Die Spielwütige |
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Halt dich an meiner Liebe fest | ||
(Foto: Valeria Bruni Tedeschi · 75. Filmfestspiele Cannes) |
Von Dunja Bialas
Weil B.K. Geburtstag hat, frage ich B., ob er mitkommt. Wir treffen uns im »Pastis«. Weit und breit keine Spur von B.K. Wir bestellen uns einen Ricard und genießen den mondänen Cannes-Moment. In der Gasse zwischen den Tischen flanieren die Reichen und Schönen. Ein afrikanischer Straßenverkäufer bietet Plastikspielzeug und gefälschte Uhren an. Ruben Östlund, der Provokateur, fällt mir wieder ein. Ein Zyniker vor dem Herrn, der unter dem Deckmantel der Kapitalismuskritik die Welt des Reichtums inszeniert und zelebriert. Austern, Champagner, alles das wird bei ihm einfach wieder ausgekotzt. Rache des melancholischen, alkoholkranken und marxistischen Kapitäns der sehr großen Yacht. Triangle of Sadness hat er seinen intensiven Film genannt, in dem Iris Berben eine debile Behinderte spielen darf und Sunnyi Melles sich die Seele aus dem Leibe kotzt und scheißt. Ein Vergnügen der besonderen Art. Leicht komsumierbar und liegt doch schwer im Magen. Ein oberflächlicher, aber sehr unterhaltsamer Film des Wettbewerbs, der wegen der Yacht, den schönen Menschen und dem zur Schau gestellten Reichtum ziemlich gut an die Croisette passt. Was verlängert hier wen? Die Croisette den Film, oder der Film die Croisette?
Egal. Wir schütten unseren Ricard hinunter und ziehen weiter, ins »Petit Majestic«. Die schäbige Bar liegt im Schatten des gleichnamigen Grandhotels und wird bis tief in die Nacht hinein von den Leuten der Filmbranche bevölkert. Eine Einkäuferin erzählt mir von ihrem Alltag, wenn sie mal eine halbe Stunde Zeit hat, wird sie unruhig, fühlt sich leer, keiner ruft mich an. In ihren 12 Jahren Cannes war sie noch kein einziges Mal im Meer baden. Als wir um halb eins gehen, ist die Straße voller Menschen. Hier wird Bier aus Pappbechern getrunken, und auch sonst erinnert alles an die »Bar Unic« in Marseille, in der man leichtfüßig in die Nacht hineingleiten kann, um bis zum frühen Morgen zu bleiben. Nur die Menschen sind anders, hier spürt man überall den Druck, Geschäfte zu machen, sich zu präsentieren, einen Platz am Produktionshimmel zu ergattern. Ich freue mich auf meine bescheidene Kritiker-WG und auf meine Iso-Matte, die sich wundersamerweise in eine weiche Matratze verwandelt hat.
Dass Mia Hansen-Love autofiktionale Filme macht, ist nicht neu, in Un Beau Matin, der ziemlich unerklärlich in der Quinzaine des Réalisateurs und nicht im Wettbewerb gezeigt wird, verarbeitet sie den zunehmenden geistigen Verfall ihres Vaters Ole. Im Wettbewerb ist stattdessen Valeria Bruni Tedeschi mit Les Amandiers zu sehen, auch dieser Film eine Autofiktion. Sie kehrt zurück auf die Schule des Théâtre des Amandiers im Pariser Vorort Nanterre, der in den Achtzigern ein Ort des Experiments und dramatischer Erneuerungen war, Patrice Chéreau inszenierte. Mit Intensität geht die Kamera in Les Amandiers hinein, grobkörnig, kontrastreich, zitternd, zeigt eine Vergewaltigung. Indiz, dass dies alles nicht dem filmischen Realismus gehorcht und sich also nicht »wirklich« zuträgt, ist das theaterhafte Sprechen des gewaltvoll performenden Paares.
Alles nur ein Vorsprechen und Vorspiel für den Hauptakt, der dann kommt. Eine Gruppe junger Menschen bewirbt sich für die Aufnahme bei Pierre Romans, der am Théâtre des Amandiers unterrichtet, Valeria Bruni Tedeschi inszeniert hier den Beginn ihrer eigenen Schauspielexistenz. Wenn man nur ein wenig über sie weiß, dann erkennt man bald in der zarten blonden jungen Stella die italienisch-französische Industriellentochter Bruni Tedeschi, die sich in all ihren bisherigen Regiearbeiten eine Alter-Ego-Welt geschaffen hat, ein Second Life der anderen Art, in dem sie noch einmal sich selbst und ihr Leben inszenierte. So in Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr..., in dem sie den ihr peinlichen Reichtum auf die Leinwand brachte, oder Actrices, in der sie mit Verve den zunehmende Realitätsverlust einer Schauspielerin inszenierte. Jetzt also Les Amandiers, mit der jungen Stella (Nadia Tereszkiewicz) als fiktionaler Alter Ego, die sich in den haltlosen und bald dem Heroin verfallenden Étienne (Sofiane Bennacer) verliebt, eine liaison dangereuse, die Leidenschaft entfacht und Energie verbrennt, zum Ende hin viel Raum einnimmt und den Film auch zur Trauerarbeit werden lässt. So konnte man tatsächlich die Achtziger erleben: im Auto, in dem sich junge Leute stapeln, singen Les Rita Mitsoukou vom Kassettenrekorder »Eh, Andy, dis-moi oui!«, Leichtsinn à toute vitesse inbegriffen, ständig und überall wird geraucht, Männer und Frauen halten noch eindeutig erotische Beziehungen, Me too ist noch avant la lettre, Aids dafür voll da. Abtreibungen und Schwangerschaften mit Neunzehn und Frühehen sind in den Achtzigern keine Seltenheit, seltener die offen ausgelebte Homosexualität. Alles ist heteronormativ und trotzdem hors normes. Das ist ein Kondensat der Achtzigerjahre, das sich im Film stark verdichtet, aber trotzdem wahr ist.
Les Amandiers konzentriert sich zunächst auf das Werden der jungen Schauspieler*innen, die Formation zu einer Gruppe, führt die unterschiedlichen Typen ein, egomanische und an den Rand gedrängte, zeigt Proben auf der Bühne, den herumschreienden Chéreau (Louis Garrel), die Regieassistentin, die die Fassung verliert. Vieles mag klischeehaft wirken, überzogen, auch, weil man Bruni Tedeschi als Schauspielerin oft in exaltierten Performances erlebt hat. Dennoch existierten diese Inszenierungsweisen, schreiende Regisseure und weinende Schauspieler*innen.
Valeria Bruni Tedeschi hat in ihren Filmen, als Regisseurin und als Schauspielerin, niemals geheimgehalten, dass an der Schauspielerei sie am meisten diese selbst interessiert. Sie ist Actrice, die das Schauspielen zelebriert. Les Amandiers ist ihr Manifest für die Unterschiedslosigkeit von Leben und Theater, und für das Verschwinden der autobiographischen Menschen auf den Bühnen.