20.05.2019
72. Filmfestspiele Cannes 2019

Die Leiden der Männer

Terrence Malicks A Hidden Life
Terrence Malicks A Hidden Life
(Foto: Pandora)

Moralzombies und religiöse Untote, die nicht suchen, sondern immer schon gefunden haben (Terrence Malick, A Hidden Life; Nicolas Winding Refn, Too Old to Die Young) – Cannes-Notizen, 6. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Waldwasen, unein­ge­ebnet, / Orchis und Orchis, einzeln,
Krudes, später, im Fahren, / deutlich,
der uns fährt, der Mensch, / der’s mit anhört,
die halb­be­schrit­tenen Knüp­pel­pfade im Hochmoor,
Feuc«
htes,
viel.
Paul Celan: »Todt­nau­berg«

»Well such high moral standards.«
aus: Nicolas Winding Refns Too Old to Die Young

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Ein Mann geht seinen Weg. Davon hat das Kino schon oft erzählt. Aber diesmal ist es der Weg aufs Schafott. Es ist ein Mann, der sterben will für seine Sache; man kann ihn dafür bewundern, wenn man die Sache für edel hält, man kann ihn auch verab­scheuen, denn er lässt seine Familie, sämtlich Frauen, allein zurück. Die meisten Zuschauer in Cannes dürften ihn, nach meinem Eindruck vom verhal­tenen, kurzen Applaus, vor allem unver­s­tänd­lich finden, denn der Held dieses Films sucht nicht, zweifelt nicht, er hat immer schon gefunden.
Der Deutsche August Diehl spielt diesen Mann, den wider­s­tän­digen öster­rei­chi­schen Bauern Franz Jäger­stetter, der 1943 in Berlin wegen »Wehr­kraft­zer­set­zung« hinge­richtet und 2007 von der katho­li­schen Kirche selig gespro­chen wurde, in A Hidden Life, dem neuen Film von Amerikas Regie­le­gende Terrence Malick im Wett­be­werb von Cannes.

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Bevor der Film begann, hatte ich mich mit Antje, neben der ich saß, über das bisherige Programm unter­halten. Wir hatten beide Jeanne gesehen, Bruno Dumonts seltsame Verfil­mung der Geschichte der Jeanne d’Arc. Aus meiner Sicht kranken die meisten Jeanne d’Arc-Verfil­mungen daran, dass sie allzu gutka­tho­lisch das Martyrium der heiligen Johanna ins Zentrum stellen, den Prozeß, ihre Weigerung zu wider­rufen und das faule Spiel mitzu­spielen. Das eigent­lich Sensa­tio­nelle der Geschichte der Pucelle ist aber, dass (nicht wie) es ihr gelang, den König zu über­zeugen, ihr zu folgen, und dass (nicht wie) es ihr dann auch gelang, jahrelang zu siegen. Davon hat Dumont auch in seinem ersten Teil nicht wirklich erzählt. Auch bei ihm steht nun der Prozeß mit seinem bekannten Ausgang und Jeannes Martyrium im Zentrum. Dumont, der ein seltsames aber inter­es­santes Verhältnis zur Religion, zur Gewalt, zum reak­ti­onären Denken und zum Filme­ma­cher Robert Bresson hat, hat Charles Peguy’s Version verfilmt, und zeigt daher Jeanne als Opferlamm, wo Robert Bressons Film eher von einer Ulrike Meinhof des 15. Jahr­hun­derts erzählt.

Antje und ich hatten nach den Bildern zu urteilen und der langen Schnitt­zeit für Malicks Film große Zweifel, was man von »Radegund« (so hieß der Arbeits­titel) zu erwarten hätte. Würde nach Jeanne d’Arc der nächste Opfergang folgen, jetzt der heilige August der Berghöfe?

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Die Skepsis war berech­tigt. Um nicht lange darum herum­zu­reden: Alle Vorwürfe, die man Terrence Malick schon immer gemacht hat, zu Unrecht, werden wahr in diesem Film.

Mit Riefen­stahl geht es los. Flüge über Marsch­ko­lonnen, Reichs­par­teitag, Ekstase der Hitler­fans, Feiern im Feuer­schein.
»I think we should build our nest high up«, das ist der erste Satz, in August Diehls Stimme, auf Englisch, wie alle Haupt­dar­steller, während die Hinter­grund­dia­loge immer wieder in Deutsch gespro­chen werden, oft in Dialekt.
Vom Himmel hoch, da kommt der Führer her in Riefen­stahls Film, »high up« liegt der mora­li­sche Hochsitz der Haupt­figur.
Danach dann ein Insert: »St. Radegund 1939«, dann sieht man Bauern mit der Sense die Ähren nieder­mähen, so wie in vielen Filmen, die die Nazis in den 30er und 40er Jahren gemacht haben, noch »Kolberg«, Veit Harlans berüch­tigster Opfer-Rech­ter­fer­ti­gungs­film von 1945, geht mit genau solchen Bildern los, selbst der gelbliche Sonnen­schein stimmt, und wir können kaum glauben, dass das jemand wioe Malick nicht auch genau weiß. Aber wenn das so ist: Was soll es?
Sense ist Tod, das war eine der meta­pho­ri­schen Über­set­zungen solcher Bilder, der Tod ist ein Senser. Der Tod ist ein Meister aus Deutsch­land.

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Sense, Bauern, Blut und Boden, es wird nicht besser. Sie reicht ihm einen Apfel, als sie sich kennen­lernen – Symbol, Symbol! kreischt es von der Leinwand. Dann sind sie schon verhei­ratet, Kinder da, viel Lachen, viel Gemein­schaft, viel Idylle. »How simple life was then« sagt der namenlose Erzähler. Wann ist »then«? 1939, im Jahr nach der Kris­tall­nacht, nach dem »Anschluß«, nach dem Ende des Spani­schen Bürger­kriegs?

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Man muss aufpassen. Ich muss es jeden­falls. Aufpassen, hier nicht die Ästhetik verur­teilen, weil mir der Inhalt nicht passt. Das Frag­men­ta­ri­sche, Mäan­dernde, das ich an Malicks Filme immer schätze und immer vertei­digt habe, der konser­va­tiven Fami­li­en­ideo­logie, dem Katho­li­zismus-Kitsch zum Trotz, ist hier aber erheblich reduziert. Malick ist ein Esote­riker, und das darf er auch sein. Aber was man noch nie, außer in ein paar kleinen Ansätzen, über seine Filme sagen konnte, dass sie nämlich BluBo-Kitsch, die Verklärung von Blut und Boden seien, das muss man hier nun konsta­tieren.
Malick, der Schöpfer so groß­ar­tiger, in tausend Facetten schil­lernder exis­ten­ti­eller Filmepen wie Badlands, The Thin Red Line und The Tree of Life, für den er 2011 in Cannes die Goldene Palme gewann, hat einen über­ra­schend eindeu­tigen, ja eindi­men­sio­nalen Film gedreht, die Chronik eines angekün­digten Todes.
Noch nie war der studierte Philosoph und Heidegger-Über­setzer auch so nahe dran an Heid­eg­gers Philo­so­phie und deren fließenden Über­gängen zum Faschismus, dessen Verklärung des Bäuer­li­chen, des »einfachen Lebens«, der »Weisheit« der Natur.

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»What comes next is seldom better.« »Nature does not see the sorrow of Man.« »Even when it rains, the sun is shining. She is shining on good and evil the same.« – das sind so die Bauern­re­geln oder auch (same same) Hippiesätze dieses Films.
Die Menschen sind jeden­falls beschränkt, die Natur ist klug.

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Der Film hat eine große Lust daran, den Schau­spie­lern Dreck auf die Hände zu schmieren, und sie mit den Händen in der Erde wühlen zu lassen. Das steht dann im Kontrast zu den tadel­losen Klamotten, in denen auch nie eine Motte herumnagt. Schlimmer aber: Die Heimat­fil­mäs­thetik des Ganzen, die idyl­li­schen Bilder der Natur- und Bauern­ver­klärung: Man tanzt und lächelt, senst und pfügt. Die Sonne scheint, der Esel schleppt. Das Leben auf dem Land ist offenbar ziemlich lustig, denn Erwach­sene spritzen sich hier mit Wasser nass, spielen mit Kindern blinde-Kuh. Wenn die Nazis mal wieder von sich hören lassen, schickt Gott ein Gewitter, oder Wolken und Sturm.
Alle Bauern sind grundgute Menschen, die nichts Böses kennen, die Nazis sind dann wieder Klischeen­azis: Schweine in Uniform. Irgend­wann schneidet Malick dann Eva Brauns Super-8-Farbfilme hinein: Ober­salz­berg, Hitler mit Kindern. Hitler mit Ribben­trop. Wozu das?

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Malick nähert sich seinem Helden nicht allzu psycho­lo­gisch, er will nicht vers­tänd­lich machen, sondern zeigen: Das einfache Leben der Haupt­figur, mit Frau, Mutter, drei Töchtern, und den Entschluss, den Eid auf den »Führer« zu verwei­gern, von dem er auch um den Preis des Todes nicht ablässt. Im Hinter­grund läuft dazu sanft die Matthäus­pas­sion, auch ml Beethoven und »Aus der Neuen Welt«, Arvo Pärt darf nicht fehlen – ist alles auf Malicks Fest­platte. Es gibt kleine feine Schau­spiel­vi­gnetten vieler deutscher Darsteller auf der Cannes-Leinwand – besonders markant: Maria Simon, Alexander Fehling und der verstor­bene Bruno Ganz in einem seiner letzten Auftritte, und am aller­besten ist die Öster­rei­cherin Valerie Pachner als Jäger­stet­ters Frau – aber dieser Film befremdet vor allem: Die Leute schwafeln vom Licht, fragen »Is this the end of the world? Is this the death of the light?«
Allzu fremd bleibt einem vor allem dieser arrogante christ­liche Gewis­sen­s­täter und leidende Mann, der manch heutigem Funda­men­ta­listen zum Verwech­seln ähnelt.

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Diehls immer etwas zu weltferne Jäger­stetter-Figur wirkt wie ein schlaf­wan­delnder Moral-Zombie, einer, der von einem vagen Trieb geleitet wird, über den er nicht frei verfügt. Ähnlich die rächende Poli­zisten-Haupt­figur in Nicolas Winding Refns Too Old to die Young, der wie eine Art US-Samurai wirkt, der in der Abendröte des ameri­ka­ni­schen Empires alles über den Haufen schießt, was sich nicht seiner reak­ti­onären Moral fügt.

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»Faschism, Faschism, Faschism!« brüllt irgend­wann ein Poli­zei­re­vier in diesem Film. Nicht gerade subtil, aber wann wäre dieser Regisseur das je gewesen?
Das ist Kino, nicht Fernsehen. Auch wenn es Teil einer Serie ist.

Ein einsamer Mann blickt aus dem Fenster. Ein Motel­zimmer, schlecht beleuchtet bei Nacht, ein Vorhang, künst­li­ches Licht von Draußen, eine sehr alte Tapete. Das muss ein Film von Nicolas Winding Refn sein. NWR, wie er sich nennt, ein Regisseur für die Nerds und für den Nerd in uns allen.
Ziemlich oft blicken einsame Männer in seinen Filmen aus dem Fenster. Die Frau auf dem Bett sagt, und es sind die ersten Sätze des Films: »Look at me! Do you like what you see?« Es könnte ihm gefallen, aber er schaut lieber aus dem Fenster in die Einsam­keit. Dann kriecht er durch das ranzige Motel­zimmer auf allen Vieren auf ihre Füße zu, die in hoch­ha­ckigen roten Schuhen stecken.
Es geht um Voyeu­rismus und Feti­schismus, das machen diese ersten Szenen klar. Refns Kino ist ein Kino der Phan­ta­sien und des Phan­tas­ti­schen. Wenn einem im Folgenden ein einziger anderer Regisseur einfällt, an den das alles erinnert, dann ist es David Lynch – wobei Lynch ungleich mehr Humor hat, und nicht predigt.

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Immerhin, das muss man zugeben, hat dieser Regisseur eine ganz spezi­fi­sche unver­wech­sel­bare Ästhetik. Man erkennt sofort, wenn es sich um einen Film von ihm handelt, man erkennt dies am Äußeren, am Stil der Bilder, man erkennt dies auch an den Figuren, den Männern die immer einsam sind, Einzel­gänger, Loner, Bindungs­lose, Männer, die irgend­einen Grimm, einen seltsamen unspe­zi­fi­schen Hass in sich tragen.

Viel Leiden der Männer, viel »male gaze«, viel Apoka­lyptik. Vor diesem Hinter­grund erzählt Refn die Geschichte eines Poli­zisten, der in seiner Freizeit ein selbst­er­nannter Sherrif und Rächer ist an denen, die »die es verdienen.« Eine Art ameri­ka­ni­scher Samurai – der letzte seiner Art.
Die Dialogs werden außer­or­dent­lich langsam, wenn man so will präten­tiös, überaus betont gespro­chen, die meisten Szenen spielen nachts und Innen, es sind dunkle Innen­räume, mit einzelnen hellen Punkten und Neon­farben. Beleuch­tung und Licht­ge­bung erinnern an den Film Noir. Alle reden so langsam, wie Schlaf­wandler, weil sie eigent­lich Untote sind, Moral-Zombies. Meist hält die reak­ti­onäre Moral alles bleiern am Boden.
Erst am Schluß hebt der Film mal kurz ab, da zeigt Refn was er wirklich kann: Musik und Autos.

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NWR ist ein selbst­ge­rechter Moralist. Und das strahlen seine Filme aus. So sind seine Figuren. Dies ist aber auch ein Film über den Wahnsinn Amerikas, die absurde Sexbe­ses­sen­heit der Ameri­kaner: Die Hass­fi­guren des Films sind zum Beispiel Porno­grafen, oder einfach »Molester«, wie es schön unspe­zi­fisch heißt. Sex ist überhaupt das Schlimmste. Ausbeuter dürfen dagegen weiter­leben. NWR könnte seine Figuren ja auch anders zeichnen, der Geschichte andere Akzente geben. Aber das will er offen­kundig nicht.

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Der Kumpel des Helden hält irgend­wann über den Dächern von LA einen Vortrag für uns Zuschauer, vermut­lich im Namen von NWR. HIer ein paar Fragmente: »world is falling apart ... We're heading back to the dark ages ... sourrounded by barba­rians... Once there was men and nature. Then men startet bearing crosses. ... floods, deserts ... now all is falling apart.«
Je zivi­li­sierter die Welt wurde, desto psycho­ti­scher seien die Menschen.

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Und ich dachte mir während der schönen Autofahrt, Refn sollte endlich einen Formel 1-Film machen. Das könnte er wirklich gut.

(to be continued)