückte Bilder des Imaginären, das Wild-Roman­ti­sche der Kind­heits­er­in­ne­rung lässt Schüppel grob­kör­nigen Super8-Aufnahmen entsteigen: sie zeigen diffuse Bilder einer unge­zähmten, wilden Savanne, die direkt aus den Träumen zu kommen scheint.

Am Ende des Projekts bleibt die Frage offen, weshalb Zuilhof seine Reihe Forget Africa nannte. Sie kann viel­leicht nur in einem Witz beant­wortet werden, der Katalog jeden­falls gibt darauf keine Antwort. Man stelle sich vor, wie Zuilhof von seinem lange Monate dauernden Afri­katrip zurück­kehrt ins kalte Rotterdam und nach seiner Reise befragt wird. Seine resi­gnierte Antwort: »Forget Africa!«

Where is Africa?

Nicht nur Rotterdam zeichnet gerade den verges­senen Kontinent als neu zu entde­ckenden (oder zu missio­nie­renden?) Land­strich auf der kine­ma­to­gra­phi­schen Landkarte ein. Die Belgier pflegen schon seit vielen Jahren ein post­ko­lo­nia­lis­ti­sches Wieder­gut­ma­chungs­kino à la Thierry Michel, mit den Bemühungen, im Sudan oder Senegal Film­schulen zu instal­lieren. Jean-Marie Barbe bietet seit jeher im fran­zö­si­schen Lussas afri­ka­ni­schen Film­stu­denten die Möglich­keit, als »filmmaker in residence« eine profunde Ausbil­dung in Kamera, Schnitt und Doku­men­tar­film­regie zu genießen. Sogar in den 70er Jahren versuchten schon Jean-Luc Godard und Anne-Marie Miéville, den Afri­ka­nern die Möglich­keit für eigene Bilder zu geben, mit der Aufbau­hilfe für eine TV-Station in Mozam­bique unter der damaligen marxis­ti­schen Regierung. Die Öster­rei­cherin Ella Reidel hat in Slam Video Maputo fest­ge­halten, was aus der Idee geworden ist: billiges Unter­hal­tungs­fern­sehen. Irgendwie schön, wenn man sieht, wie das „gut Gemeinte“ sich verselbstän­digt.

Wo ist Afrika?, so fragte die große Afrika-Reihe mit umfas­senden Retro­spek­tiven und Einbli­cken in das zeit­genös­si­sche afri­ka­ni­sche Film­schaffen, die von den Leitern des Film­fes­ti­vals von Uganda, Alice Smits und Lee Ellickson program­miert wurde. Nicht dort, wo man es vermutet, zumindest nicht filmisch. Afrika ist ganz oft »Out of Africa«, in Spanien oder Italien, wo die afri­ka­ni­schen »Illegalen« ihr Dasein fristen, in Frank­reich, wo sie versuchen, sich zu »natu­ra­li­sieren« (sprich die fran­zö­si­sche Staats­bür­ger­schaft zu erhalten), in Rotterdam, wo viele afri­ka­ni­sche Einwan­derer leben. Viele gute Afri­ka­filme entstehen mindes­tens in Kopro­duk­tion mit einer Indus­trie­na­tion, oder sind Filme von Regis­seuren, die aus Afrika kommen, aber mitt­ler­weile in der nörd­li­chen Hemi­s­phäre wohnen und dort ihre Ausbil­dung genossen haben, wie Musa Dieng Kala, Regisseur des gut reflek­tie­renden Dieu a-t-il quitté l’Afrique? In seinem ruhigen, von einer persön­li­chen Off-Erzählung getra­genen Film kehrt der Filme­ma­cher aus Kanada in seine Heimat­stadt Dakar zurück. Er begegnet jungen Leuten, die in die Indus­trie­staaten emigrieren wollen. Gott habe das Land verlassen, so sagen sie. Also müssten sie dorthin gehen, wo es noch Hoffnung gäbe. Da lässt sich die Frage anschließen: Wo ist noch Gott?

Gott oder die Götter leben in Afrika auf jeden Fall noch im Dschungel. Zumindest in Dansa als esperits des Barce­loner Filme­ma­chers Riscardo Iscar. Er porträ­tiert ein »Hospital der Geister« im Dschungel von Kamerun. Hier hat der Medi­zin­mann Mba Owona Pierre ein tradi­tio­nelles Kran­ken­haus errichtet, eines, das ohne Schul­me­dizin mit den herkömm­li­chen »Busch­doktor«-Methoden Krank­heiten vertreibt. Was wie ein Witz klingt, ist in Wahrheit das Unter­nehmen eines äußerst gebil­deten Mannes, hier ist sogar der Ausdruck des »Weisen« ange­bracht, der mit seinem Wissen über Kräuter und Heil­me­thoden die Schul­me­dizin bewusst dort ergänzt, wo sie nichts ausrichten kann, nämlich bei den »Krank­heiten der Nacht«. Sein Denken entführt in das mystische Dickicht des Dschun­gels, dahin, wo die Geister mit der Seele zu tanzen beginnen. Dansa als esperits, der out of Africa in der Reihe Pompeu Fabra lief, über­raschte durch den in ihm gezeigten Synkre­tismus, über das klare Mitein­ander von Moderne und Tradition, von afri­ka­ni­scher und fran­zö­si­scher Sprache, von Stadt und Dschungel. Inter­es­sant war der ethno­lo­gi­sche Ansatz des Filme­ma­chers. Er zieht sich als filmendes Subjekt zurück zugunsten seines Prot­ago­nisten und der porträ­tierten Welt, erklärt nichts, zeigt nur, und lässt die Welt sich selbst erklären.

Free Africa!

Es gab viele Bilder aus Afrika dieses Jahr in Rotterdam zu sehen, und viele Bilder über Afrika. Die in Afrika entstan­denen Spiel­filme versuchten sich oftmals im publi­kumsträch­tigen Genre wie der sehr unaus­ge­go­rene, im Kudoro-Musik-Milieu spielende Action­film A guerra do Ku-Duro des ango­le­si­schen Henrique Narciso 'Dito' oder die Gauner­komödie Balas e pistolas des Angolesen Francisco Cafua. Ein ernst zu nehmender Doku­men­tar­film aus Afrika kam von Moussa Toure, einem Sene­ga­lesen, der in Les tech­ni­ciens nos cousins die selbst­ver­schul­dete Ausweg­lo­sig­keit der Malaria aufzeigte.

Die Frage bleibt nur: Wer soll sich das ansehen? Die Afrikaner füllen die wenigen Kinos, die sie noch haben, mit den für sie abfal­lenden Filmen aus der Traum­fa­brik Holly­woods. Die Europäer finden in den in Afrika entstan­denen Filmen kaum Erfüllung ihrer Ansprüche an ein gutes Kino. Bleiben die Festivals, die Aufklä­rungs­gruppen vor Ort, die Film­schulen, die sich mit den Filmen befassen werden. Eine Alter­na­tive zu diesen etablierten, aber vermut­lich schei­ternden Kino­formen könnte das unab­hän­gige Gara­gen­kino sein, mit dem die jungen Phil­ip­pinen seit längerem erfolg­reich ihre Werke der eigenen Bevöl­ke­rung zeigen. Und eine ganz eigene Welle begründen konnten. Free Africa!