Nihilisten küssen besser |
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Siebzehn – Monja Arts Preisträgerfilm |
»Hoffnung?« – »L’espoir!«; »Kleid?« – »La Robe!«; »Haare?« – »Les cheveux!«; »J'aime. J'aimais; J'ai aimé« – Französischlektionen in der Schule.
Der Schauplatz ist natürlich ein düsteres Paradies: Es ist Sommer, kurz vor Abschluss des Schuljahres, kurze Hotpants, die verschwitzten Hände, das warme Licht der Jugend kommt zurück scheint über ein Internat im österreichischen Land. Paula ist eine Externe, sie ist ist eine Einzelgängerin. Paula ist siebzehn. Paula ist reifer, erwachsener als viele ihrer Klassenkameraden, sie macht sich Gedanken. Sie liebt Französisch. Und sie liebt Charlotte – heimlich natürlich, zumal
Charlotte mit einem Jungen zusammen zu sein scheint.
Das Alltägliche, und die Liebe als Schicksalsmacht sind das Sujet eines Films, der mit Träumen, Phantasien, und viel subjektiver Perspektive schon jetzt einer der besten Filme des Jahres ist – auch in seinem Einsatz der Musik als Mittel zur Ausgelassenheit.
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Einmal erklärt Paula im Französischunterricht, wer und was Emma Bovary ist: »Emma Bovary nimmt ihre Vorstellung/Konzeption von Liebe aus Novellen. Daher glaubt sie, Liebe müsse voller Passion, Drama und Leid sein. Für sie ist es keine echte Liebe, solange es keine Probleme gibt. Eines Tages heiratet sie einen Mann. Und mehr und mehr langweilt sie sich in der Ehe. Und sie versucht sich daraus zu befreien, indem sie Affären hat. Bis sie eines Tages jemanden trifft, mit dem sie die
absolute Liebe erfährt.
Leider ist diese Liebe sehr schmerzhaft. Weil er sie wie ein Tier behandelt.«
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Auf die Frage, »was fasziniert Dich an Proust?« erklärt sie »Proust weiß, dass das Abwesende oft viel faszieriender ist, als das Anwesende, nicht Reisen, sondern Reiseprospekte lesen, nicht Zugfahren, sondern Fahrpläne. Eine starke Dosis Eifersucht. Weil dies die Liebe erhält. Das Alltägliche, der Alltag ist der Tod der Liebe.«
Und später dann sehen es alle, nur Paula sieht es nicht. Weil Paula glaubt, dass Leid zur Liebe gehört.
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Überaus verdient gewann Siebzehn – das ausgezeichnete Spielfilm-Debüt der Österreicherin Monja Art - den diesjährigen Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken. Auch der Preis für die beste Darstellerin ging an diesen Film – genauer an Elisabeth Wabitsch, eine tolle Darstellerin, die die Hauptfigur Paula mit einer Ausstrahlung spielt, die kaum zwei Prozent ihrer Kollegen haben: dass man sich nach ihr umdreht. Nicht weil sie gut aussieht – das tut sie zwar auch – aber weil sie das »gewisse Etwas« hat. Es genügt, wenn Wabitsch eine Mandarine schält, oder einfach so dasitzt – sie hat Energie, sie hält einen gefangen.
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Ich hatte den Film noch nicht gesehen, da hab ich sie gesehen, irgendwo, im Kino oder im C&A und ich weiß, wie ich dachte »Hoppla!« und mich nach ihr umgedreht habe. Das hat genügt.
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Die Liebe zu Frankreich, auch zum französischen Autorenkino, gibt diesem Film die Richtung. Regisseurin Monja Art, Jahrgang 1984, mag Autofahren, Musik und Literatur. Sie hat auch einen Mut zur Intellektualität, der fasziniert, besticht und bezaubert – zumal die Intelligenz dieses Films nie aufdringlich ist. Paula ist eine junge Schwester von Antoine Doinel, und Siebzehn ist so ein großartiger endsgeiler Film. Mit seinen Subjektive: Träumen, Phantasien, und subjektiven Raumveränderungen.
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Es waren ausgezeichnete Entscheidungen der Jury, die das diesjährige »Festival-Max-Ophüls-Preis« in Saarbrücken, das erste unter neuer Leitung, abrundeten. Zur neuen Leiterin Svenja Böttger müssen wir noch mal in Ruhe kommen – jetzt geht es erstmal um die Hauptsache: Die Filme.
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Es war ein guter Jahrgang auf allen Ebenen, auf denen hier Preise vergeben wurden. Dass dann auch noch die richtigen Filme gewannen – das gab es schon lange nicht in Saarbrücken, wo nicht immer die Filme, aber oft die Preise enttäuschten. Und die Preise gingen nur an Frauen, in einem Festival, bei denen etwa die Hälfte der Filme von Regisseurinnen stammte.
Bezeichnend für die Lage des deutschsprachigen Filmnachwuchses war auch, dass der Siegerfilm aus Österreich kam
– wie auch Die Migrantigen, der den Publikumspreis gewann. Denn in der Schweiz und in Österreich ist das Kino grundsätzlich mutiger und kunstvoller, die Qualität des Filmnachwuchses auf höherem Niveau.
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Ein solcher Film wie Siebzehn hätte vor den Augen der spießigen deutschen Fördergremien außerdem nie im Leben Gnade gefunden. Hier wird gerade nicht alles auserzählt und erklärt, hier sind die Figuren so widersprüchlich wie das Leben.
Von Widersprüchen handelt auch Nora Fingscheidts Dokumentarfilm Ohne diese Welt, in dem die Regisseurin eine deutschstämmige
Mennoniten-Gemeinde porträtiert, die im abgelegenen Norden Argentiniens so leben wie im 18. Jahrhundert. Die Techniken der modernen Welt lehnen sie ab – trotzdem lässt sich die Welt nicht ganz ausschließen, und so bietet dieser sehr stilbewusst gedrehte Film einen Kulturclash der anderen Art.
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Viel Bla bot ein Panel der Produzenten-Allianz zu den Chancen junger Produzenten: Der älteste von allen war der Jungproduzent Korbinian Dufter aus München. Er meinte gleich zu Beginn, an Filmhochschulen würde ja viel Fokus auf das Kreative – »aber dann, was ist dann eigentlich möglich in Deutschland?« Man müsse »sehr taktisch denken«. Dass der neben ihm sitzende Sky-Redakteur dann sagen musste, er haben den jungen Leuten erklärt: »macht mal ohne Handbremse« spricht Bände. Bei
Sky möge man Science-Fiction, keine Religion, außer, wenn es um junge Leute geht. Wenn also ein Produzent gerade ein Script zum Sujet »Junge Nonnen im Weltraum« hat – her damit! Stefanie Gross vom SWR erklärte, dass sie eigentlich Aufgaben der Filmförderung übernehme: »Eigentlich geht’s doch darum, das Talent zu fördern.«
Interessanter dann die Ausführungen von Alexandre Geisselmann vom Farbfilm-Verleih: »Das was gerade passiert ist, dass das Kino seine eigenen Probleme
schafft. Dass Kino schreibt den Leuten vor, was sie sehen müssen; das Kino schafft die Mund-zu-Mund-Propaganda ab.« Und: »Wie macht man aus einem Blockbuster einen Arthouse-Film? Indem man ihn in OV zeigt. Darum lief Star Wars in Arthouse-Kinos.«
Auch sonst: Bei einem Filmfestival redet die Produzentenallianz über Serien. Ist das der Sinn der Sache?
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»Ja sind denn die österreichischen Filme so viel besser?« fragte Stephanie Groß auf dem Podium. »Ja!« antwortete der Saal. Die Bestätigung waren die Preise.
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Völlig losgelöst entfernt sich der Mensch vom Rest der Welt – vor rund einem Jahr starb David Bowie, der einst sein Poem von der Einsamkeit des Astronauten Major Tom in eine Metapher über die Losgelöstheit einer ganzen Generation verwandelt hat. Auch wenn es mit der menschlichen Weltraumfahrt vorläufig mau aussieht, ist das Astronautische als Chiffre menschlicher Existenz offenbar sehr aktuell, jedenfalls, wenn man von den Filmen beim wichtigsten deutschsprachigen
Nachwuchs-»Festival-Max-Ophüls-Preis« in Saarbrücken ausgeht. Gleich mehrfach geht es da ganz konkret um die Weltraumfahrt, die das Versprechen großer Entgrenzung und Ungebundenheit ebenso in sich trägt wie den Horror Vacui der unendlichen Weiten des Weltalls, der perfekt der großen Leere einer Zukunft ohne Utopie zu entsprechen scheint, die nicht nur viele junge Menschen – Filmemacher wie ihre Figuren – derzeit empfinden.
Der Schweizer Timo von Gunten, mit La Femme et le TGV soeben für den Kurzfilm-Oscar nominiert, verbindet die Geschichte der Voyager-Sonde mit einer sehr sinnlichen Tour des Force einer jungen Frau durch Bulgarien zu einer stilistisch wie intellektuell anspruchsvollen Reflexion über die verwahrloste Seite Europas und Menschlichkeit in Zeiten der Globalisierung. Was die Erde verlassen hat, muss auch eines Tages
zurückkehren.
Jeder ist in seinem eigenen Orbit in Die Körper der Astronauten. Das so mutige wie originelle Debüt der Kölner KHM-Studentin Alisa Berger beginnt erratisch, mit einem Zitat des Philosophen Helmuth Plessner über den Zusammenhang von Weltraumfahrt und Freiheit, mit Bildern der Sterne und des blauen Planeten, mit einer langen Szene, in der zwei Schwestern miteinander im Kinderzimmer einen Raumschifftrip spielen, und vergeblich »Houston« um
Hilfe bitten, und mit Dokumentaraufnahmen der ersten Mutter, die von der NASA ins Weltall geschossen wurde. Vielleicht steht sie für die fehlende Mutter einer vierköpfigen Familie: Das ältere Zwillingspaar hat gerade Abi gemacht, und entdeckt die Welt, in diesem Fall ihren Körper: Linda läuft einem jungen Burschen hinterher, der das nicht verdient, Anton hat sich für einen absurden Menschenversuch verpflichtet, bei dem Auswirkungen der Schwerelosigkeit getestet werden – er
muss dazu ein halbes Jahr im Liegen verbringen. Für beide sind das Fluchtversuche aus der häuslichen Hölle, in der der Alkoholiker-Vater zunehmend verwahrlost, mitten im Auge des Sturm bleibt die achtjährige Schwester Irene hilflos zurück. »Die Körper der Astronauten« will alles, erreicht viel, und besticht sowohl durch ausgezeichnete Leistungen der jungen Darsteller (nur Lars Rudolphs Vaterfigur agiert erwartbar), wie durch exzellente Kamera und die Multitaskingleistung der
Filmemacherin, die auch Buch, Schnitt und Produktion verantwortet.
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Beide Filme trauen sich zwischen den Bildern auch die Frage nach der Utopie zu stellen. Vielen anderen Werken scheint der pessimistische Realismus eine jungen Film-Generation im Weg zu stehen, neben denen die abgebrühten Verleiher und TV-Redakteure auf den Debattenpanels (in Saarbrücken u.a. über »Chancen junger Produzenten«, »Frauen im Kino«, »Gerechtigkeit«) plötzlich wie idealistische Spinner wirken.
Noch in der Selbstausbeutung die zu solcher Art Autorenkino
schon immer gehörten, scheint auch Zeittypisches auf, denn die Klagen der Filmbranche über prekäre Arbeitsverhältnisse häuften sich auch in Saarbrücken: Weibliche Hauptfiguren und Frauen, die Regie führen – das scheint, auch im Jahr 1 nach Toni Erdmann so etwas wie der rote Faden im deutschen Kino zu werden. Was bislang in Saarbrücken zu sehen war, ist jedenfalls über den Verdacht
erhaben, nur aus Gründen der Quote oder des »political chic« ausgewählt worden zu sein. Die zuletzt oft diskutierte Frage der gerechten Beteiligung von Frauen steht als politisches Thema zunächst einmal der Kunst fern. Doch die politische Frage wandelt sich im Kino schnell zur ästhetischen. Wie verändern sich Stoffe und Figuren dadurch, dass der Frauenanteil zunimmt? Gibt es »weibliche Ästhetik«? Und was heißt sie? Luise Heyer, in letzter Zeit einer der Shooting Stars des deutschen
Films, ist diesmal gleich mit zwei Hauptrollen vertreten: In Einmal bitte alles von Helene Hufnagel spielt sie eine junge Frau, die nicht erwachsen werden will und die sich auch fragt, warum sie das muss. In Die Reste meines Lebens hat sie es mit einem jungen Witwer zu tun, der neu anfangen will, aber vom Alte
eingeholt wird. Beide Filme werden getragen von der sensiblen Darstellerin, die den Holzschnittkonstruktionen des Plots Leben und Überraschung einhaucht.
Wie kompliziert das Leben in allen Altersstufen ist, das zeigte auch Liebes Ich von Louise Makarov, ein schräger Dokumentarfilm, in dem die Regisseurin Berliner aufspürt, die sich selbst Briefe schreiben, die sie gern bekommen hätten – ein skurilles Panorama kleiner Abgründe und großer
Lebensfragen.
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Auch der Sieger im mittellangen Film kam aus Österreich: Maria Luz Olivares Capelle studiert an der Filmakademie Wien, und erzählt mit Wald der Echos von einer jungen Frau in Form eines Märchens für Erwachsene, das Erinnerungen an Schnitzler, Wedekind, Bruckner und überhaupt die vorige Jahrhundertwende und das Frühlingserwachen der Moderne wachruft. Der Wald ist mit seinen Echos ein Ort des Übergangs, der Versuchung und der Initiation.
Von der
»Krankheit der Jugend« und Mädchen und der Liebe zur Destruktion handelt auch ein weiterer Film, bei dem der Forst zur Chiffre für die Verwirrungen, die Holzwege und das Labyrinthische des Lebens wird: Wald von Sarah Ben Hardouze von der Münchner Filmhochschule, ein zweiter Film im mittellangen Wettbewerb, und ein wunderschönes Filmwerk über Negativität und den Todestrieb: Eine junge Frau mit Lederjacke, baut ein Haus aus toten Bäumen, spielt in einer
Heavy-Metal-Band und balanciert auf dem schmalen Grad zwischen Überdruss und Daseinslust. Mitten im Leben ist sie vom Tode umgeben. Die Großmutter stirbt und ein kleines Mädchen spielt »Friedhof«.
Das dritte Highlight im Wettbewerb der mittellangen Filme war Albert Meisls Der Sieg der Barmherzigkeit, abermals ein Film aus Österreich. Ein Alltagsdrama über den Zusammenhang von Kunst und Freiheit das endgültig den Eindruck untermauerte, das die
künstlerisch hochrangigste Reihe in Saarbrücken wieder einmal der Wettbewerb der mittellangen Filme unter 60 Minuten war – diese waren neben dem großen Sieger die wahren Entdeckungen beim Max-Ophüls-Festival.