23.05.2022

Die Spielwütige

Les Amandiers
Halt dich an meiner Liebe fest
(Foto: Valeria Bruni Tedeschi · 75. Filmfestspiele Cannes)

Valeria Bruni Tedeschi inszeniert im autofiktionalen Wettbewerbsbeitrag Les Amandiers ein Manifest des Schauspiels, das vor allem auf sich selbst abzielt

Von Dunja Bialas

Weil B.K. Geburtstag hat, frage ich B., ob er mitkommt. Wir treffen uns im »Pastis«. Weit und breit keine Spur von B.K. Wir bestellen uns einen Ricard und genießen den mondänen Cannes-Moment. In der Gasse zwischen den Tischen flanieren die Reichen und Schönen. Ein afri­ka­ni­scher Straßen­ver­käufer bietet Plas­tik­spiel­zeug und gefälschte Uhren an. Ruben Östlund, der Provo­ka­teur, fällt mir wieder ein. Ein Zyniker vor dem Herrn, der unter dem Deck­mantel der Kapi­ta­lis­mus­kritik die Welt des Reichtums insze­niert und zele­briert. Austern, Cham­pa­gner, alles das wird bei ihm einfach wieder ausge­kotzt. Rache des melan­cho­li­schen, alko­hol­kranken und marxis­ti­schen Kapitäns der sehr großen Yacht. Triangle of Sadness hat er seinen inten­siven Film genannt, in dem Iris Berben eine debile Behin­derte spielen darf und Sunnyi Melles sich die Seele aus dem Leibe kotzt und scheißt. Ein Vergnügen der beson­deren Art. Leicht komsu­mierbar und liegt doch schwer im Magen. Ein ober­fläch­li­cher, aber sehr unter­halt­samer Film des Wett­be­werbs, der wegen der Yacht, den schönen Menschen und dem zur Schau gestellten Reichtum ziemlich gut an die Croisette passt. Was verlän­gert hier wen? Die Croisette den Film, oder der Film die Croisette?

Egal. Wir schütten unseren Ricard hinunter und ziehen weiter, ins »Petit Majestic«. Die schäbige Bar liegt im Schatten des gleich­na­migen Grand­ho­tels und wird bis tief in die Nacht hinein von den Leuten der Film­branche bevölkert. Eine Einkäu­ferin erzählt mir von ihrem Alltag, wenn sie mal eine halbe Stunde Zeit hat, wird sie unruhig, fühlt sich leer, keiner ruft mich an. In ihren 12 Jahren Cannes war sie noch kein einziges Mal im Meer baden. Als wir um halb eins gehen, ist die Straße voller Menschen. Hier wird Bier aus Papp­be­chern getrunken, und auch sonst erinnert alles an die »Bar Unic« in Marseille, in der man leicht­füßig in die Nacht hinein­gleiten kann, um bis zum frühen Morgen zu bleiben. Nur die Menschen sind anders, hier spürt man überall den Druck, Geschäfte zu machen, sich zu präsen­tieren, einen Platz am Produk­ti­ons­himmel zu ergattern. Ich freue mich auf meine beschei­dene Kritiker-WG und auf meine Iso-Matte, die sich wunder­sa­mer­weise in eine weiche Matratze verwan­delt hat.

Filme, die das Leben herein­lassen

Dass Mia Hansen-Love auto­fik­tio­nale Filme macht, ist nicht neu, in Un Beau Matin, der ziemlich uner­klär­lich in der Quinzaine des Réali­sa­teurs und nicht im Wett­be­werb gezeigt wird, verar­beitet sie den zuneh­menden geistigen Verfall ihres Vaters Ole. Im Wett­be­werb ist statt­dessen Valeria Bruni Tedeschi mit Les Amandiers zu sehen, auch dieser Film eine Auto­fik­tion. Sie kehrt zurück auf die Schule des Théâtre des Amandiers im Pariser Vorort Nanterre, der in den Acht­zi­gern ein Ort des Expe­ri­ments und drama­ti­scher Erneue­rungen war, Patrice Chéreau insze­nierte. Mit Inten­sität geht die Kamera in Les Amandiers hinein, grob­körnig, kontrast­reich, zitternd, zeigt eine Verge­wal­ti­gung. Indiz, dass dies alles nicht dem filmi­schen Realismus gehorcht und sich also nicht »wirklich« zuträgt, ist das thea­ter­hafte Sprechen des gewalt­voll perfor­menden Paares.

Alles nur ein Vorspre­chen und Vorspiel für den Hauptakt, der dann kommt. Eine Gruppe junger Menschen bewirbt sich für die Aufnahme bei Pierre Romans, der am Théâtre des Amandiers unter­richtet, Valeria Bruni Tedeschi insze­niert hier den Beginn ihrer eigenen Schau­spielexis­tenz. Wenn man nur ein wenig über sie weiß, dann erkennt man bald in der zarten blonden jungen Stella die italie­nisch-fran­zö­si­sche Indus­tri­el­len­tochter Bruni Tedeschi, die sich in all ihren bishe­rigen Regie­ar­beiten eine Alter-Ego-Welt geschaffen hat, ein Second Life der anderen Art, in dem sie noch einmal sich selbst und ihr Leben insze­nierte. So in Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr..., in dem sie den ihr pein­li­chen Reichtum auf die Leinwand brachte, oder Actrices, in der sie mit Verve den zuneh­mende Reali­täts­ver­lust einer Schau­spie­lerin insze­nierte. Jetzt also Les Amandiers, mit der jungen Stella (Nadia Tereszkie­wicz) als fiktio­naler Alter Ego, die sich in den haltlosen und bald dem Heroin verfal­lenden Étienne (Sofiane Bennacer) verliebt, eine liaison dange­reuse, die Leiden­schaft entfacht und Energie verbrennt, zum Ende hin viel Raum einnimmt und den Film auch zur Trau­er­ar­beit werden lässt. So konnte man tatsäch­lich die Achtziger erleben: im Auto, in dem sich junge Leute stapeln, singen Les Rita Mitsoukou vom Kasset­ten­re­korder »Eh, Andy, dis-moi oui!«, Leicht­sinn à toute vitesse inbe­griffen, ständig und überall wird geraucht, Männer und Frauen halten noch eindeutig erotische Bezie­hungen, Me too ist noch avant la lettre, Aids dafür voll da. Abtrei­bungen und Schwan­ger­schaften mit Neunzehn und Frühehen sind in den Acht­zi­gern keine Selten­heit, seltener die offen ausge­lebte Homo­se­xua­lität. Alles ist hete­ro­nor­mativ und trotzdem hors normes. Das ist ein Kondensat der Acht­zi­ger­jahre, das sich im Film stark verdichtet, aber trotzdem wahr ist.

Les Amandiers konzen­triert sich zunächst auf das Werden der jungen Schau­spieler*innen, die Formation zu einer Gruppe, führt die unter­schied­li­chen Typen ein, egoma­ni­sche und an den Rand gedrängte, zeigt Proben auf der Bühne, den herum­schrei­enden Chéreau (Louis Garrel), die Regie­as­sis­tentin, die die Fassung verliert. Vieles mag klischee­haft wirken, überzogen, auch, weil man Bruni Tedeschi als Schau­spie­lerin oft in exal­tierten Perfor­mances erlebt hat. Dennoch exis­tierten diese Insze­nie­rungs­weisen, schrei­ende Regis­seure und weinende Schau­spieler*innen.

Valeria Bruni Tedeschi hat in ihren Filmen, als Regis­seurin und als Schau­spie­lerin, niemals geheim­ge­halten, dass an der Schau­spie­lerei sie am meisten diese selbst inter­es­siert. Sie ist Actrice, die das Schau­spielen zele­briert. Les Amandiers ist ihr Manifest für die Unter­schieds­lo­sig­keit von Leben und Theater, und für das Verschwinden der auto­bio­gra­phi­schen Menschen auf den Bühnen.