72. Filmfestspiele Cannes 2019
Die Leiden der Männer |
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Terrence Malicks A Hidden Life | ||
(Foto: Pandora) |
»Waldwasen, uneingeebnet, / Orchis und Orchis, einzeln,
Krudes, später, im Fahren, / deutlich,
der uns fährt, der Mensch, / der’s mit anhört,
die halbbeschrittenen Knüppelpfade im Hochmoor,
Feuc«htes,
viel.
Paul Celan: »Todtnauberg«»Well such high moral standards.«
aus: Nicolas Winding Refns Too Old to Die Young
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Ein Mann geht seinen Weg. Davon hat das Kino schon oft erzählt. Aber diesmal ist es der Weg aufs Schafott. Es ist ein Mann, der sterben will für seine Sache; man kann ihn dafür bewundern, wenn man die Sache für edel hält, man kann ihn auch verabscheuen, denn er lässt seine Familie, sämtlich Frauen, allein zurück. Die meisten Zuschauer in Cannes dürften ihn, nach meinem Eindruck vom verhaltenen, kurzen Applaus, vor allem unverständlich finden, denn der Held dieses Films sucht nicht,
zweifelt nicht, er hat immer schon gefunden.
Der Deutsche August Diehl spielt diesen Mann, den widerständigen österreichischen Bauern Franz Jägerstetter, der 1943 in Berlin wegen »Wehrkraftzersetzung« hingerichtet und 2007 von der katholischen Kirche selig gesprochen wurde, in A Hidden Life, dem neuen Film von Amerikas Regielegende Terrence Malick im Wettbewerb von
Cannes.
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Bevor der Film begann, hatte ich mich mit Antje, neben der ich saß, über das bisherige Programm unterhalten. Wir hatten beide Jeanne gesehen, Bruno Dumonts seltsame Verfilmung der Geschichte der Jeanne d’Arc. Aus meiner Sicht kranken die meisten Jeanne d’Arc-Verfilmungen daran, dass sie allzu gutkatholisch das Martyrium der heiligen Johanna ins Zentrum stellen, den Prozeß, ihre Weigerung zu widerrufen und das faule Spiel mitzuspielen. Das eigentlich Sensationelle der Geschichte der Pucelle ist aber, dass (nicht wie) es ihr gelang, den König zu überzeugen, ihr zu folgen, und dass (nicht wie) es ihr dann auch gelang, jahrelang zu siegen. Davon hat Dumont auch in seinem ersten Teil nicht wirklich erzählt. Auch bei ihm steht nun der Prozeß mit seinem bekannten Ausgang und Jeannes Martyrium im Zentrum. Dumont, der ein seltsames aber interessantes Verhältnis zur Religion, zur Gewalt, zum reaktionären Denken und zum Filmemacher Robert Bresson hat, hat Charles Peguy’s Version verfilmt, und zeigt daher Jeanne als Opferlamm, wo Robert Bressons Film eher von einer Ulrike Meinhof des 15. Jahrhunderts erzählt.
Antje und ich hatten nach den Bildern zu urteilen und der langen Schnittzeit für Malicks Film große Zweifel, was man von »Radegund« (so hieß der Arbeitstitel) zu erwarten hätte. Würde nach Jeanne d’Arc der nächste Opfergang folgen, jetzt der heilige August der Berghöfe?
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Die Skepsis war berechtigt. Um nicht lange darum herumzureden: Alle Vorwürfe, die man Terrence Malick schon immer gemacht hat, zu Unrecht, werden wahr in diesem Film.
Mit Riefenstahl geht es los. Flüge über Marschkolonnen, Reichsparteitag, Ekstase der Hitlerfans, Feiern im Feuerschein.
»I think we should build our nest high up«, das ist der erste Satz, in August Diehls Stimme, auf Englisch, wie alle Hauptdarsteller, während die Hintergrunddialoge immer wieder in Deutsch gesprochen werden, oft in Dialekt.
Vom Himmel hoch, da kommt der Führer her in Riefenstahls Film, »high up« liegt der moralische Hochsitz der Hauptfigur.
Danach
dann ein Insert: »St. Radegund 1939«, dann sieht man Bauern mit der Sense die Ähren niedermähen, so wie in vielen Filmen, die die Nazis in den 30er und 40er Jahren gemacht haben, noch »Kolberg«, Veit Harlans berüchtigster Opfer-Rechterfertigungsfilm von 1945, geht mit genau solchen Bildern los, selbst der gelbliche Sonnenschein stimmt, und wir können kaum glauben, dass das jemand wioe Malick nicht auch genau weiß. Aber wenn das so ist: Was soll es?
Sense ist Tod, das war eine der
metaphorischen Übersetzungen solcher Bilder, der Tod ist ein Senser. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.
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Sense, Bauern, Blut und Boden, es wird nicht besser. Sie reicht ihm einen Apfel, als sie sich kennenlernen – Symbol, Symbol! kreischt es von der Leinwand. Dann sind sie schon verheiratet, Kinder da, viel Lachen, viel Gemeinschaft, viel Idylle. »How simple life was then« sagt der namenlose Erzähler. Wann ist »then«? 1939, im Jahr nach der Kristallnacht, nach dem »Anschluß«, nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs?
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Man muss aufpassen. Ich muss es jedenfalls. Aufpassen, hier nicht die Ästhetik verurteilen, weil mir der Inhalt nicht passt. Das Fragmentarische, Mäandernde, das ich an Malicks Filme immer schätze und immer verteidigt habe, der konservativen Familienideologie, dem Katholizismus-Kitsch zum Trotz, ist hier aber erheblich reduziert. Malick ist ein Esoteriker, und das darf er auch sein. Aber was man noch nie, außer in ein paar kleinen Ansätzen, über seine Filme sagen konnte,
dass sie nämlich BluBo-Kitsch, die Verklärung von Blut und Boden seien, das muss man hier nun konstatieren.
Malick, der Schöpfer so großartiger, in tausend Facetten schillernder existentieller Filmepen wie Badlands, The Thin Red Line und The Tree of Life, für den er 2011 in Cannes die Goldene Palme gewann, hat einen überraschend eindeutigen, ja eindimensionalen Film gedreht, die Chronik eines angekündigten Todes.
Noch nie war der studierte Philosoph und Heidegger-Übersetzer auch so nahe dran an Heideggers Philosophie und deren fließenden Übergängen zum Faschismus, dessen Verklärung des Bäuerlichen, des »einfachen Lebens«, der »Weisheit« der Natur.
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»What comes next is seldom better.« »Nature does not see the sorrow of Man.« »Even when it rains, the sun is shining. She is shining on good and evil the same.« – das sind so die Bauernregeln oder auch (same same) Hippiesätze dieses Films.
Die Menschen sind jedenfalls beschränkt, die Natur ist klug.
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Der Film hat eine große Lust daran, den Schauspielern Dreck auf die Hände zu schmieren, und sie mit den Händen in der Erde wühlen zu lassen. Das steht dann im Kontrast zu den tadellosen Klamotten, in denen auch nie eine Motte herumnagt. Schlimmer aber: Die Heimatfilmästhetik des Ganzen, die idyllischen Bilder der Natur- und Bauernverklärung: Man tanzt und lächelt, senst und pfügt. Die Sonne scheint, der Esel schleppt. Das Leben auf dem Land ist offenbar ziemlich lustig, denn
Erwachsene spritzen sich hier mit Wasser nass, spielen mit Kindern blinde-Kuh. Wenn die Nazis mal wieder von sich hören lassen, schickt Gott ein Gewitter, oder Wolken und Sturm.
Alle Bauern sind grundgute Menschen, die nichts Böses kennen, die Nazis sind dann wieder Klischeenazis: Schweine in Uniform. Irgendwann schneidet Malick dann Eva Brauns Super-8-Farbfilme hinein: Obersalzberg, Hitler mit Kindern. Hitler mit Ribbentrop. Wozu das?
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Malick nähert sich seinem Helden nicht allzu psychologisch, er will nicht verständlich machen, sondern zeigen: Das einfache Leben der Hauptfigur, mit Frau, Mutter, drei Töchtern, und den Entschluss, den Eid auf den »Führer« zu verweigern, von dem er auch um den Preis des Todes nicht ablässt. Im Hintergrund läuft dazu sanft die Matthäuspassion, auch ml Beethoven und »Aus der Neuen Welt«, Arvo Pärt darf nicht fehlen – ist alles auf Malicks Festplatte. Es gibt kleine feine
Schauspielvignetten vieler deutscher Darsteller auf der Cannes-Leinwand – besonders markant: Maria Simon, Alexander Fehling und der verstorbene Bruno Ganz in einem seiner letzten Auftritte, und am allerbesten ist die Österreicherin Valerie Pachner als Jägerstetters Frau – aber dieser Film befremdet vor allem: Die Leute schwafeln vom Licht, fragen »Is this the end of the world? Is this the death of the light?«
Allzu fremd bleibt einem vor allem dieser arrogante
christliche Gewissenstäter und leidende Mann, der manch heutigem Fundamentalisten zum Verwechseln ähnelt.
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Diehls immer etwas zu weltferne Jägerstetter-Figur wirkt wie ein schlafwandelnder Moral-Zombie, einer, der von einem vagen Trieb geleitet wird, über den er nicht frei verfügt. Ähnlich die rächende Polizisten-Hauptfigur in Nicolas Winding Refns Too Old to die Young, der wie eine Art US-Samurai wirkt, der in der Abendröte des amerikanischen Empires alles über den Haufen schießt, was sich nicht seiner reaktionären Moral fügt.
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»Faschism, Faschism, Faschism!« brüllt irgendwann ein Polizeirevier in diesem Film. Nicht gerade subtil, aber wann wäre dieser Regisseur das je gewesen?
Das ist Kino, nicht Fernsehen. Auch wenn es Teil einer Serie ist.
Ein einsamer Mann blickt aus dem Fenster. Ein Motelzimmer, schlecht beleuchtet bei Nacht, ein Vorhang, künstliches Licht von Draußen, eine sehr alte Tapete. Das muss ein Film von Nicolas Winding Refn sein. NWR, wie er sich nennt, ein Regisseur für die Nerds und für den Nerd in uns allen.
Ziemlich oft blicken einsame Männer in seinen Filmen aus dem Fenster. Die Frau auf dem Bett sagt, und es sind die ersten Sätze des Films: »Look at me! Do you like what you see?« Es könnte ihm gefallen,
aber er schaut lieber aus dem Fenster in die Einsamkeit. Dann kriecht er durch das ranzige Motelzimmer auf allen Vieren auf ihre Füße zu, die in hochhackigen roten Schuhen stecken.
Es geht um Voyeurismus und Fetischismus, das machen diese ersten Szenen klar. Refns Kino ist ein Kino der Phantasien und des Phantastischen. Wenn einem im Folgenden ein einziger anderer Regisseur einfällt, an den das alles erinnert, dann ist es David Lynch – wobei Lynch ungleich mehr Humor hat,
und nicht predigt.
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Immerhin, das muss man zugeben, hat dieser Regisseur eine ganz spezifische unverwechselbare Ästhetik. Man erkennt sofort, wenn es sich um einen Film von ihm handelt, man erkennt dies am Äußeren, am Stil der Bilder, man erkennt dies auch an den Figuren, den Männern die immer einsam sind, Einzelgänger, Loner, Bindungslose, Männer, die irgendeinen Grimm, einen seltsamen unspezifischen Hass in sich tragen.
Viel Leiden der Männer, viel »male gaze«, viel Apokalyptik. Vor diesem Hintergrund erzählt Refn die Geschichte eines Polizisten, der in seiner Freizeit ein selbsternannter Sherrif und Rächer ist an denen, die »die es verdienen.« Eine Art amerikanischer Samurai – der letzte seiner Art.
Die Dialogs werden außerordentlich langsam, wenn man so will prätentiös, überaus betont gesprochen, die meisten Szenen spielen nachts und Innen, es sind dunkle Innenräume, mit einzelnen
hellen Punkten und Neonfarben. Beleuchtung und Lichtgebung erinnern an den Film Noir. Alle reden so langsam, wie Schlafwandler, weil sie eigentlich Untote sind, Moral-Zombies. Meist hält die reaktionäre Moral alles bleiern am Boden.
Erst am Schluß hebt der Film mal kurz ab, da zeigt Refn was er wirklich kann: Musik und Autos.
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NWR ist ein selbstgerechter Moralist. Und das strahlen seine Filme aus. So sind seine Figuren. Dies ist aber auch ein Film über den Wahnsinn Amerikas, die absurde Sexbesessenheit der Amerikaner: Die Hassfiguren des Films sind zum Beispiel Pornografen, oder einfach »Molester«, wie es schön unspezifisch heißt. Sex ist überhaupt das Schlimmste. Ausbeuter dürfen dagegen weiterleben. NWR könnte seine Figuren ja auch anders zeichnen, der Geschichte andere Akzente geben. Aber das will er offenkundig nicht.
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Der Kumpel des Helden hält irgendwann über den Dächern von LA einen Vortrag für uns Zuschauer, vermutlich im Namen von NWR. HIer ein paar Fragmente: »world is falling apart ... We're heading back to the dark ages ... sourrounded by barbarians... Once there was men and nature. Then men startet bearing crosses. ... floods, deserts ... now all is falling apart.«
Je zivilisierter die Welt wurde, desto psychotischer seien die Menschen.
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Und ich dachte mir während der schönen Autofahrt, Refn sollte endlich einen Formel 1-Film machen. Das könnte er wirklich gut.
(to be continued)