52. Berlinale 2002
»Wo es ging, haben wir das Programm verschlankt« |
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Berlinale Plakate | ||
(Plakat: Berlinale) |
Bei der diesjährigen Berlinale gibt es mehr als nur ein neues Gesicht. Neben Dieter Kosslick, der als Nachfolger von Moritz de Hadeln neuer Leiter des Gesamtfestivals wurde, ist der Christoph Terhechte der zweite wichtige neue Mann am Potsdamer Platz. Als Nachfolger von Ulrich Gregor leitet er das „Internationale Forum“, die neben Wettbewerb renommierteste Sektion des Festivals, und ist Mitglied der Auswahlkommission des Wettbewerbs. Damit ist der 40jährige der
wichtigste Mitarbeiter Kosslicks. Terhechte war früher Filmjournalist, und arbeitete bereits in den letzten Jahren eng mit Gregor zusammen.
Mit Christoph Terhechte sprach Rüdiger Suchsland.
artechock: Die Berlinale erlebt in diesem Jahr einen Neuanfang. Neben Dieter Kosslicks Debüt als Festivalleiter ist man auch gespannt auf das erste „Internationale Forum“ unter Ihrer Leitung. Was musste aus Ihrer Sicht verändert werden?
Christoph Terhechte: An Struktur und Zielrichtung hat sich nicht viel geändert. Aber die Voraussetzungen sind andere: Vor 32 Jahren wurde das Forum aus der Notwendigkeit heraus gegründet, ein Forum für Filme zu bieten, die niemand zeigen wollte. Heute ist die Situation gerade umgekehrt: Wo auch immer in der Welt interessante Filme entstehen, konkurrieren die Festivals darum.
Wo es ging, haben wir das Programm verschlankt. Die
Mitternachtsschiene wurde reduziert – auch aus praktischem Grund: Wir hatten in diesem Jahr größere Schwierigkeiten, die Filme aus Hongkong zu bekommen, die wir wollten. Die Produzenten verlangten Geld, verstehen teilweise überhaupt nicht, was wir hier machen. Das ist besonders schade im Fall von Johnnie To, der sozusagen ein Forums-Dauergast ist. Wir hätten gerne drei Filme von ihm gezeigt, können aber nur einen zeigen.
Was wirklich verändert werden musste, war das Hickhack
hinter den Kulissen. Das hat jetzt aufgehört. Es ist wohltuend, wenn man sich Gedanken über die Filme machen kann, nicht über interne Konkurrenz. In dem Teil der Festivalstruktur, die man nicht sieht, haben wir sehr viel verändert. Wir kommunizieren besser. Dieter Kosslick, Wieland Speck und ich waren gemeinsam auf mehreren Auswahlreisen. Die Unsitte, sich gegenseitig Filme „wegzuschnappen“, ist vorbei. Wir wollten eine bessere Festivalstimmung schaffen als bisher.
artechock: Das Forum stand immer für eine andere Filmsprache, stärker für Autorenfilm, für Low Budget-Filme, für Populäres anderer Regionen... Läßt sich dieser Anspruch noch halten?
Terhechte: Die Abgrenzung zwischen den Sektionen kann gar nicht so scharf und säuberlich sein, wie manche sie gerne hätten. Wir können nicht nur den „typischen Forumsfilm“ zeigen, sondern müssen innerhalb der Sektionen Abwechslung schaffen, dem Festival insgesamt eine innere Dramaturgie geben.
Aber es müssen Filme sein, die eine persönliche Handschrift tragen. Wir zeigen das Werk von Regisseuren, keine Industriefilme,
keine Filme, die spekulativ sind. In der Sprachenvielfalt liegt ein Teil unseres Konzepts. Wir wollen wirklich Weltkino zeigen, nicht nur Filme, die aus Europa oder Amerika kommen.
Natürlich macht man auch Kompromisse. Wir wollen ja keine Zensur üben, sondern auch das Typische einer Kultur zeigen. Wir geben uns Mühe, uns in die Welt hineinzudenken, aus der der Film kommt. Das kann jedoch kein Automatismus werden. Natürlich hätten wir gerne mehr aus bestimmten Regionen, etwa aus
Schwarzafrika, aber da fanden wir in diesem Jahr einfach keinen Film, hinter dem wir wirklich stehen konnten.
Im Prinzip spiegeln wir die Welt-Kinematographie im Programm so, wie sie sich darstellt. Das heißt: Frankreich und Japan sind stark repräsentiert. Die beiden Länder muss man wirklich herausheben, weil sie besonders produktiv sind, weil da besonders viel passiert. Auf der anderen Seite beobachten wir viele Länder aufmerksam, auch wenn in diesem Jahr von dort kein Film ins
Programm gefunden hat, etwa Thailand.
artechock: Im Forum gibt es traditionell eine besondere Aufmerksamkeit für asiatisches Kino. Der Schwerpunkt scheint dieses Jahr noch ausgebaut worden zu sein...
Terhechte: Wie in den vergangenen Jahren besteht ein gutes Drittel des Programms aus asiatischen Filmen – das entspricht durchaus dem Stellenwert des asiatischen Kinos in der Welt.
Durch den China-Schwerpunkt unter dem Titel „Elektrische Schatten“, den Dorothee Wenner in Peking zusammengestellt hat, ist es natürlich viel mehr geworden. Aber wir haben den Eindruck, dass die Volkrepublik China heute der Ort ist,
an dem sich am meisten verändert. Dort hat die Kino-Revolution dieses Jahres stattgefunden. Was in den später 50er Jahren Paris war, Mitte der 60er London – es gibt immer wieder Orte, wo plötzlich eine neue Generation am Werk ist. Das müssen wir finden und herausheben.
artechock: Inwiefern will das Forum eine Art Vorreiter sein – für Europa, für die Welt?
Terhechte: Das muss es sogar. Wir haben den Anspruch, für ein weltweites Fachpublikum Entdecker zu sein, Vorgaben zu machen – in dem Sinne, dass was wir zeigen wirklich spannend ist. Natürlich nehmen wir da auch Anregungen anderer auf.
artechock: Wie attraktiv ist Berlin, wie wichtig ist das Festival im Reigen der A-Festivals?
Terhechte: Cannes hat jede Menge Vorteile. Der Wettbewerb ist unbestritten Nummer eins. Wer die Chance hat, dort zu laufen, muss sie nutzen. In den anderen Reihen gehen aber viele Filme einfach baden. In vielen Fällen ist ein Film im Forum besser aufgehoben als etwa im Certain Regard. Berlin hat überdies einen großen Vorteil gegenüber Cannes und Venedig: unser Publikum. 400.000 Zuschauer sitzen in den Kinos. Das ist gigantisch. Das Feedback des Publikums ist für die Filmemacher sehr wichtig. Man kann da als Regisseur viel nach Hause mitnehmen – da kann es im Februar noch so kalt und grau sein.
artechock: Was hat ihren eigenen Filmgeschmack geprägt?
Terhechte: Wahrscheinlich nicht zuletzt der Zufall. Ich habe viel Zeit in Portugal verbracht und mich ins portugiesische Kino verliebt. Dann habe ich in Frankreich gelebt, und bin bis heute ein Freund des französischen Kinos. Andersherum habe ich das japanische Kino durch das Forum entdeckt. Erst in den letzten Jahren kam ich selbst nach Japan und habe nun auch eine gewisse Passion für die japanische Kultur entwickelt. Das sind
drei Länder, an denen ich speziell interessiert bin.
Mich interessieren Filme, die an der Grenze zwischen Dokumentarischem und Spielfilm liegen, die wirklich Realität wiedergeben, keine Konstrukte. Andererseits habe ich auch für das Genre des verspielten Films ein gewisses Faible. Einer meiner Lieblingsfilme ist What’s Up, Doc? von Peter Bogdanovich – eine persönliche
Schwäche, die sich im Forumsprogramm wohl weniger spiegeln wird. Obwohl: Für den experimentellen Film habe ich viel übrig. Da bevorzuge ich aber den Typus des Regisseurs, der es liebt, mit dem Medium herumzuspielen und auch über sich selber lachen kann.