Griechen kriechen nicht |
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The Enemy Within – Ohnmacht und Gewalt sind ein heimtückisches Paar |
Von Natascha Gerold
Als Premierminister Venizelos den Film sah, senkte er die Steuerbelastung für griechische Filme von dreißig auf zehn Prozent, so sehr hat ihn der Stummfilm Astero von Dimitris Gaziadis begeistert. Das waren noch Zeiten, 1929.
Und heute? Filmhochschule, Filmförderung? Ersteres gibt es in Griechenland nach wie vor nicht, Letzteres ist nicht mehr existent. Dennoch ist das griechische Kino lebendiger, eigenständiger und williger denn je, immer noch reiben wir uns verwundert die Augen und lachen nervös nach Lowest-Budget Außenseiterkrassheiten der jüngsten Vergangenheit wie Attenberg von Athina Rachel Tsangari, Giorgos Lanthimos‘ Alpen oder Dogtooth, die international bewundert und vielfach ausgezeichnet wurden. Das große K und seine Folgen scheint der böse Engel des zeitgenössischen Filmschaffens der Griechen, der sie materiell im Würgegriff hat, ideell aber einen unerschöpflich scheinenden Quell an erzählenswerten Grundthemen menschlicher Existenz für sie bereithält.
Die Griechische Filmwoche des Griechischen Filmforums München zeigt, unter anderem, eine etwas andere Seite dieses Neuen Griechischen Kinos, die nicht minder erschütternd ist als die ihrer trotzigen Mitstreiter. Immer noch ist die Familie ein zentraler Mikrokosmos, neue Umstände oder Eindringlinge machen seinen Fortbestand respektive seine gewohnte Ordnung ungewiss. Diese Unsicherheit ist Motiv für sensible, schmerzhafte Psychogramme, an deren Ende es nur Verlierer geben kann: In Sto spiti – At Home von Athanasios Karanikolas sieht sich eine bislang gut situierte Kleinfamilie gezwungen, ihr enges Verhältnis zu langjährigen Haushälterin Naja, die einst aus Georgien emigrierte, aufzugeben. Die Sehnsucht nach Geborgenheit und Gesellschaft treibt Enddreißigerin Anna in September von Penny Panayotopoulou nach dem Tod ihres Hundes zur Nachbarsfamilie, die irgendwann versucht, die überschrittenen Grenzen wieder klar zu definieren. Den Wandel eines fürsorglichen Familienvaters zum verzweifelten Outlaw beschreibt The Enemy Within von Giorgos Tsemberopoulos als ihn die Scham darüber auffrisst, seine Familie nicht vor den entsetzlichen Folgen eines Einbruchs bewahrt haben zu können – nicht weit sind hier die Parallelen zur zunehmenden Radikalisierung im linken (Syriza) und rechten (Goldene Morgenröte) politischen Lager zu finden, die Griechenland derzeit unter anderem umtreibt.
Ein außergewöhnlicher Thriller ist The Sentimentalists von Nicholas Triandafyllidis. Darin wird einem Ganovenduo die Liebe jeweils zum Verhängnis – The Sentimentalists ist eine Art Comeback für Triandafyllidis, einem der Pioniere der Neuen Griechischen Kinos, der nicht wirklich weg war, sondern in den vergangenen Jahren die Zeit für die Abbezahlung der Schulden für sein Schaffen nutzen musste. Auch sein neuestes ist ein Meisterwerk des Minimalismus: In der fünfwöchigen Drehzeit standen dem Team lediglich 100.000 Euro Bargeld zur Verfügung.
1914 verfilmte Costas Bachatoris das Drama Golfo, mit ihm schlug die Geburtsstunde des Griechischen Kinos. Auch die Griechische Filmwoche feiert dieses runde Jubiläum mit einer gut durchdachten Auswahl an Filmen der vergangenen Jahrzehnte: Die Gaunerkomödie Topkapi von Jules Dassin ist halb so alt wie das Griechische Kino und schwungvoller farbenfroher Auftakt, mit dem Schauspiellegenden Melina Merkouri, Peter Ustinov und Maximilian Schell gedacht wird.
Auch der Bereich Dokumentarfilm ist bei der Griechischen Filmwoche von aufregenden Reisen in die Vergangenheit geprägt: Küsse für die Kinder von Vassilis Loules ist das berührende Porträt von fünf Holocaust-Überlebenden aus Thessaloniki, die als Kinder von Christen vor den Nazis versteckt und aufgenommen wurden – Der Film forderte von Loules viel Fingerspitzengefühl für seine Protagonisten und Beharrlichkeit beim Suchen, Finden und Auswählen dieses einzigartigen Archivmaterials.
An diesen Höhlen strandete nicht nur einst Göttervater Zeus mit seiner Geliebten Europa. In den 1960er-Jahren zog Matala im Süden Kretas viele Hippies von überall her an. Hippie, Hippie, Matala! Matala! von Giorgos Varelas erzählt von den Umständen, Unruhen sowie von Mythos und Wirklichkeit des Lebens als Flower-Power-People im Fischerdörfchen. Maria P. Koufopoulou, Drehbuchautorin von Hippie, Hippie, Matala! Matala! und langgediente Journalistin des öffentlich-rechtlichen Senders ERT ist bei der Vorführung anwesend und kann sicherlich auch aus erster Hand von der Medienkrise Griechenlands berichten: Im vergangenen Jahr wurde ERT kurzerhand geschlossen und 2600 Menschen auf die Straße gesetzt; heuer im Mai wurde er unter den Namen NERIT wiedereröffnet.
Gerade jetzt, wo so viel leidenschaftliche Kreativität das griechische Kino auszeichnet, ist ein Blick in die Zukunft umso spannender: Auch heuer ist bei der Griechischen Filmwoche eine Auswahl der Arbeiten zu sehen, die beim diesjährigen Internationalen Kurzfilmfestival in Drama ausgezeichnet wurden; dort können die großen Namen von Morgen gemeinhin ihre ersten Erfolge feiern. Fortsetzung folgt? Sehr gut möglich …!
Die 28. Griechische Filmwoche des Griechischen Filmforums München fand von 14. bis 23. November im Vortragssaal der Bibliothek im Gasteig statt.
Eine Veranstaltung der Filmstadt München e.V.