04.09.2021
78. Filmfestspiele von Venedig 2021

78. Filmfestspiele Venedig 2021: Kurzkritiken

Dune
Audrey Diwans L’ÉVÉNEMENT
(Foto: BIENNALE CINEMA 2021 Press Service)

Fortlaufend aktualisierte Kurzkritiken diesjähriger Venedig-Filme aus allen Sektionen von Sedat Aslan und Rüdiger Suchsland

Von artechock-Redaktion

Sonntag 12. September 2021

È stata la mano di Dio (Wettbewerb, I 2021, R: Paolo Sorrentino) The Graduate auf neapolitanisch: Sorrentino verarbeitet seine Familiengeschichte in einem mal heiteren, mal bitteren Coming-of-Age-Poem. Die charakteristische Operettenhaftigkeit weicht einer zarten, aber niemals weinerlichen Sensibilität, mit der er sein jugendliches Alter Ego zwischen den überlebensgroßen Polen Fellini und D10S betrachtet. (Sedat Aslan)

Sonnabend, 11. September 2021

The Last Duel (Außer Konkurrenz, USA/UK 2021, R: Ridley Scott): Matt Damon und Adam Driver duellieren sich aufs Blut, wie es dazu kam, zeigt uns Ridley Scott à la Rashômon aus drei Erzählperspektiven. Der Ansatz verspricht zunächst Erhellendes, gerade bezüglich Gender Studies erfüllt sich das auch, die novellenhafte Story rechtfertigt die heftige Überlänge aber nicht. (Sedat Aslan)

Ennio (Außer Konkurrenz, ITA/BEL/CHN/JP 2021, R: Giuseppe Tornatore): Tornatore nimmt sich zurück, er lässt seinen Freund Morricone, dessen Melodien und zahlreiche Bewunderer sprechen. Herausgekommen ist eine fast dreistündige Chronik einer langen Karriere mit den Greatest Hits, die aber auch seine ungeheure Bandbreite zeigt. Natürlich ist das ganz unverblümt eine Hagiographie, aber was könnte man auch Kritisches über den Maestro sagen? (Sedat Aslan)

Donnerstag, 9. September 2021

Zeby nie bylo sladów (Leave No Traces) (Wett­be­werb, PL/F/CZ 2021): Multi­per­spek­ti­visch nimmt Jan P. Matus­zynski ein menschen­ver­ach­tendes System in 160 kräf­te­zeh­renden Minuten ausein­ander, Motive und Einstel­lungen, wieder­holen sich wie in einer Todesfuge, die ihre Spuren hinter­lässt. (Sedat Aslan)

Dienstag, 7. September 2021

Sundown (Wett­be­werb, MEX/FRA/SWE 2021, R: Michel Franco): Hitzig und enig­ma­tisch – Michel Franco führt uns in Sundown mehrfach hinters Licht der stechenden Sonne Acapulcos, bis er sich am Ende verrennt. Dennoch ein span­nendes Drama über Fami­li­en­dy­na­miken und Aussteig­ersehn­süchte – oder scheint es nur so…? (Sedat Aslan)

Montag, 6. September 2021

Mona Lisa and the Blood Moon (Wettbewerb, USA 2021, R: Ana Lily Amirpour): Toller Cast, tolle Kamera, toller Soundtrack und keine Minute Langeweile: warum Ana Lily Amirpours fetziges Neo-Mystery-Märchen dennoch so schnell verfliegt wie ein Furz im Sumpfland des Schauplatzes New Orleans, liegt daran, dass das Drehbuch auch für einen Genrefilm zu wenig Substanz hat, das Thema etwa rein metaphorisch behandelt, uns nichts über die Figuren erzählt und jeden Konflikt ohne Konsequenzen auflöst. (Sedat Aslan)

Compe­tencia oficial (Wettbewerb, ESP, ARG 2021, R: Gastón Duprat, Mariano Cohn): Vorhang auf für diese edel fotografierte Farce auf den künstlerischen Prozess, die in der Summe all-over-the-place ist, nichtsdestoweniger stellenweise schallend komisch, vor allem aber ein Showcase des kongenialen Schauspiel-Trios Cruz/Banderas/Martinez. (Sedat Aslan)

L’evenement(Wettbewerb, FR 2021, R: Audrey Diwan): »Vous n'avez pas le choix« – der zentrale Satz in Audrey Diwans kraftvoller Romanadaption deutet nur an, welcher Tortur eine ungewollt schwangere Frau noch im Frankreich der frühen 60er ausgesetzt war. Ein Film, der klein anfängt und immer größer wird, Anamaria Vartolomei (er)füllt fast jede Einstellung mit ihrer Präsenz. (Sedat Aslan)

Sonntag, 5. September 2021

The Card Counter (Wettbewerb, USA, UK, CH 2021, R: Paul Schrader): Paul Schraders karges Psychogramm eines Abu-Ghraib-geschädigten Spielers hat tolle Zutaten und erweckt Assoziationen zu Schiller und Dostojewski, doch im Gegensatz zu First Reformed wirkt vieles nur behauptet und bleibt merkwürdig blutleer. (Sedat Aslan)

Sonnabend, 4. September 2021

Dune (Außer Konkurrenz, USA 2021, R: Denis Villeneuve): Famous last words: »This is just the beginning.« Denn es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn es bei den bislang anvisierten zwei Dune-Filmen bleibt, und hier nicht etwas losgeht, was Franchise-haft vermarktet wird. Wie Lord of the Rings, wie Star Wars. Die Ähnlichkeiten, inhaltlich wie formal sind zu groß.
So oder so ist Dune schon jetzt, unmittelbar nach seiner Premiere in Venedig, das industrielle und industriepolitische Ereignis des Jahres.
Frank Herberts Roman aus den 1970ern, der irgendwo zwischen Science-Fiction und Fantasy angesiedelt ist, wollten schon viele verfilmen. Alejandro Jodorowski zum Beispiel. Das wäre was geworden. David Lynch hat es dann geschafft, er erlebte in diesem Film 1984 aber den größten Flop seiner Karriere. Erst heute gilt sein Dune zumindest bei manchen der Fans von Lynch oder dem Buch als Kultfilm.
Nun also Denis Villeneuve. Der einzigartige Kanadier schafft es einmal mehr, unroutinierte Bilder auf die Leinwand zu bringen, außergewöhnliches, visuell anspruchvolles Kino und Tiefgang mit Breitenwirkung zu verbinden.
Und mit Aktualität. In Dune geht es um Klimawandel und Kolonialismus, um „race“, es geht um Bodenschätze, es geht um Ausbeutung, schlechte wie gute. Um die feinen Unterschiede also. Dabei beleidigt Dune niemanden, aber begeistert durch den Verzicht auf seinen entspannten, unaufdringlich unkorrekten Blick auf Macht-Verhältnisse und angebliche Privilegien. Manche werden darauf mit den bekannten neuen Empfindlichkeiten reagieren.
Damit ist dies ein Film, der in seiner weltweiten Wirkung Hunderte von Proseminaren und „Akademie der Künste“-Ausstellungen über Postkolonialismus aufhebt und ungeschehen macht.
Vor allem aber macht er Spaß. Schöne Menschen tun schöne Dinge und verhalten sich gar heldenhaft. Blockbuster-Kino at its best! (Rüdiger Suchsland)