06.05.2015

Bino­ku­lare Dysphorie

Die turmspringende Giraffe aus »5 m 80«
Bilder, die die Welt nicht braucht: Die turmspringende Giraffe aus 5 m 80 von Nicolas Deveaux

Das diesjährige »Thema« der 61. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen galt dem stereoskopischen Film und offenbarte sich als recht eindimensional

Von Dunja Bialas

»Der stereo­sko­pi­sche Film scheint sich zu etablieren«, schrieb Kultur­kri­tiker Georg Seeßlen 2012, »wenn auch nicht mit der schnellen Markt­macht, wie es sich die Produk­ti­ons­firmen vorstellen, so doch mit einer gewissen Beharr­lich­keit, die auf mehr schließen lässt als den Einsatz von medialem Einfluss, Werbe­ef­fekten und Medien-Hype.«

Das Refe­renz­system für 3D, als das der »stereo­sko­pi­sche« Film geläufig ist, ist zwei­fels­ohne der kommer­zi­elle Film, mit Avatar als Initia­tion. Die 61. Inter­na­tio­nalen Kurz­film­tage Ober­hausen, die sich bereits in den letzten beiden Jahren mit »Flatness« und »Film without Film« medial perspek­ti­vierten Themen widmeten, schlossen dieses Jahr ihre (so vermuten wir) Themen­tri­logie mit dem »Dritten Bild« ab und fragten nach den Möglich­keiten des 3D-Films als expe­ri­men­telle kine­ma­to­gra­phi­sche Anordnung. Eine Heraus­for­de­rung für die Besucher des Ober­hau­sener Festivals, das seit seinem berühmten Manifest gegen »Opas Kino« im Jahr 1962 kommer­zi­elle und auch konven­tio­nelle Kino­formen hinter­fragt, wenn nicht sogar bekämpft. Aber ist 3D per se kommer­ziell? Und was hätte das Kino und die Kunst von 3D, falls es sich tatsäch­lich wie der Ton- und Farbfilm etablieren würde, wie die Befür­worter sagen?

Um es kurz zu machen: Die Antworten blieb das Programm schuldig. Viele der im 3D-Programm präsen­tierten Filme muteten auf der expe­ri­men­tellen Kurzfilm-Dreh­scheibe Ober­hausen zudem befremd­lich an. UdK-Mitar­beiter Björn Speidel, der die Reihe zusam­men­ge­stellt hatte, brachte offen­kundig ein anderes Vers­tändnis vom »Expe­ri­men­tellen« mit als die cine­as­ti­schen Festi­val­be­su­cher. Er hatte sich, so erläu­terte er zum Auftakt seiner sechs Programme, die jeweils einen letztlich nichts­sa­genden Unter­titel wie »RealReal«, »Space Scan«, »Face of Surface« oder »Ornament« trugen, bei der Auswahl der Filme »phäno­me­no­lo­gisch« leiten lassen. Man erfreute sich dann vor allem daran, dass man mit drei unter­schied­li­chen Brillen hantierte: anaglyph, pris­ma­tisch, pola­ri­sie­rend.

Standbild <q>Our World is a Crazy Fractal</q>
Diese Welt gibt es wirklich. Im mathe­ma­ti­schen Raum: Our World is a Crazy Fractal

Trotz der Ankün­di­gung über­spannten viele Programme den para­dig­ma­ti­schen Rahmen, in dem man sich so manchen der präsen­tierten Filme als wichtige Beispiele hätte eingehen lassen. Innerhalb der oft uner­träg­lich in die vierte Dimension der Zeit ausgrei­fenden, über­langen Programme machten sich unan­ge­nehm die Arbeiten bemerkbar, die dem Bereich der compu­ter­ge­nerierten Medi­en­kunst entstammten. Stre­cken­weise mündeten die Präsen­ta­tionen in eine Leis­tungs­chau des technisch Möglichen, die von betörend-bedeu­tungs­voller Musik untermalt wurde, um das Abheben im Bild zu unter­strei­chen. _grau, eine animierte Grafik von Robert Seidel (D 2015), zeigte, wie 3D am Computer geht (»hierzu wurden mannig­fal­tige Expe­ri­mente von Zeich­nungen über 3D-Scans bis hin zu MRT-Daten gesammelt«, heißt es im Katalog), ebenso wie Our World is a Crazy Fractal (CA 2014 von San Base), einer compu­ter­nerdigen Hasch-Fantasie, zu der es wiederum im Katalog heißt: »(…) eine Reise durch virtuelle Fanta­sie­welten. All diese Welten exis­tieren, sie sind real. Aller­dings exis­tieren sie im mathe­ma­ti­schen Raum und nicht in der physi­schen Welt.«

Besonders ermüdend waren jedoch die Tanzfilme, in denen sich Halb­nackte in einer gefäl­ligen Choreo­gra­phie zu geschmack­voller Musik bewegten. Das kana­di­sche Werk Ora von Philippe Baylaucq (2011) nutzt »als erster Film überhaupt (…) ein ther­mo­gra­phi­sches 3D-Verfahren, um bisher ungeahnte Bilder zu erzeugen« (Katalog). Auch wenn der Raum kunstvoll verspie­gelt war, war dies vier Jahre nach Wim Wenders Pina, dem heute hinläng­lich bekannten Meilen­stein des 3D-Tanzfilms, ein ganz und gar über­flüs­siger Programm­punkt, der in der anbie­dernden Ästhetik des Schönen gerade nicht beein­druckte. Die Programme schwankten insgesamt zwischen Medi­en­kunst und Kunst­ge­werbe, zwei deutlich sichtbare Linien, zwischen denen sich dann die durchaus vorhan­denen Trou­vaillen des 3D nicht nur versteckten, sondern schlimmer noch, durch diese durchaus anödende und abtör­nende Nach­bar­schaft des Gefallsüch­tigen konta­mi­niert wurden.

Filmszene <q>Ora</q>
Oh nein, und jetzt auch noch ein Foto! – Ora

Besonders augen­fällig wurde dies bei der Präsen­ta­tion von Box von Ito Takashi von 1982, dem Ober­hausen dieses Jahr ein eigenes »Profile« widmete. Alle, die zuvor die Filme des 1956 geborenen japa­ni­schen Regis­seurs als expe­ri­men­telle Scary Movies kennen­lernen durften, in denen die Drehung von Kamera und Raum und den dadurch resul­tie­renden unheim­li­chen Raum-Verschie­bungen als eines seiner Stilis­tika auffielen, sahen den im 3D-Programm ein zweites Mal präsen­tierten Film plötzlich sich verfla­chen: er wurde bloßes Kame­ra­spiel eines Möch­te­gern-3D-Films, bar jeglicher kine­ma­to­gra­phi­scher Aussage. Die Reaktion Ito Takashis auf die dermaßen kontex­tua­li­sierte Präsen­ta­tion seines Films gab zum Ausdruck, dass er dies wohl eher als Plün­de­rung erlebte. Vehement wider­setzte er sich beim Publi­kums­ge­spräch der Verein­nah­mung seines Werkes durch den 3D-Fokus.

Standbild <q>Color Rhapsody</q>
Eine Erholung im Programm: Color Rhapsody

Bei aller Kritik ist hervor­zu­heben, dass das Thema durchaus inter­es­sant gesetzt war. Durch den Verzicht auf redun­dante Phänomene des medialen oder kunst­ge­werb­li­chen Kinos, das 3D als Effekte-Kino vorführt, und durch die Akzen­tu­ie­rung des tatsäch­li­chen Reihen­titel »Das dritte Bild« hätte mit den ausge­wählten Arbeiten ein durchaus span­nendes Programm erlebt werden können. Besonders hervor­zu­heben ist Color Rhapsody von Mary Ellen Bute (USA 1948) als frühes Beispiel dafür, wie im Expe­ri­men­tieren mit Farben aufgrund der unter­schied­li­chen Farbwerte durch die entspre­chende Brille betrachtet 3D entsteht. Paul Sharits 3D-Movie als (fast) Weltur­auf­füh­rung in Ober­hausen hätte, richtig kontex­tua­li­siert, ehrfürch­tiges Hinsehen erfahren, anstatt von einem vom struk­tu­rellen Bild­rau­schen angeö­deten 3D-Zuschauer lautstark angegähnt zu werden. Inter­es­sant war auch der Versuch, Stare (D 1991) von Karl Kels als 3D-Film zu präsen­tieren. Keine der drei Brillen brachte den entspre­chenden Effekt. Der Film ist und bleibt tolles 2D in Schwarz­weiß. So spricht man nach dem Programm über Filme, auch das ist bezeich­nend.

Filmszene <q>Stare</q>
Beim besten Willen: kein 3D. Stare von Karl Kels

Die Mischung aus narra­tivem und Effekte-Kino, in das die expe­ri­men­tellen Werke gebettet waren, gab den nicht kura­to­risch zu nennenden Rund­um­schlag, der keinen wirk­li­chen Gedan­ken­raum öffnen konnte. Dies war im Jahr zuvor noch mit dem anspruchs­voll präsen­tierten Thema »Film without Film« gelungen, und zwar auch dann, wenn nicht offen­sicht­liche Programm­punkte erhellend vermit­telt wurden.

Nach dem Erkennt­nis­wert fragte dann noch das Podium zum »Thema«, auf dem sich verschie­dene Befür­worter des 3D versam­melten. Bei der Besetzung fehlte, obgleich dies das Podium mit seiner Frage­stel­lung »Was ist vom stereo­sko­pi­schen Kino zu erwarten?« vorgab, der hinter­fra­gende Film­wis­sen­schaftler, dem es um Film als narra­tives und audio­vi­su­elles Dispo­sitiv mit all seinen Impli­ka­tionen und Dimen­sionen geht, und 3D nicht eindi­men­sional zur tech­ni­schen Möglich­keit herun­ter­rechnet. Die Erkenntnis von Podium und dem zuvor konsu­mierten Programm war gleich null. Dabei hätte es genügt, als kollek­tives Seherlebnis die in einem Kinosaal als Loop präsen­tierte Arbeit mit anschließender Diskus­sion anzu­bieten. Die Arbeit Curtains von Lucy Raven (USA 2014) ist, anders als die im Themen-Haupt­pro­gramm präsen­tierten aufwen­digen tech­ni­schen Werke von Stei­ge­rung und Über­bie­tung, ganz einfach: Mittels einer Anagly­phen-Brille mit einem blauen und einem roten Glas wird hier 3D als tech­ni­sches, vor allem aber auch physio­lo­gisch-psycho­lo­gi­sches Phänomen deutlich. Ein blaues Bild fährt auf ein rotes Bild zu, sie öffnen den komple­men­tären Bild­aus­schnitt bis zur iden­ti­schen Über­lap­pung: Voilà das drei­di­men­sio­nale Bild. Verblüf­fend war, wie sich das Gehirn an dieses entstan­dene plas­ti­sche Bild als Sehkon­ven­tion der bild­li­chen Einstim­mig­keit klammert, während die Einzel­farb­bilder, in Rot und Blau getrennt, allmäh­lich wieder ausein­ander driften: Es gibt einen kurzen Moment des Schielens, bevor das Auge akko­mo­diert und die Bilder trennt. Dann sind da wieder zwei Bilder: ein rotes, ein blaues.

Filmszene <q>Curtains</q>
Ganz einfach: so entsteht 3D. Curtains von Lucy Raven ist darüber hinaus ein guter Film, der seine eigene Media­lität offenbart.

Eine der bewun­derns­werten Augen­leis­tungen, die das Sehen von 3D-Bildern auf Dauer physio­lo­gisch so schädlich macht. Risiko und Neben­wir­kung von zu viel 3D-Konsum, so ist im Katalog nach­zu­lesen, ist die »binoku­lare Dysphorie«. Wir verstehen dies, im Hinblick auf das erlebte Programm, gerne auch im über­tra­genen Sinne.

Weiter­füh­rende Literatur:
Raum­deu­tung. Zur Wieder­kehr des 3D-Films, Hg. Von Jan Distel­meyer, Lisa Ander­gassen, Nora Johanna Werdich, tran­script Verlag 2012
3D – Filmi­sches Denken einer Unmög­lich­keit von Elisa Linseisen, Königs­hausen u. Neumann 2014