Der weibliche Blick |
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Die Macht der Mädchen: La niña santa |
Von Dunja Bialas
Sie nimmt die Nagelschere, führt sie vorsichtig zwischen ihre gespreizten Schenkel und schneidet weg, was da aus ihrem Inneren herauswächst. Fausta hat eine Kartoffel in der Vagina und muss immer wieder die Triebe kürzen. Fausta lebt in Peru und die Kartoffel ist sichtbares Zeichen für ein Trauma, das sie mit der »Milch des Leidens«, so will es ein Volksmythos, in sich aufgenommen hat: ihre Mutter wurde zur Zeit des »Leuchtenden Pfads« von den Militärs vergewaltigt, und dies, als sie mit Fausta schwanger war. Die Kartoffel soll sie nun schützen vor Übergriffen, Vergewaltigung, Leid. Eine ganz und gar symbolische und surreale Geste, mit der Fausta auf das schreckliche Erlebnis ihrer Mutter antwortet, ganz im Sinne des realismo mágico der Südamerikaner, der Verwandlung der Realität in etwas Wunderliches oder Wunderbares.
Wunderbare Wirklichkeit: So entsetzlich das Schicksal von Fausta ist, so erstaunlich ist der Umgang mit der Wirklichkeit, den Claudia Llosa für die Protagonistin von La teta asustada (Eine Perle Ewigkeit) gefunden hat. In ihrem Film, der letztes Jahr in Berlin den Goldenen Bären gewann, setzt sich Llosa mit dem Erbe des Bürgerkriegs in den 80er Jahren auseinander. Dabei wirft sie mit ihrer Geschichte von einer Kartoffel als zeichenhaftem Mittel gegen Gewalt einen ganz und gar weiblichen Blick auf ihr Land.
Der Film ist aktuell zu sehen bei den Lateinamerikanischen Filmtagen, die an diesem Freitag beginnen und bis zum 14. März im Münchner Gasteig stattfinden. Zentrales Thema der diesjährigen Filmschau ist das weibliche Filmschaffen. Vierzehn Filme aus dem südamerikanischen Kontinent werden gezeigt, denen alle eines gemeinsam ist: Frauen haben hier Regie geführt.
Was aber ist der weibliche Blick? Gibt es ein weibliches Filmschaffen? Dies sind Fragen, die während der Filmtage immer wieder zur Diskussion kommen werden. Die Reihe wird begleitet von der mexikanischen Filmwissenschaftlerin Patricia Torres, die zum Auftakt einen Vortrag über »das weibliche Auge« halten (Freitag, 5.3., 19:30 Uhr, Kultursaal des Instituto Cervantes) und zu allen Filmen kurz einführen wird.
Nicht nur eine spezifisch weibliche Erzählweise wird in den Filmen des Programms spürbar, vielen gemeinsam ist auch die Durchdringung des privaten Lebens durch politische oder historische Ereignisse, die Südamerika, der gebeutelte Kontinent, in der Vergangenheit durchlitten hat. So in Polvo nuestro que estás en los cielos – Masángeles (dt. etwa Staub unser, der du bist im Himmel) der uruguayischen Regisseurin Beatriz Silva. Die siebenjährige Masángeles verliert zur Zeit des Militärputsches ihre Mutter und kommt zu ihrem leiblichen Vaters, Oberhaupt einer von Neurosen und Egomanien geprägten Politikerfamilie (Sa., 13. März, 21:00 Uhr). Ähnlich durchdrungen von den politischen Umständen ist das Leben des kleinen Mädchens in Postales de Leningrado (Postkarten aus Leningrad). Die venezolanische Regisseurin Mariana Rondón lässt es vor der historischen Kulisse der ereignisreichen Guerilla-Jahre ein Spiel ausdenken, mit dem es sich aus der bedrohlichen Wirklichkeit zu stehlen vermag (Di., 9.3., 19:00 Uhr).
Weibliches Schicksal ist geprägt von Geschichte und Gesellschaft, das wird man in vielen der bei den Latino-Filmtagen gezeigten Werke entdecken könne. Auch heute noch gibt es in Lateinamerika, wie woanders in der Welt auch, sexuellen Missbrauch, Gewalt, Unterdrückung, die Frauen besonders schwer treffen. Aber – und nun kommt die gute Nachricht – wie überall auf der Welt suchen auch hier die Frauen ihr Glück in der Liebe. Ein ganz und gar ungewöhnlicher Liebes-Dokumentarfilm (!) ist Intimidades de Shakespeare y Víctor Hugo (Vertraulichkeiten zwischen Shakespeare und Victor Hugo) der mexikanischen Regisseurin Yulene Olaizola – eine Erinnerung an einen geliebten Mitbewohner, der verschwunden ist (So., 7.3., 17:00 Uhr und Fr., 12.3., 19:00 Uhr). Von einer modernen Beziehung erzählt Turistas der Chilenin Alicia Scherson. Die 37-jährige Carla ist verheiratet, vermutlich schwanger, und doch wünscht sie sich mit einem norwegischen Rucksacktouristen auf und davon (Mi., 10.3., 21:00 Uhr und Sa., 13.3., 19:00 Uhr).
Unbedingt noch hingewiesen werden muss auf zwei Highlights des vielfältigen Programms: XXY der Argentinierin Lucía Puenzo behandelt die sexuelle Identität einer (eines?) Heranwachsenden: Alex ist Zwitter und soll sich für ein Geschlecht entscheiden. Dies wird erzählt vor einer atemberaubenden, seltsam entleerten Dünenlandschaft, in der alles möglich zu sein scheint und doch nichts Kontur gewinnt (Do., 11.3., 21:00 Uhr). La niña santa (Das heilige Mädchen) schließlich der Argentinierin Lucrecia Martel wurde produziert vom spanischen Kinomeister Pedro Almodóvar. Dementsprechend abgedreht-dramatisch geht es in ihrem Film über ein vierzehnjähriges Girl zu, das versucht, zwischen Katholizismus, Erotik und mütterlicher Eifersucht die Seele eines Arzts zu retten, der sich am liebsten an Teenager heranmacht (So., 7.3., 21:00 Uhr).
Lateinamerikanische Filmtage, 6. – 14. März im Gasteig München, Vortragssaal der Bibliothek. Zusätzlicher Vortrag am 5. März im Instituto Cervantes, Kultursaal.
Eintritt 5 Euro (Vortrag) bzw. 7 Euro (Filmprogramm). Weitere Informationen bei der Filmstadt München.