07.02.2002
52. Berlinale 2002

»Wo es ging, haben wir das Programm verschlankt«

Drei Plakate der Berlinale 2002
Berlinale Plakate
(Plakat: Berlinale)

Christoph Terhechte über seine neue rolle als Leiter des»Internationalen Forums des Jungen Films« auf der Berlinale

Bei der dies­jäh­rigen Berlinale gibt es mehr als nur ein neues Gesicht. Neben Dieter Kosslick, der als Nach­folger von Moritz de Hadeln neuer Leiter des Gesamt­fes­ti­vals wurde, ist der Christoph Terhechte der zweite wichtige neue Mann am Potsdamer Platz. Als Nach­folger von Ulrich Gregor leitet er das „Inter­na­tio­nale Forum“, die neben Wett­be­werb renom­mier­teste Sektion des Festivals, und ist Mitglied der Auswahl­kom­mis­sion des Wett­be­werbs. Damit ist der 40jährige der wich­tigste Mitar­beiter Kosslicks. Terhechte war früher Film­jour­na­list, und arbeitete bereits in den letzten Jahren eng mit Gregor zusammen.
Mit Christoph Terhechte sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Die Berlinale erlebt in diesem Jahr einen Neuanfang. Neben Dieter Kosslicks Debüt als Festi­val­leiter ist man auch gespannt auf das erste „Inter­na­tio­nale Forum“ unter Ihrer Leitung. Was musste aus Ihrer Sicht verändert werden?

Christoph Terhechte: An Struktur und Ziel­rich­tung hat sich nicht viel geändert. Aber die Voraus­set­zungen sind andere: Vor 32 Jahren wurde das Forum aus der Notwen­dig­keit heraus gegründet, ein Forum für Filme zu bieten, die niemand zeigen wollte. Heute ist die Situation gerade umgekehrt: Wo auch immer in der Welt inter­es­sante Filme entstehen, konkur­rieren die Festivals darum.
Wo es ging, haben wir das Programm verschlankt. Die Mitter­nachts­schiene wurde reduziert – auch aus prak­ti­schem Grund: Wir hatten in diesem Jahr größere Schwie­rig­keiten, die Filme aus Hongkong zu bekommen, die wir wollten. Die Produ­zenten verlangten Geld, verstehen teilweise überhaupt nicht, was wir hier machen. Das ist besonders schade im Fall von Johnnie To, der sozusagen ein Forums-Dauergast ist. Wir hätten gerne drei Filme von ihm gezeigt, können aber nur einen zeigen.
Was wirklich verändert werden musste, war das Hickhack hinter den Kulissen. Das hat jetzt aufgehört. Es ist wohltuend, wenn man sich Gedanken über die Filme machen kann, nicht über interne Konkur­renz. In dem Teil der Festi­val­struktur, die man nicht sieht, haben wir sehr viel verändert. Wir kommu­ni­zieren besser. Dieter Kosslick, Wieland Speck und ich waren gemeinsam auf mehreren Auswahl­reisen. Die Unsitte, sich gegen­seitig Filme „wegzu­schnappen“, ist vorbei. Wir wollten eine bessere Festi­val­stim­mung schaffen als bisher.

artechock: Das Forum stand immer für eine andere Film­sprache, stärker für Autoren­film, für Low Budget-Filme, für Populäres anderer Regionen... Läßt sich dieser Anspruch noch halten?

Terhechte: Die Abgren­zung zwischen den Sektionen kann gar nicht so scharf und säuber­lich sein, wie manche sie gerne hätten. Wir können nicht nur den „typischen Forums­film“ zeigen, sondern müssen innerhalb der Sektionen Abwechs­lung schaffen, dem Festival insgesamt eine innere Drama­turgie geben.
Aber es müssen Filme sein, die eine persön­liche Hand­schrift tragen. Wir zeigen das Werk von Regis­seuren, keine Indus­trie­filme, keine Filme, die speku­lativ sind. In der Spra­chen­viel­falt liegt ein Teil unseres Konzepts. Wir wollen wirklich Weltkino zeigen, nicht nur Filme, die aus Europa oder Amerika kommen.
Natürlich macht man auch Kompro­misse. Wir wollen ja keine Zensur üben, sondern auch das Typische einer Kultur zeigen. Wir geben uns Mühe, uns in die Welt hinein­zu­denken, aus der der Film kommt. Das kann jedoch kein Auto­ma­tismus werden. Natürlich hätten wir gerne mehr aus bestimmten Regionen, etwa aus Schwarz­afrika, aber da fanden wir in diesem Jahr einfach keinen Film, hinter dem wir wirklich stehen konnten.
Im Prinzip spiegeln wir die Welt-Kine­ma­to­gra­phie im Programm so, wie sie sich darstellt. Das heißt: Frank­reich und Japan sind stark reprä­sen­tiert. Die beiden Länder muss man wirklich heraus­heben, weil sie besonders produktiv sind, weil da besonders viel passiert. Auf der anderen Seite beob­achten wir viele Länder aufmerksam, auch wenn in diesem Jahr von dort kein Film ins Programm gefunden hat, etwa Thailand.

artechock: Im Forum gibt es tradi­tio­nell eine besondere Aufmerk­sam­keit für asia­ti­sches Kino. Der Schwer­punkt scheint dieses Jahr noch ausgebaut worden zu sein...

Terhechte: Wie in den vergan­genen Jahren besteht ein gutes Drittel des Programms aus asia­ti­schen Filmen – das entspricht durchaus dem Stel­len­wert des asia­ti­schen Kinos in der Welt.
Durch den China-Schwer­punkt unter dem Titel „Elek­tri­sche Schatten“, den Dorothee Wenner in Peking zusam­men­ge­stellt hat, ist es natürlich viel mehr geworden. Aber wir haben den Eindruck, dass die Volk­re­pu­blik China heute der Ort ist, an dem sich am meisten verändert. Dort hat die Kino-Revo­lu­tion dieses Jahres statt­ge­funden. Was in den später 50er Jahren Paris war, Mitte der 60er London – es gibt immer wieder Orte, wo plötzlich eine neue Gene­ra­tion am Werk ist. Das müssen wir finden und heraus­heben.

artechock: Inwiefern will das Forum eine Art Vorreiter sein – für Europa, für die Welt?

Terhechte: Das muss es sogar. Wir haben den Anspruch, für ein welt­weites Fach­pu­blikum Entdecker zu sein, Vorgaben zu machen – in dem Sinne, dass was wir zeigen wirklich spannend ist. Natürlich nehmen wir da auch Anre­gungen anderer auf.

artechock: Wie attraktiv ist Berlin, wie wichtig ist das Festival im Reigen der A-Festivals?

Terhechte: Cannes hat jede Menge Vorteile. Der Wett­be­werb ist unbe­stritten Nummer eins. Wer die Chance hat, dort zu laufen, muss sie nutzen. In den anderen Reihen gehen aber viele Filme einfach baden. In vielen Fällen ist ein Film im Forum besser aufge­hoben als etwa im Certain Regard. Berlin hat überdies einen großen Vorteil gegenüber Cannes und Venedig: unser Publikum. 400.000 Zuschauer sitzen in den Kinos. Das ist gigan­tisch. Das Feedback des Publikums ist für die Filme­ma­cher sehr wichtig. Man kann da als Regisseur viel nach Hause mitnehmen – da kann es im Februar noch so kalt und grau sein.

artechock: Was hat ihren eigenen Film­ge­schmack geprägt?

Terhechte: Wahr­schein­lich nicht zuletzt der Zufall. Ich habe viel Zeit in Portugal verbracht und mich ins portu­gie­si­sche Kino verliebt. Dann habe ich in Frank­reich gelebt, und bin bis heute ein Freund des fran­zö­si­schen Kinos. Anders­herum habe ich das japa­ni­sche Kino durch das Forum entdeckt. Erst in den letzten Jahren kam ich selbst nach Japan und habe nun auch eine gewisse Passion für die japa­ni­sche Kultur entwi­ckelt. Das sind drei Länder, an denen ich speziell inter­es­siert bin.
Mich inter­es­sieren Filme, die an der Grenze zwischen Doku­men­ta­ri­schem und Spielfilm liegen, die wirklich Realität wieder­geben, keine Konstrukte. Ande­rer­seits habe ich auch für das Genre des verspielten Films ein gewisses Faible. Einer meiner Lieb­lings­filme ist What’s Up, Doc? von Peter Bogd­a­no­vich – eine persön­liche Schwäche, die sich im Forums­pro­gramm wohl weniger spiegeln wird. Obwohl: Für den expe­ri­men­tellen Film habe ich viel übrig. Da bevorzuge ich aber den Typus des Regis­seurs, der es liebt, mit dem Medium herum­zu­spielen und auch über sich selber lachen kann.