Binokulare Dysphorie |
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Bilder, die die Welt nicht braucht: Die turmspringende Giraffe aus 5 m 80 von Nicolas Deveaux |
Von Dunja Bialas
»Der stereoskopische Film scheint sich zu etablieren«, schrieb Kulturkritiker Georg Seeßlen 2012, »wenn auch nicht mit der schnellen Marktmacht, wie es sich die Produktionsfirmen vorstellen, so doch mit einer gewissen Beharrlichkeit, die auf mehr schließen lässt als den Einsatz von medialem Einfluss, Werbeeffekten und Medien-Hype.«
Das Referenzsystem für 3D, als das der »stereoskopische« Film geläufig ist, ist zweifelsohne der kommerzielle Film, mit Avatar als Initiation. Die 61. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, die sich bereits in den letzten beiden Jahren mit »Flatness« und »Film without Film« medial perspektivierten Themen widmeten, schlossen dieses Jahr ihre (so vermuten wir) Thementrilogie mit dem »Dritten Bild« ab und fragten nach den Möglichkeiten des 3D-Films als experimentelle kinematographische Anordnung. Eine Herausforderung für die Besucher des Oberhausener Festivals, das seit seinem berühmten Manifest gegen »Opas Kino« im Jahr 1962 kommerzielle und auch konventionelle Kinoformen hinterfragt, wenn nicht sogar bekämpft. Aber ist 3D per se kommerziell? Und was hätte das Kino und die Kunst von 3D, falls es sich tatsächlich wie der Ton- und Farbfilm etablieren würde, wie die Befürworter sagen?
Um es kurz zu machen: Die Antworten blieb das Programm schuldig. Viele der im 3D-Programm präsentierten Filme muteten auf der experimentellen Kurzfilm-Drehscheibe Oberhausen zudem befremdlich an. UdK-Mitarbeiter Björn Speidel, der die Reihe zusammengestellt hatte, brachte offenkundig ein anderes Verständnis vom »Experimentellen« mit als die cineastischen Festivalbesucher. Er hatte sich, so erläuterte er zum Auftakt seiner sechs Programme, die jeweils einen letztlich nichtssagenden Untertitel wie »RealReal«, »Space Scan«, »Face of Surface« oder »Ornament« trugen, bei der Auswahl der Filme »phänomenologisch« leiten lassen. Man erfreute sich dann vor allem daran, dass man mit drei unterschiedlichen Brillen hantierte: anaglyph, prismatisch, polarisierend.
Trotz der Ankündigung überspannten viele Programme den paradigmatischen Rahmen, in dem man sich so manchen der präsentierten Filme als wichtige Beispiele hätte eingehen lassen. Innerhalb der oft unerträglich in die vierte Dimension der Zeit ausgreifenden, überlangen Programme machten sich unangenehm die Arbeiten bemerkbar, die dem Bereich der computergenerierten Medienkunst entstammten. Streckenweise mündeten die Präsentationen in eine Leistungschau des technisch Möglichen, die von betörend-bedeutungsvoller Musik untermalt wurde, um das Abheben im Bild zu unterstreichen. _grau, eine animierte Grafik von Robert Seidel (D 2015), zeigte, wie 3D am Computer geht (»hierzu wurden mannigfaltige Experimente von Zeichnungen über 3D-Scans bis hin zu MRT-Daten gesammelt«, heißt es im Katalog), ebenso wie Our World is a Crazy Fractal (CA 2014 von San Base), einer computernerdigen Hasch-Fantasie, zu der es wiederum im Katalog heißt: »(…) eine Reise durch virtuelle Fantasiewelten. All diese Welten existieren, sie sind real. Allerdings existieren sie im mathematischen Raum und nicht in der physischen Welt.«
Besonders ermüdend waren jedoch die Tanzfilme, in denen sich Halbnackte in einer gefälligen Choreographie zu geschmackvoller Musik bewegten. Das kanadische Werk Ora von Philippe Baylaucq (2011) nutzt »als erster Film überhaupt (…) ein thermographisches 3D-Verfahren, um bisher ungeahnte Bilder zu erzeugen« (Katalog). Auch wenn der Raum kunstvoll verspiegelt war, war dies vier Jahre nach Wim Wenders Pina, dem heute hinlänglich bekannten Meilenstein des 3D-Tanzfilms, ein ganz und gar überflüssiger Programmpunkt, der in der anbiedernden Ästhetik des Schönen gerade nicht beeindruckte. Die Programme schwankten insgesamt zwischen Medienkunst und Kunstgewerbe, zwei deutlich sichtbare Linien, zwischen denen sich dann die durchaus vorhandenen Trouvaillen des 3D nicht nur versteckten, sondern schlimmer noch, durch diese durchaus anödende und abtörnende Nachbarschaft des Gefallsüchtigen kontaminiert wurden.
Besonders augenfällig wurde dies bei der Präsentation von Box von Ito Takashi von 1982, dem Oberhausen dieses Jahr ein eigenes »Profile« widmete. Alle, die zuvor die Filme des 1956 geborenen japanischen Regisseurs als experimentelle Scary Movies kennenlernen durften, in denen die Drehung von Kamera und Raum und den dadurch resultierenden unheimlichen Raum-Verschiebungen als eines seiner Stilistika auffielen, sahen den im 3D-Programm ein zweites Mal präsentierten Film plötzlich sich verflachen: er wurde bloßes Kameraspiel eines Möchtegern-3D-Films, bar jeglicher kinematographischer Aussage. Die Reaktion Ito Takashis auf die dermaßen kontextualisierte Präsentation seines Films gab zum Ausdruck, dass er dies wohl eher als Plünderung erlebte. Vehement widersetzte er sich beim Publikumsgespräch der Vereinnahmung seines Werkes durch den 3D-Fokus.
Bei aller Kritik ist hervorzuheben, dass das Thema durchaus interessant gesetzt war. Durch den Verzicht auf redundante Phänomene des medialen oder kunstgewerblichen Kinos, das 3D als Effekte-Kino vorführt, und durch die Akzentuierung des tatsächlichen Reihentitel »Das dritte Bild« hätte mit den ausgewählten Arbeiten ein durchaus spannendes Programm erlebt werden können. Besonders hervorzuheben ist Color Rhapsody von Mary Ellen Bute (USA 1948) als frühes Beispiel dafür, wie im Experimentieren mit Farben aufgrund der unterschiedlichen Farbwerte durch die entsprechende Brille betrachtet 3D entsteht. Paul Sharits 3D-Movie als (fast) Welturaufführung in Oberhausen hätte, richtig kontextualisiert, ehrfürchtiges Hinsehen erfahren, anstatt von einem vom strukturellen Bildrauschen angeödeten 3D-Zuschauer lautstark angegähnt zu werden. Interessant war auch der Versuch, Stare (D 1991) von Karl Kels als 3D-Film zu präsentieren. Keine der drei Brillen brachte den entsprechenden Effekt. Der Film ist und bleibt tolles 2D in Schwarzweiß. So spricht man nach dem Programm über Filme, auch das ist bezeichnend.
Die Mischung aus narrativem und Effekte-Kino, in das die experimentellen Werke gebettet waren, gab den nicht kuratorisch zu nennenden Rundumschlag, der keinen wirklichen Gedankenraum öffnen konnte. Dies war im Jahr zuvor noch mit dem anspruchsvoll präsentierten Thema »Film without Film« gelungen, und zwar auch dann, wenn nicht offensichtliche Programmpunkte erhellend vermittelt wurden.
Nach dem Erkenntniswert fragte dann noch das Podium zum »Thema«, auf dem sich verschiedene Befürworter des 3D versammelten. Bei der Besetzung fehlte, obgleich dies das Podium mit seiner Fragestellung »Was ist vom stereoskopischen Kino zu erwarten?« vorgab, der hinterfragende Filmwissenschaftler, dem es um Film als narratives und audiovisuelles Dispositiv mit all seinen Implikationen und Dimensionen geht, und 3D nicht eindimensional zur technischen Möglichkeit herunterrechnet. Die Erkenntnis von Podium und dem zuvor konsumierten Programm war gleich null. Dabei hätte es genügt, als kollektives Seherlebnis die in einem Kinosaal als Loop präsentierte Arbeit mit anschließender Diskussion anzubieten. Die Arbeit Curtains von Lucy Raven (USA 2014) ist, anders als die im Themen-Hauptprogramm präsentierten aufwendigen technischen Werke von Steigerung und Überbietung, ganz einfach: Mittels einer Anaglyphen-Brille mit einem blauen und einem roten Glas wird hier 3D als technisches, vor allem aber auch physiologisch-psychologisches Phänomen deutlich. Ein blaues Bild fährt auf ein rotes Bild zu, sie öffnen den komplementären Bildausschnitt bis zur identischen Überlappung: Voilà das dreidimensionale Bild. Verblüffend war, wie sich das Gehirn an dieses entstandene plastische Bild als Sehkonvention der bildlichen Einstimmigkeit klammert, während die Einzelfarbbilder, in Rot und Blau getrennt, allmählich wieder auseinander driften: Es gibt einen kurzen Moment des Schielens, bevor das Auge akkomodiert und die Bilder trennt. Dann sind da wieder zwei Bilder: ein rotes, ein blaues.
Eine der bewundernswerten Augenleistungen, die das Sehen von 3D-Bildern auf Dauer physiologisch so schädlich macht. Risiko und Nebenwirkung von zu viel 3D-Konsum, so ist im Katalog nachzulesen, ist die »binokulare Dysphorie«. Wir verstehen dies, im Hinblick auf das erlebte Programm, gerne auch im übertragenen Sinne.
Weiterführende Literatur:
Raumdeutung. Zur Wiederkehr des 3D-Films, Hg. Von Jan Distelmeyer, Lisa Andergassen, Nora Johanna Werdich, transcript Verlag 2012
3D – Filmisches Denken einer Unmöglichkeit von Elisa Linseisen, Königshausen u. Neumann 2014