52. Berlinale 2002
Teil 2 |
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FULLTIME KILLER | ||
(Foto: Pushkar Films) |
Von Thomas Willmann
Lieber Stiefneffe,
ich muss Dich vielmals um Entschuldigung bitten, dass es so lange gedauert hat, bis Dich dieser Brief nun hoffentlich erreicht. Du weißt ja, wie das ist, mit unserer Post... Jetzt aber hoffe ich, dass er, obgleich mit erheblicher Verspätung, Dir doch noch immer ein wenig Gemütsergötzung verschafft und wenigstens kursorisches Interesse erwecken kann.
Lass Dir an dieser Stelle zunächst gedankt sein für Deine aufmunternden Worte und Deine guten Wünsche für vermehrte Sichtung begeisternder Festival-Filme, die Du mir nach meinem ersten Brief so vorbildlich umgehend zukommen ließest. Und ich kann Dir auch glücklicherweise berichten, dass zwar die begeisternden Filme auch in der zweiten Woche rar blieben, es für Deinen Onkel dann aber tatsächlich noch eine insgesamt befriedigende Berlinale wurde – mehr dazu später.
Versöhnlich war ja schon allein die Entscheidung der Jury: Das hätten wir uns doch nicht träumen lassen, dass man sich wahrhaft traut, Qualität zu erkennen und mit SPIRITED AWAY einem Anime den Goldenen Bären aufzubinden. Klar, es scheint die Jury dann doch die Angst vor der eigenen Courage gepackt zu haben, so dass durch die Preisteilung mit BLOODY SUNDAY dafür Sorge getragen wurde, dass auch ja schön brav der ach so politisch relevante und mit den Problemen der Welt befasste und
unseren Betroffenheitsstolz bauchpinselnde Film mal wieder als wichtig und ausgezeichnet hochgehalten wurde. Damit quasi auch ein Oberstudienrat mit der Entscheidung zufrieden sein kann.
Aber sei’s drum, Hauptsache japanischer Zeichentrick auf dem Siegertreppchen! Yippieh! Und einer der wenigen Filme damit der Berlinale, der seine Aufgabe darin gesehen hat, eine ganz eigene, visionäre, künstliche Welt zu schaffen. (Und nur um’s mal klar gesagt zu haben: Wen der
Nordirland-Konflikt wirklich berührt und bewegt, und wer dort seinerseits etwas bewegen und zum Besseren verändern will, engagiert sich politisch, geht auf die Straße, macht Parteiarbeit, was immer, sitzt jedenfalls nicht bei BLOODY SUNDAY im Kino. Film IST Weltflucht. Punkt.) Fast möchte man da auch meinen, dass hier sogar das letzthin von mir so bekrittelte »Accept Diversity«-Motto eine gewisse Erfüllung gefunden hat – denn Hayao Miyazakis Film biedert sich keineswegs
westlicher Fantasy (und erst recht nicht diesen überlangen Spielzeug-Werbespots, die derzeit in unseren Kinos als solche verkauft werden) an. Das ist Nippon durch und durch, lässt den hiesigen Betrachter nur ahnen, was da alles drinsteckt an Bezügen zu Mythen, Märchen, Religion im Land der aufgehenden Sonne. Mir kamen diese Abenteuer im Badehaus der Götter ein bisschen so vor, als hätte Hieronymus Bosch nach diversen Japanologie-Seminaren »Alice in Wonderland« neu erfunden. Bestimmt
auch, weil im Gegensatz zu den Disney-Appropriationen von Märchen hier nichts auf simple Gut-Böse-Gegensätze hinfrisiert, keine Heldengeschichte erzählt wird. Da ist auch ein alles verschlingender, gesichtsloser Geist doch eine eher traurige Gestalt, bewegt sich alles auf moralisch vielschichtigem und wandelbarem Boden, fühlt man sich wirklich manchmal wie in eine Welt geworfen, in der nichts a priori Sicherheit bietet. Die Entdeckungsreise ins Fremdartige ist mithin, wie eben
bei Alice, wie oft auch in unseren Märchen, wenn man sich wirklich einmal ihre Urgestalt ansieht, eine, die sich nicht nur in den (hier wirklich beträchtlichen) optischen Schauwerten erschöpft.
Weil wir’s gerade von den vergebenen Preisen haben: Über einen mussten wir doch alle sehr herzlich lachen – den Alfred-Bauer-Preis »für einen Spielfilm, der neue Perspektiven der Filmkunst eröffnet,« an BAADER. Die bisher plausibelste These, was damit wohl gemeint sei, ist, dass der Film bisher unerschlossene Dimensionen der Belanglosigkeit sichtbar gemacht hat. Wenn Du, lieber Stiefneffe, wie es so Deine Art ist, Dich bereits vorab ein wenig schlau gemacht hast, dann
wirst Du nun Deinem Onkel gewiss wieder mit dem Vorwurf selbstverschuldeter Kinoqual kommen, weil man ja bei einem Film, bei dem einer der beiden Autoren Moritz von Uslar ist, als vernünftiger Mensch einfach gleich daheim bleiben sollte. Nun, Recht hast Du, aber ich vorher eben auch nicht nach den Autoren geguckt und also dann zwei Stunden wertvollen Morgenschlafs für eine dieser gnadenlosen 9:00 Uhr-Pressevorführungen verschenkt. Wobei aber nur der nachträgliche Gedanke an die
vertane Gelegenheit wonnigen Weiterschlafens wirklich dazu geneigt war, onkelschen Grimm zu erwecken – der Film an sich war nicht einmal richtig ärgerlich, er war nur überflüssig wie eine Kropfprothese. Kaum ein anderes Zelluloidwerk ist dermaßen eingeöltem Klopapier gleichend am Arsch Deines Stiefonkels vorbeigegangen.
Du kannst Dir das Ganze in etwa vorstellen als zwanglose Verbindung von Schulfernsehen und H & M-Werbung. Die Stoffentwicklung muss bei
Regisseur Christoph Roth und Herrn von und zu Uslar in etwa so vonstatten gegangen sein: »Hey, der Baader, das war schon ein ziemlich cooler Typ.« »Yo, aber irgendwie doch auch voll ambivalent.« »Wahr! Hey, wir sind doch auch total cool, oder?« »Klar! Lass uns doch einen total coolen Film machen über den Baader!« »Geil! Aber der muss irgendwie halt auch so voll ambivalent sein.« Weiter kann die geistige Durchdringung des Materials nicht gediehen sein.
Ein bisschen heiße Luft
gab’s auf der Berlinale um den recht freien Umgang mit den »historischen Tatsachen«, was dem Film mancherorts das Prädikat »kontrovers« eintrug. Aber um kontrovers zu sein, müsste das alles einen Sinn und Zweck, müsste einen dezidierten Standpunkt haben. Den Heldentod im Shootout mit der Polizei am Ende aber gibt’s doch wohl nur, weil die Macher einerseits keinen Bock hatten auf Stammheim, zu kompliziert, zu uncool, und andererseits gern mal ein bisschen Action-Kino
spielen wollten. Eine der Hauptmotivationen scheint überhaupt ganz unpolitisch gewesen zu sein, dass die Herren auch mal wieder nackte Frauen sehen wollten und also alle Darstellerinnen früher oder später, stets aber bar jeden Kontextes, barbusig auftreten. Dreharbeiten wohl in etwa so vorzustellen: »Hey, ihr beiden, ward ihr eigentlich schon nackt? Nee? Na gut, dann, ääähhh... stellt Euch da mal vor den Badezimmerspiegel und frisiert Euch. Aber zieht die Oberteile aus!« Und
gerade sozusagen ex negativo von Kostümen sprechend: Der Zugang zu den 70ern kommt eigentlich nie über’s Dekorative hinaus; mehrfach fühlte sich Dein Onkel an das »Sabotage«-Video der Beastie Boys erinnert, von wegen: Wir pappen uns Kotletten an und spielen Seventies, nur dass im Gegensatz zu Spike Jonez' großartigem Clip halt weder Ironie noch Freude aufkommt.
Eine Szene nur gab’s, die gefiel und ließ ahnen, was drin gewesen wäre, wenn da hin und wieder über die
produktivste Perspektive nachgedacht worden wäre: Da sitzen die selbsternannten Revolutionäre ratzedicht und brezenbreit trippend um den Küchentisch, fast bewegungslos, nur Baader stochert, alle gucken fasziniert zu, mit dem Besteck im Toaster rum. Bewegunslose Totale, keine Musik, einmal wenigstens in einem ganz einfachen Bild die Distanz zwischen den Visionen in diesen Köpfen und der Außenansicht eingefangen.
Sonst aber fasst es vielleicht am besten einer der
grandiosen Dialogsätze zusammen: »Ich will auch zur Guerilla.« Genau so hat’s gewirkt.
Spätestens dieses Jungfilmer-Armutszeugnis hat dann auch vollends offenbart, wie verzweifelt inszeniert der Versuch war, Kosslicks erste Berlinale zu so einer Art Wiedergeburtstunde des deutschen Kinos zu stilisieren. Nichts gegen vier heimische Filme im Wettbewerb, nichts gegen eine »German Cinema«-Sonderreihe. (Na ja, vielleicht ein wenig unheilahnendes Zähneknirschen des zugegebenermaßen in dieser Richtung vorurteilsbelasteten Onkels, doch das gepaart durchaus mit der Bereitschaft, sich eines Besseren belehren zu lassen...) Aber wenn halt so offensichtlich wird, dass nicht erst vier überzeugende deutsche Filme da gewesen waren, sondern der erklärte Wille, eine entsprechende Anzahl bundesrepublikanische Streifen ins Rennen zu schicken, ganz egal welcher Qualität – dann entblößt sich die Sache doch wieder als großer Krampf. Einfach mal so das deutsche Kino zur Chefsache auszurufen und es für auf dem Sprung zu internationaler Bedeutung zu definieren, damit tut man doch auch niemandem einen Gefallen, wenn dann solch armselige Lächerlichkeiten sofort den offensichtlichen Gegenbeweis zur These liefern.
Wobei, soweit jedenfalls von Deinem Onkel gesichtet, sich der europäische Film generell diesmal nicht so rasend spannend herausgeputzt hatte. Gut, die Finnen hatten mit ON THE ROAD TO EMMAUS (EMMAUKSEN TIELLÄ) einen der vergnüglicheren und gspinneteren Beiträge am Start, der zumindest dem für (alkoholisierte?) Albernheiten empfänglichen Menschen (also mir) manch Freude bereiten konnte. Aber dann? Was war los mit den Franzosen? Warum immer noch und immer wieder diese Filme über Beischlaf, verbrämt mit viel Zigaretten und raunenden Diskussionen über Philosophie. Dieses esentiell französische Grundmuster lugte selbst bei jungen Filmemachern dauernd hervor, ob aus dem 60s-Teenie-Zeitbild LA BANDE DU DRUGSTORE oder dem verquast intellektuellen, semi-experimentellen, spukromantischen (und seltsamerweise trotz aller extremen, schwerfälligen Bedeutungshuberei doch recht einnehmenden) FANTÔMES. Und wo es einmal nicht griff, da schien der Film dann gleich etwas verloren, wie bei dem von vielen zum grandiosen Meisterwerk ausgerufenen SUR MES LÈVRES. Das fängt noch sehr schön an, mit Vincent Cassel als Kackspecht, auf Bewährung aus dem Knast, und jetzt gezwungen, als Bürohilfe zu arbeiten; und mit Emanuelle Devos als schwerhöriger, leicht dotscherter Sekretärin. Bis zum Beischlaf bringen sie’s schon, und das mit dem Rauchen kriegt Cassel, soweit ich mich erinnere, auch noch hin. Aber schon weil die beiden nicht mehr über Philosophie diskutieren können, wird’s schwierig. Da verrudert sich der Film in einen Krimi-Plot, der weder sonderlich interessant noch glaubhaft oder den Charakteren recht angemessen ist, weil er mit ihnen anscheinend über die Länge eines Spielfilms sonst nichts anzufangen weiß. Das war dann einer jener überaus seltenen Momente auf der Berlinale, wo Dein Onkel sich bei einem Film mal WENIGER Genre-Anleihen gewünscht hätte.
Immerhin hatte ich so beim französischen Film beruhigenderweise stets vertraute Bezugsrahmen parat und wenigstens das Gefühl, das Ganze einigermaßen einordnen zu können. Das war bei meinem einen Abenteuertrip ins Filmland Ukraine dann deutlich anders. So etwas wie das Nationalepos EIN GEBET FÜR HETMAN MAZEPA (MOLITVA ZA GETMANA MAZEPU), mein lieber Stiefneffe, hat auch Dein Onkel noch nicht gesehen. Immerhin! (Ob er so etwas so schnell wieder sehen möchte, ist dann eine ganz
andere Frage.) Seit ich dieses hysterische, delirierende.. äähhh... Dings gesehen habe, mache ich mir jedenfalls ernsthafte Sorgen, was man den armen Ukrainern so ins Trinkwasser kippt. Ich weiß gar nicht, wie meine armseligen Worte Dir einen angemessenen Eindruck vermitteln sollen von diesem, tja, »Film« (oder doch eher Happening). Stell Dir vielleicht vor: Greenaway nach einer Lobotomie. Oder Fellini als Kasperltheater-Intendant. Oder Schlingensieff mit zuviel Geld, und Julian
Nieda-Rühmelin als Darsteller. MAZEPA ist nämlich nicht nur der teuerste ukrainische Film aller Zeiten, einen Teil der Titelrolle (erklär ich gleich!) spielt auch noch der ukrainische Kulturminister Bohdan Stupka (der zugegebenermaßen schon vorher ein bekannter Schauspieler war). Was mich so ratlos machte war vor allem die Ungewissheit, ob da völlige Dilletanten am Werk sind, denen es an allen Fähigkeiten und Möglichkeiten mangelt, ihre zweifelsohne grandiosen Visionen
irgendwie nachvollziehbar auf die Leinwand zu bringen, oder um dezidierte Avantgardisten, die sich (sowas gibt’s ja) ganz bewusst gegen jede technische Glätte und Konvention verhielten und also quasi absichtlich alle Außenaufnahmen überbelichteten und den Ton komplett nach(un)synchronisierten und dergleichen Späßle mehr. Und ob’s am mangelnden Filmmaterial oder am Kunstwillen lag, dass es schien, als wäre jeder Take (alles lange, wilde
Handkameraeinstellungen) definitiv nur einmal gedreht und komplett verwendet worden, egal, was dabei alles schieflief. Es gab jedenfalls vermehrte Anzeichen, dass die Macher das ein oder andere Seminar zur Postmoderne hinter sich hatten, z.B. (weil quasi Auflösung von Identitäten und Chronologien, holla!) dass Mazepa in unterschiedlichen Darstellern in unterschiedlichen Lebensaltern verkörpert wurde, die aber dauernd innerhalb ein und der selben Szene wechselten. Oder
dann auch Selbstreflexivität und Illusionsdurchbrechung dadurch, dass die historischen Figuren selbst anfangen, von der dereinstigen Verfilmung ihres Lebens zu reden, und so... Auch die Einbeziehung populärkultureller Elemente (sprich: immer mal wieder eher unmotivierte Softporno- und Splatter-Einlagen) ließe sich so oder so deuten. Und dito die fast komplette Unverständlichkeit des Ganzen in narrativer Hinsicht. (Zu der allerdings gewiss die Untertitel mehr als ein
Quentlein beitrugen – »Meine Quall hat ein Ende,« hieß es da z.B., obwohl weit und breit keine Qualle zu sehen war.)
Es hätte zumindest einer der rauschhaftesten und wirklich divergierendsten Filme des Festivals sein können, wenn... – ja, wenn er nicht sagenhafte 154 Minuten gedauert hätte, was ihn dann doch nicht nur für mich zur in dieser Länge nicht durchstehbaren »Quall« machte. Dass Dein Onkel zu jener Minderheit gehörte, die am Schluss des Filmes noch im Kino saß,
lag nur daran, dass ihn zwischendurch Morpheus für ein gutes Stündlein in seine starken Arme genommen hatte...
Und so war es dann doch mal wieder an den Asiaten, mit einer gewissen Verlässlichkeit für die cineastischen Glücksmomente des Onkels zu sorgen.
Nicht, dass da von vornherein alles Gold war, was mit Vorspännen in chinesischen Schriftzeichen glänzte:
Beim zweiten Anime im Programm ging’s beispielsweise (nicht nur) dem Onkel so, dass tatsächlich fast nur die fantastische Optik ihn erreichte und erfreute; die Geschichte, die Zusammenhänge blieben (es mag wiederum
die etwas suspekt erscheinenden Untertitel eine Mitschuld treffen) bei A TREE OF PALME (PALUMU NO KI) seinem abendländisch strukturierten Hirn doch relativ unverständlich. Und das, obwohl ihm vom Videospielen doch irgendwelche Kämpfe um Lebensenergien, Questen um zaubertätige Kapseln und dergleichen nicht ganz unvertraut sind, und eines der Vorbilder des Films ganz unzweifelhaft unser europäischer Pinocchio war. Womit wenigstens die Grundzüge sich klärten, von wegen
Roboter-Bub, der aber auch irgendwie ein Baum ist (da wurde es schon schwierig!), will Mensch werden. Aber das genauere wie, wer, wo, was und warum... Und wenn Du jetzt denkst: Na ja, der Onkel hat dann bestimmt zum Presseinfo gegriffen, und das hat ihn erhellt, dann muss ich sagen – gegriffen hat er, und erheitert hat es, aber erleuchtet, das nicht. Weil also schon die Kurzbio des Regisseurs sprachliche Kunstwerke folgenden Kalibers enthielt (alle Zitate »sic!«): »As the animator
his carrier of involving in the original picture of 'Warriors of the Wind' led to him great performance as an chief animation director in 'AKIRA', having shown his overwhelming existence.« Wo man aber wenigstens noch draufkommt, was gemeint ist. Wie eigentlich auch bei der Synopsis, die nur sehr knapp gehalten war und nicht viel mehr verriet als eben oben angesprochene Menschwerdungswünsche des Holzroboters. (Warum der etwas infantiler veranlagte deutschsprechende Zuschauer
– also Leute wie Dein Onkel – während des Films des öfteren unangemessene Heiterkeit befiel, wird Dir übrigens folgendes Zitat aus der Synopsis erhellen, verbunden mit der Information, dass überwiegende Teile des Dialogs daraus bestanden, dass die Charaktere gegenseitig verzweifelt ihre Namen riefen: »PALME is determined to get there even more strongly due to his love to POPO, thinking, 'I will become a human being for POPO.'« Ähem, nun ja...)
Was die Botschaft des
Ganzen anbelangt aber: Da befiel mich doch der Verddacht, dass eher einer den Stoiber bei Christiansen versteht als die »Director’s message«, die ich, weil sie gar so schön ist, hier in ihrer Gänze zu Deiner Ergötzung hinzitiere. »A robot called PALME is frightened of the transience of its existence. But, he is still going to travel in the inside of people’s painful souls and minds and is going to hold a clear thing. That figure might be also same as us who live now. Our
figure asks for a spiritual whereabouts also as a man. Therefore, it is sure that this tale is now required one. I believe that the values of this film will be born with the depth of the mirror of each people’s mind, which this film watches.« Na, wenn das mal kein clear thing ist.
(Übrigens, weil wir’s gerade haben mit erheiternden Übersetzungen aus asiatischen Sprachen – hier, völlig außerhalb jedes cineastischen Kontexts, des Onkels Lieblingsfundstück seines
Berlinaufenthalts, entdeckt auf der Stäbchen-Verpackung beim Asia-Imbiss in den Potsdamer Platz-»Arkaden«: »Welcome to Chinese Restaurant. Please try your Nice Chinese Food With Chopsticks the traditional and typical of Chinese glonous history and cultual.«)
Es ist halt doch nicht so leicht mit den kulturellen Differenzen, wenn man mehr soll, als sie einfach nur akzeptieren. Den anderen verstehen, das kann glatt in Arbeit ausarten. Ging mir beispielsweise auch so beim Wettbewerbsfilm KT von Junji Sakamoto. Saß ich drin und merkte einfach: Du hast nicht annähernd genug Ahnung von den politischen Vorgängen in Japan und Korea Anfang der ‘70er, um damit wirklich was anfangen zu können. Da müsstest Du Dich erstmal schlau machen. Und
bin dann auch nach einer langen Weile gegangen.
Oder wenn Du jetzt meinst: Wenn beispielsweise Chinesen selbst sich mit kulturellen Differenzen zum Westen auseinandersetzen, dann haben sie was Spannendes zu erzählen – tja, dann bist Du da auch nur der romantischen Illusion aufgesessen, dass die »Anderen« (so man denn aufgeklärt genug ist, sie nicht einfach für böse zu halten) immer entweder hilfsbedürftig oder ganz voll toller poetischer Lebensweisheit sein zu haben.
Und man ihnen nicht zugesteht, ganz einfach genauso blöde Langweiler sein zu können wie wir. Case in point: BIG SHOT’S FUNERAL von Feng Xiaogang. Ließ sich so vielversprechend an – Komödie um einen amerikansichen Regisseur (Donald Sutherland, no less!), der in China grade an einem Remake von THE LAST EMPEROR dreht, dabei zusammenbricht und sich vom Totenbett aus eine richtig schön chinesische, fröhliche Trauerfeier ausbittet. Was dann sofort eine riesige
Vermarktungsmaschine in Gang bringt. Aber nun: Der Witz ist eben, dass alle versuchen, diese Totenfeier zu vermarkten. Und das ist der GANZE Witz. 100 Minuten lang. Sonst nix. Immer wieder und wieder: Alle versuchen, den Tod dieses großen Mannes zu vermarkten, ha ha! Und wieder und wieder. Und auf Dauer kann man da dann irgendwann nicht mehr ganz so schallend drüber lachen...
Trotzdem, bei asiatischen Filmen war generell die Trefferquote die durchschnittlich höchste. Da gab’s reichlich, was zwar vielleicht den oheimschen Erwartungen nicht bis zum Füllstrich entsprach, aber doch die investierte Zeit maßvoll entlohnte. Was soll’s, wenn PRINCESS BLADE die intendierte Großkurve von actionreichem Beginn zu ruhigem Mittelteil zu wieder explodierendem Finale nicht so recht hinbekommt, weil ihm gerade in der Ruhe schlicht die Kraft fehlte – wenn die Actionchoreographien von Donnie Yen dafür ordentlich kickten. Was, wenn Shinji Aoyama mit HAMA MIKU – NAMAE NO NAI MORI nicht das Gewicht eines EUREKA auf die Waage brachte, wenn’s doch so schön verspielt, so verschroben, mit so einer schönen Titelmusik war – und genau wusste, wie lang (bzw. kurz) das Ganze trägt. Und (fast) egal, wenn Shunji Iwai mit ALL ABOUT LILY CHOU CHOU den Nerv des Onkels deutlich weniger getroffen hat als mit seinem SWALLOWTAIL BUTTERFLY (zu deutsch YENTOWN), wo der Film es dennoch geschafft hat, genug Momente fest in der Erinnerung zu verankern. Und klar hatten wir alle (na ja, viele zumindest) nach seinem THE ISLE darauf gehofft gehabt, dass Kim Ki-Duk mit BAD GUY (NA-BBUN-NAM-JA) im Wettbewerb was hinklotzt, wo die anderen danach einfach einpacken und heimfahren hätten können. Und mussten dann zugeben, dass er DAS dann doch nicht geschafft hat. (Wobei die Wellen des Hasses, die dieser Film bei nicht wenigen hat hochbranden lassen, dann doch ebenso unberechtigt wie bezeichnend waren. Klar, ein sperriger, ein anstrengender Film – irgendwann wird’s wirklich zu viel, wenn die Charaktere allesamt keine andere Ausdrucks-, keine andere Kommunikationsform haben als Gewalt. Aber eben auch ein Film, der einem dabei wirklich auf die Pelle rückte, bei dem das Gefühl des Unbehagens nicht rein intellektuell blieb; der einem die Hölle der gezeigten Welt unangenehm nah und intensiv erfahrbar machte.)
Zwei Funde gab’s dann (bevor wir bald zum einen ÜBERRAGENDEN Werk des Festivals kommen), die Deinen Onkel wirklich gänzlich für sich einnehmen konnten. Zum einen THE RULE OF THE GAME (WA DONG REN) von Ho Ping. Wo Du jetzt wahrscheinlich unweigerlich an Tarantino denken würdest, wenn ich Dir von der Handlung berichtete – von wegen mehrere miteinander verwobene Geschichten von relativ glücklosen Kleinkriminellen und so... Wo Du jetzt aber gar nicht auf Tarantino kommen
würdest, wenn Du den Film wirklich sehen könntest. Das hatte eine so grandiose Beiläufigkeit, war so herrlich unaufgeregt und fern jeder gehuberten Coolness angelegt, und hat seine (nicht unerhebliche) Cleverness keine Sekunde vor sich hergetragen, sondern einem damit lieber immer wieder wirklich überrascht. Ganz groß!
Zum anderen DARK WATER (HONOGURAI MIZUNO SOKOKARA), der manchem, der sich nachher furchtbar darüber ärgerte, glatt durch die Lappen ging. Weil (und danach brauchte
man wirklich keinen Beweis mehr für die Studienratslastigkeit des Festivals) im Berlinale Journal dazu einiges stand von wegen Kampf einer Frau ums Sorgerecht für die Tochter, aber nicht so recht erwähnt wurde, dass das nur ein kleiner Nebenstrang ist und das Ganze schlicht und einfach ein lupenreiner Horrorfilm. Wer da nicht wo anders nachlas oder drauf aufmerksam wurde, dass man’s bei Hideo Nakata mit dem Regisseur von THE RING zu tun hatte... tja, Pech. Und wirklich Pech, weil
das Ding wirklich atemberaubend gut funktioniert hat. Klar, sonderlich unvorhersehbar war der Gang der Ereignisse nicht gerade, auch wenn manches, was lange schon zu erwarten war, noch als Überraschung sich aufbauschte. Aber die Atmosphäre – meine Herren! Da hat es dem Onkel sogar die Gänsehaut auf den Buckel getrieben, und das passiert ihm im Kino mittlerweile nun wirklich selten. Da saß manch gestandener Mann dann beim Finale drin wie ein kleines Mädchen in der
Geisterbahn.
Wenn man’s drauf anlegt, dann holt man aus DARK WATER freilich problemlos mindestens ebenso viel und ebenso tiefgehende Sozialkritik heraus wie aus den dezidierten »Problemfilmen« (um einmal dieses garstige Unwort zu verwenden). Aber da muss man halt vielleicht eine kleine Ecke weiterdenken als nur bis zur bloßen Oberfläche, und, na ja: schwierig! Deswegen halt Genrefilm nicht so gern gesehen im Programm, weil erstmal unter Trivialitätsverdacht und so, genau wie halt vor
weiß nicht viel Jahrzehnten – was man naiverweise für längst überwunden und evident uralten Käse hätte halten können. Nun musstest Du Dir ja schon im letzten Brief des Oheims Lament über die Bildungsbürgerlastigkeit des Filmangebots auf der diesjährigen Berlinale anhören, und dazu hatte ich als einen Erklärungsversuch den Mangel einer zünftigen Retro angeführt. Was aber auch den Umstand der vielen zerknirschten Sozial- und Beziehungsdramen unverhältnismäßig stark
spürbar machte im Vergleich zu vergangenen Jahren war die drastisch geschrumpfte Mitternachts-Schiene im Delphi. Da gab’s ja bisher, getreu dem »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen«-Motto, immer wenigstens zur Geisterstunde Filme, bei denen es ungestraft erlaubt war, schlicht Freude am Kino zu empfinden. Dieses Jahr aber war dieses Angebot auf die Hälfte reduziert – weil die bösen, bösen Hong Kong-Produzenten auf einmal richtig Geld sehen wollten für ihre Filme. Jetzt muss
man freilich zugeben, dass ein Festival sich tatsächlich in Nöte bringt, wenn es einmal anfängt, für Aufführungsrechte mehr als nominelle Pauschal-Beträge abzudrücken. Weil, nicht nur »Des ham mir schon immer so g'macht« und »Des ham mir no nia so g'macht« sondern vor allem halt »Da könnt ja a jeda kommen«, und dann wollen die Produzenten noch von Jahr zu Jahr mehr und überhaupt... Andererseits: Erzähl mir keiner, dass um die paar größeren Hollywood-Filme im Wettbewerb nicht gepokert
würde. Und dass, selbst wenn die sich bescheiden würden, es nicht einfach um Werbung für den kurz bevorstehenden Deutschland-Start ginge. Von asiatischen Studios aber wird ganz selbstverständlich erwartet, dass sie ihre Filme für mau und ohne strategischen Werbe-Wert (schließlich haben die leider fast nie einen deutschen Verleih) hergeben. Also nicht nur »Accept diversity«, sondern bitte auch »Maintain diversity«. (Wie ein Vorwurf klang es, als mir eine zuständige Dame vom Forum,
in dessem Rahmen die Reihe lief, erklärte, die Hong Kong-Produzenten wollten Geld sehen »weil die Filme so poulär geworden sind«. Die trauen sich was, die Chinesen – populär werden! Schlitzaugerte Saubuam!) Weil, sonst kommen nachher irgendwann auch noch die asiatischen Kinder aus der Turnschuhfabrik und wollen menschenwürdige Stundenlöhne, und dann aber, lieber Stiefneffe, gute Nacht!
Wobei das jetzt alles auch noch immer keine Erklärung dafür bietet, warum bei den
Midnight Movies dieses Jahr kein einziges Bollywood-Musical war. Sauerei, mit Verlaub! Und zwar elendige!
Da fällt mir ein: Du hattest auch den Wunsch geäußert, nicht immer nur über die Filme informiert zu werden, sondern auch ein bisserl über den Glamour drum rum. Das sei mir doch gleich Befehl. Nur – so richtig glamourös war die Berlinale dieses Jahr einfach nicht, und keiner weiß recht, warum. Wie jedes Jahr ertönte der Jammerschrei »Zu wenig Stars,« aber das stimmte schlichtweg nicht.
Stars waren reichlich da, kleine wie große, alte wie junge, Madeln und Buben, eigentlich für
jeden Geschmack was dabei. Und auch Parties gab’s wieder – gewiss nicht so viele wie noch vor zwei Jahren zu Börsengang-Boom-Zeiten; aber die ein oder andere Firma schien sich doch auch schon wieder zu trauen, nicht wie im letzten Jahr fast ausschließlich Arbeitsessen zu inszenieren. Trotzdem lag so ein allumfassender Hauch des Arbeitsmäßigen über dem gesamten Festival, und ein Gefühl des Nur-um-sich-selbst-Kreisens – es schien wenig Wirkung nach außen zu dringen, nicht
einmal so recht bis zur gewöhnlichen Berliner Bevölkerung.
Es mag daran liegen, dass in der Filmwirtschaft inzwischen die Strukturen weitgehend verhindern, dass andere als Major-Produktionen noch irgendwen erreichen, der sich nicht wirklich aktiv ums Kinogeschehn kümmert. Es hat sich so eine Kategorie des puren Festival-Films herausgebildet (die, rein zahlenmäßig, wahrscheinlich weitaus den größten Teil aller weltweiten Produktionen umfasst), der nie außerhalb von
Festivals zu sehen sein wird – oder wenn, dann mit viel Glück irgendwann nachts auf arte oder in den letzten paar echten Programmkinos. Ins Multiplex aber, und damit ins leider letzte Refugium, wo Kino noch von sich behaupten darf, ein echtes MASSEN-Medium zu sein, schafft es nichts davon. Die wirklich Filmbegeisterten haben sich anscheinend damit abgefunden (oder wollen das nicht wahrnehmen), rotten sich auf solch Festivals zusammen und bleiben unter sich; der Mainstream schämt
sich seiner Borniertheit längst nicht mehr (wenn er das je getan hat) und lässt die Spinner selbstgenügsam unter sich.
So verliert solch ein Filmfestival langsam jeden Anschein von einer Kommunikationsplattform, auf der die Künstler wirklich die große Welt erreichen mit ihren Botschaften; auf der ein Ausstausch stattfände mit der Gesellschaft insgesamt. Was bleibt, ist das Einholen von Soundbites, ist journalistische Flakhilfe für die Marketingabteilungen und eben das
pure Geschäft des Filmeverkaufens.
So ist man dann schon fast froh über all die Halbdebilen und schrägen Gestalten, die sich zwangsweise immer in so ziemlich jeder Pressekonferenz einfinden und dort zwar einerseits große Pein auslösen durch dumme, unsinnige oder unverständliche Fragen, minutenlange Monologe ohne Punkt und dergleichen mehr, die aber andererseits wenigstens der hohlen Glätte des ganzen Prozederes ein paar Dellen zufügen.
À propos Pressekonferenzen: Wie ja schon in meinem letzten Epistel
festgestellt, ist seit dem 11. September 2001 selbstverständlich auch auf der Berlinale nichts mehr so wie zuvor. Was eben auch immer wieder in den journalistischen Fragestunden zu merken war. Denn der 11. September, der war da immer wieder ein wichtiges Thema. Also, wenn zum Beispiel bei Tom Tykwer in HEAVEN eine Frau in einem Hochhaus eine Bombe zündet – sofort Frage nach 11. September! Oder wenn Terroristen vorkamen in einem Film – Frage nach 11. September! Oder New
York. Oder Männer mit Bart. Oder Männer ohne Bart. Oder überhaupt Leute. Oder auch keine Leute. Immer sofort: Frage nach 11. September! Auch gab es eine Dame von einem Fernsehsender aus der arabischen Welt (ich habe vergessen, woher genau), die in jeder Pressekonferenz, in der sie auftauchte – auch wenn’s zu sagen wir, einer französischen Komödie war – , die Frage stellte, ob Araber im westlichen Kino zu negativ dargestellt werden. Und was man daran ändern könnte.
Und überhaupt, Verständigung von Westen mit Islam und so. Was unter anderem mal wieder ein schöner Beweis für den magischen Glauben war, dass Leute, weil sie irgendwie an einem Film beteiligt waren und nun zufällig auf einem Podium vor einem Mikrofon sitzen, zu sämtlichen Fragen des Weltgeschehens a priori wichtige, richtige und interessante Dinge zu sagen haben. Und beispielsweise Schauspieler als Quell der Erkenntnis auch in komplett nichtfilmischen Belangen eine Autorität
haben, wie sie wiederum beispielsweise ähnlich themenfremden Supermarktkassiererinnen niemals eignen könnte.
Bei allem Dust nach Glamour, bei allem Gemosere über fehlende Grande Dames und Grand Seigneurs (und da muss man sagen: Deneuve, Cardinale, Altman! Wen wollt ihr denn noch alles?) oder heiße flavors of the month – von dem einen unbestreitbaren, leibhaftigen Super-bis-Mega-Star vor Ort wurde allgemein dann doch erstaunlich wenig Notiz genommen: Andy Lau war da! Und jetzt fürchte ich, dass selbst Dir, meinem des asiatischen Kinos nicht unkundigen und durchaus geschmackssicheren
Stiefneffen, das unter Umständen kaum mehr als ein »Ach nett!« entlockt. Dann schäm' Dich! Und nimm Dir ein Beispiel an den kleinen Chinesinnen, die im Delphi waren, als Lau auftrat. Das musst Du Dir jetzt ungefähr so vorstellen, als würden Madonna und Leonardo di Caprio zusammen mal eben durch’s Kino spazieren. Hei, das war ein Gequieke und Gefiepe, »Mr. Lau, Mr. Lau!!!«, und ein Getatsche und Gewusel und Gefotografiere! Also, wenn’s um Enthusiasmus geht und seine
ungehemmte Zurschaustellung, da sind kleine Chinesinnen ganz groß!
Und beweisen dabei aber halt auch einfach Geschmack. Muss man auch als Nicht-Chinese und erst recht Nicht-Chinesin neidlos anerkennen: Andy Lau und Charisma – also da wenn der einen Laden aufmachen würde mit abgeschnittenen Scheiben, könnte er halb Hollywood heute ganz allein ausreichend versorgen, und den Deutschen Film insgesamt gleich gar für die nächsten sieben bis acht Jahrzehnte.
Nur dass das
gegenwärtige deutsche Kino wahrscheinlich erstmal gar nicht wüsste, wohin dann mit dem Charisma – da hätte es ja gar nicht die Filme dafür. Da müsste es mit dem Scheibenabschneiden schon viel grundlegender und umfangreicher anfangen.
Was die Präsenz eines Andy Lau (nicht ohne liebreizendes Zutun von Anita Mui und Sandra Ng, sei fairerweise gesagt) aus einem eher durschnittlichen Routineprodukt noch alles macht, das zeigte DANCE OF A DREAM. Einer von frag mich nicht wievielen Filmen von Andrew Lau (nicht verwechseln mit Andy, Andrew ist der Regisseur!) dieses Jahr, und wie meist bei ihm (wenn er sich nicht gerade zu einem Ausreißer nach oben aufrafft) solideste Unterhaltung, mit einem flotten, freudvollen Handwerk, für das Filmemacher außerhalb Hong Kongs wahrscheinlich sämtliche Großmütter verscherbeln würden, welches dort aber kaum über dem Standard liegt. Eine Tanzlehrer-Komödie – wie’s dem chinesischen Geschmack entspricht etwas zu bubbly, zu quietschfröhlich, für unser Empfinden stellenweise schon nah an der Hysterie vor lauter Enthusisamus, besonders der Damen. Aus Repertoire-Elementen zusammengebastelt, ohne ewig lang an glatten Fugen zu tüfteln. Aber eben optisch mit dem Hong Kong-typischen untrüglichen Gespür für das absolute Grundelement des Kinos: Die Bewegung und ihre Ästhetik. Und völlig frei von falschen Ansprüchen, nichts heischend, was es nicht ist, im besten Sinne »schamloses« Entertainment. Und dazu eben mit Darstellern wie Andy Lau, bei denen das Zuschauen einfach immer Spaß macht, allein wegen der Grazie der Bewegung, allein wegen der Ausstrahlung, eben wegen seines Charismas. Wenn ich Dir, lieber Stiefneffe, dann noch berichte, dass in diesem Film unter anderem eine Szene vorkam, in der Anita Mui und Sandra Ng Busenmassage üben (bevor Deine jugendliche Phantasie mit Dir durchgeht: im bekleideten Zustand, versteht sich, wir sprechen hier schließlich von einem Hong Kong-Familienfilm!), und eine Musicalnummer mit der chinesischen Version von »Ein Schiff wird kommen« (nein, wirklich, der Onkel hat erst danach zum Bier gegriffen!) – na, dann kannst Du Dir ausmalen, mit welch Glücksgefühlen der Oheim anschließend aus dem Kino schwebte.
Was jetzt aber alles nur Vorgeplänkel war und blasse Ahnung, bleicher Schatten und harmloser Zeitvertreib. Vor dem EINEN, vor dem GROßEN, vor dem WAHREN, dem WIRKLICHEN und EINZIGEN und HÖCHSTEN und HEILIGSTEN, was die Berlinale 2002 zu bieten hatte. Ich kann nicht sagen, dass es ganz unverhofft kam – nach dessen überragenden, heroischen Trio von 1999 gedrehten Filmen (THE MISSION, WHERE A GOOD MAN GOES und RUNNING OUT OF TIME – wie FULLTIME KILLER auch mit keinem anderen
in einer der Hauptrollen als Andy Lau!) erwartet der Onkel von Johnnie To ja stets nur das Allerbeste.
Aber dass es dann doch so eine Offenbarung werden würde – es hätte geheißen, die Schicksalsgötter herauszufordern, hätte man gewagt, fest damit zu rechnen. Wenn es nach Tsui Harks TIME & TIDE noch irgendeines Beweises bedurfte, dass man in Sachen Action-Kino in Hong Kong schon wieder 20 Jahre weiter ist als Hollywood, das sich seit THE MATRIX so rührend bemüht, endlich
auf den HK-Stand von ca. 1980 zu kommen – FULLTIME KILLER lieferte ihn im Überfluss.
You want diversity? Dieser Film hatte sie tatsächlich: Kantonesisch, Mandarin, Japanisch und Englisch wurde da im fliegenden Wechsel gesprochen, nicht einen, sondern gleich zwei Profikiller (im Wettstreit) gab’s, quer durch ganz Asien hüpfte der Plot, IL MARIACHI, POINT BREAK, FEAR & LOATHING IN LAS VEGAS, LEON, THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALLANCE, »Crying Freeman«-Manga, »Metal
Slug«-Videospiel, Beethoven, Rossini, Bach, das alles war drin und mehr, und weil’s eben kein besserwisserisches Zitatenraten war, wurde meist gleich dazugesagt, woher man sich bedient hatte.
Da muss jetzt selbst Dein Onkel zugeben, dass er beim ersten Sehen stellenweise überfordert war, manche Zusammenhänge nicht sofort begriff – kein Wunder, nach zwei Wochen bebilderter Hörpsiele, wo man bei den meisten nach dem establishing shot für den Rest einer Szene
getrost die Augen schließen konnte, wusste man doch Schuss für Gegenschuss, wie sie aufgelöst sein würde und wurde einem alles Wesentliche in den Dialogen vorerzählt. Und dann dieser Film, der einem zutraute, fast alles über die Bilder zu kapieren – und dabei davon ausging, dass es reicht, etwas einmal gezeigt zu haben. Wo uns Hollywood doch lehrt, dass alle wichtige Information mindestens dreimal vorgekaut zu sein hat.
Es war definitiv ein Film für Schnellgucker, auch wenn die
unglaublich geilen (nein, ein anderes Wort tut es hier nicht) Schrotflintenschüsse selbstverständlich gebührend in Zeitlupe zelebriert wurden. Es war ein Film, der erstmal von nichts handelte als dem Kino selbst, in dem auch Andy Lau (mit Bill Clinton-Maske) im Kino sitzt, den Trailer zu THE MISSION guckt und meint – ach, könnte unser Leben nur so prall und spannend sein wie Film-Trailer. Der rasend virtuos mit allem spielte, was die Kamera an Möglichkeiten hat, der ganz und gar
Genre war, in allem überlebensgroß – und dann in zweiter Linie bittersüße Tragödie, Film über Ruhm, Rivalität, Liebe, Einsamkeit, Legenden. Kurzum: Es war das eine Meisterstück wirklichen KINOS, das einem da von der Berlinale gegönnt wurde.
Und es hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können: Viermal war es Deinem Onkel vergönnte, sich FULLTIME KILLER an den letzten drei Tagen der Berlinale anzuschauen, mit nie erlahmender, nein, sogar mit wachsender Begeisterung.
Sich endlich alles holend, was da zuvor knapp zwei Wochen als mal kleines, mal riesig klaffendes Defizit in den diversen Kinosälen gestanden war. Es war ein versöhnliches, onkelbeglückendes, oheimbefriedigendes Ende des Festivals, wie man es schöner nicht hätte planen können.
All’s well that ends well, hat schon vor rund 400 Jahren ein anderer Favorit Deines Onkels gesagt, und so sei das abschließende Placet erteilt und festgestellt: Es war eine gute Berlinale.
Und das ist dann doch auch ein schönes Ende für diesen (mal wieder, Du mögest es mir wie immer in Deinem großen Langmut verzeihen, über alle vernünftigen Stränge gewachsenen) Brief. Ich wünsche uns beiden freilich, dass ein weiser Verleiher sich FULLTIME KILLER sichert und deutsche Kinos damit begnadet. Und würde mich freuen, auch von Dir bald wieder zu hören.
Auf dass Deine Wege stets gesäumt seien von Lichtspielhäusern voll begeisternder Filme, und Dein Leben so spannend wie ein
Trailer,
grüße mir auch Deine Eltern recht lieb
und komm' doch nächstes Mal einfach mit auf die Berlinale,
Dein
Stiefonkel dritten Grades mütterlicherseits