Glückssucher und Traumtänzer |
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Der griechische Oscar-Kandidat für 2018 Amerika Square eröffnet die Griechische Filmwoche |
Von Elke Eckert
Das Münchner Festival des griechischen Films, bei dem sich aktuelle Spielfilme und Klassiker mit anspruchsvollen Dokumentationen abwechseln, startet ins vierte Jahrzehnt. Ergänzt wird das diesjährige Programm durch einen Vortrag über griechische Filmgeschichte und wie immer durch die Highlights des Kurzfilmfestivals aus dem griechischen Ort Drama. Themenschwerpunkte sind dieses Jahr die Träume und Hoffnungen von jungen und nicht mehr ganz so jungen Menschen, die alle auf der Suche nach dem Glück sind.
Das Schicksal der Flüchtenden inspiriert griechische Filmemacher immer wieder dazu, es aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Im Eröffnungsfilm Amerika Square wird der arbeitslose Nakos in seiner direkten Athener Nachbarschaft mit Flüchtlingen konfrontiert. Während Rassist Nakos gegen die Aufnahme der Ausländer ist, geht sein bester Kumpel, Tatookünstler Billy, offen auf die Neuankömmlinge zu. Am Amerika Square treffen die zwei auf den Syrer Tarek… Regisseur Yannis Sakaridis schaut genau hin, welche Auswirkungen die Flüchtlingskrise auf die griechische Gesellschaft hat und stellt scheinbare Wahrheiten infrage. Sein Drama geht für Griechenland ins Oscarrennen 2018. (Eröffnung 10.11., 19:30 Uhr, Carl-Orff-Saal, in Anwesenheit von Tarek-Darsteller Vasilis Koukalani, Wiederholung 16.11., 18:30 Uhr).
Der Dokumentarfilm The Longest Run begleitet die minderjährigen Kriegsflüchtlinge Jasim und Alsaleh bei ihrem Prozess in Griechenland, dem sich die beiden nach ihrer Flucht aus Syrien und dem Irak stellen müssen, weil sie andere Flüchtende über die griechische Grenze geschmuggelt haben. Regisseurin Marianna Economou zeigt eindringlich, wie skrupellos Jugendliche, die für sich und
ihre Angehörigen auf ein besseres Leben hoffen, von Schleusern zum Menschenschmuggel gezwungen werden (12.11., 18:00 Uhr).
Träume von einer schöneren Zukunft haben auch die 22-jährige Anna und der gleichaltrige Dimitris. Den Großteil ihrer Zeit verbringen sie mit anderen jungen Leuten in den Ruinen der Spielstätten, die für Olympia 2004 in Athen gebaut wurden. Als sich die beiden ineinander verlieben, wollen sie den trostlosen Ort hinter sich lassen. Sofia Exarchou hat ihr mehrfach
ausgezeichnetes Drama Park über Selbstzweifel und Perspektivlosigkeit der jüngeren Generation mit Laiendarstellern besetzt, was den Film noch realistischer erscheinen lässt (11.11., 20:30 Uhr und 15.11., 18:30 Uhr).
Die Tragikomödie Mythopathy ist ebenfalls eine Geschichte über das Erwachsenwerden und der bisher erfolgreichste Film Griechenlands. Regisseur Tassos Boulmetis taucht in die Gedankenwelt des jungen Stavros ein, der in den 1970er Jahren von schönen Frauen und langen Reisen träumt. (12.11., 20:00 Uhr).
Im gleichen Jahrzehnt spielt Alexander Voulgaris' Fantasythriller Thread. Niki, eine junge Mutter, geht gegen die Militärdiktatur auf die Barrikaden. Doch ihr Kampf um Freiheit hat ausgerechnet für ihren kleinen Sohn Lefteris fatale Folgen (16.11., 20:30 Uhr).
Die Beziehung des achtjährigen Tobias zu seiner Mutter ist da deutlich entspannter. Der kleine Schwede, den alle nur Tsatsiki nennen, hat aber trotzdem ein Problem: Er kennt seinen griechischen Vater nicht. Doch diesen Sommer will seine Mama endlich ihr Versprechen einlösen und die beiden miteinander bekannt machen. Regisseurin Ella Lemhagen hat mit Tsatsiki – Tintenfisch und erste Küsse (1999) die erfolgreiche Kinderbuchserie von Moni Brännström verfilmt und damit in Skandinavien einen Riesenhit gelandet (17.11., 15:00 Uhr).
Dass auch Menschen reiferen Alters häufig noch auf der Suche nach dem Glück sind, erzählt das Drama Forever. Jeden Tag fährt Anna mit der Athener Metro, bei der Kostas als Zugführer arbeitet, in den Hafen von Piräus, wo sie Bahntickets verkauft. Weil Anna immer zur selben Zeit in den gleichen Wagen steigt, wird Kostas auf sie aufmerksam und verliebt sich in sie. Er will Anna unbedingt näher
kennenlernen und für sich gewinnen. Margarita Mandas Liebesgeschichte lässt zwischen den grauen Bildern Raum für Hoffnung und Romantik (14.11., 18:30 Uhr).
Auch Nikos, ein mittelloser Musiker um die dreißig, kann seine große Liebe nicht kampflos aufgeben. Deshalb schließt er seine Ex-Freundin Sofia in der Villa eines Freundes ein, die er den Sommer über hütet. Gemeinsam mit Sofia will Nikos herausfinden, woran ihre Beziehung gescheitert ist. Stergios Paschos Afterlov nimmt bissig das Liebesleben griechischer Großstädter ins Visier (14.11., 20:30 Uhr).
Drei Paare aus verschiedenen Generationen, Ländern und Bevölkerungsschichten stehen im Mittelpunkt von Christopher Papakaliatis' Drama Worlds Apart. Die Wege der Sechs kreuzen sich im aufgewühlten Athen der Gegenwart. Die berührende Reflexion über Alter und Zeit erhielt 2016 beim Greek Film Festival in Los Angeles den Publikumspreis (15. und 18.11., jeweils 20:30
Uhr).
Einen bitterbösen Blick auf die Liebe wirft The Lobster, Giorgos Lanthimos' absurdes Drama. Eingesperrt in einem Hotel müssen sich Singles innerhalb von 45 Tagen verlieben. Tun sie das nicht, werden sie in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. Bevor er zum Hummer wird, flüchtet David in den Wald und findet dort die Liebe – und neue Probleme. Starbesetzt (u.a. Colin Farrell und Rachel
Weisz) und preisgekrönt ist das verstörende Meisterwerk von 2015 einer der Höhepunkte der Filmwoche. (19.11., 20:30 Uhr).
Eine etwas andere Sicht auf die Dinge hat auch Sotiris Tsafoulias' The Other Me. Das liegt vor allem an der Hauptfigur, einem Kriminologen mit Asperger-Syndrom. Dieser Dimitris Lainis versucht mithilfe eines Mathematikprofessors fünf grausame Morde aufzuklären, die Athen in den Ausnahmezustand versetzen. Seine unkonventionellen Ermittlungsmethoden bringen Lainis in Gefahr (17.11.,
20:30 Uhr).
Der schüchterne Bankangestellte Thomas hat hingegen »nur« das Pech, einem gesuchten Kriminellen zum Verwechseln ähnlich zu sehen. Dessen Bild ist in allen Zeitungen, und so sieht sich Thomas ausgerechnet am Silvesterabend gezwungen, sich vor der Polizei zu verstecken, weil ihn alle für den berüchtigten »Drachen« halten. Der Film-Noir-Klassiker The Ogre of Athens wurde 1956 von
Nikos Koundouros inszeniert, der Anfang dieses Jahres gestorben ist (17. November um 18.30 Uhr).
Eine Art Vermächtnis ist auch 90 Years of PAOK: Nostalgia for the Future, das letzte Werk des 2016 verstorbenen Regisseurs Nicholas Triandafyllidis. Seine Dokumentation über die griechische Fußballmannschaft PAOK, die als die beste und legendärste im Norden des Landes gilt, ist eine Chronik sportlicher Höhepunkte im gesellschaftlichen Kontext. Triandafyllidis' Hommage an diese Ausnahmemannschaft basiert auf Interviews mit Spielern, Trainern und Fans und wurde 2016 auf dem Thessaloniki Film Festival als Bester Dokumentarfilm ausgezeichnet (13.11., 18:30 Uhr und 18.11., 15:00 Uhr).
Ein anderes historisches Gemeinschaftsprojekt ist der Nachbau eines antiken 50-Mann-Ruderschiffs, dessen Geschichte der Dokumentarfilm Argo Navis von Stelios Efstathopoulos und Susanne Bausinger erzählt. Das Ganze begann 2003 als Teil eines archäologisch-nautischen Forschungsprojekts und endete mit der 2000 Kilometer langen Jungfernfahrt zum Schwarzen Meer (13.11., 20:30 Uhr und 19.11., 18:00 Uhr).
Viel Herzblut steckt auch in Timon Koulmasis' sehr persönlicher
Dokumentation Briefe aus Athen. Die Verfasser dieser Zeilen sind Koulmasis' Vater Petros und die junge Kunststudentin Nelly, die sich während der Besatzungszeit der deutschen Wehrmacht in den 1940er Jahren fast täglich schrieben. Dabei versicherten sie sich nicht nur ihrer Gefühle zueinander, sondern tauschten sich auch über Freunde und Kollegen aus. Einer davon war Rudolf Fahrner, der
nicht nur mit Petros am Deutschen Wissenschaftlichen Institut (DWI) gearbeitet hat, sondern auch ein Mitverschwörer des misslungenen Hitlerattentats vom 20. Juli 1944 war. (12.11., 16:00 Uhr).
Eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im Pariser Kunstbetrieb ab den 1930er Jahren war der Sammler, Verleger und Journalist Tériade. Simos Korexenidis gelingt mit dem gleichnamigen Dokumentarfilm ein dichtes Porträt des gebürtigen Griechen, der zahlreiche Bücher über
namhafte Künstler der Moderne veröffentlichte. Im Anschluss an die Vorführung steht der Regisseur für ein Publikumsgespräch zur Verfügung (11.11., 18:30 Uhr).
Das Programm wird abgerundet durch eine Auswahl prämierter Werke des diesjährigen Kurzfilmfestivals von Drama (19.11. ab 15:00 Uhr) und den Vortrag »Zwei oder drei Dinge, die ich vom griechischen Kino weiß«. In ihm nimmt die Professorin Maria Stassinopoulou des Instituts für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien die Geschichtsschreibung über die griechische Filmproduktion genauer unter die Lupe (18.11., 18:00 Uhr).
31. Griechische Filmwoche. 10. – 19. November 2017. Mit Ausnahme der Auftaktveranstaltung am 10. November finden alle Vorführungen im Carl-Amery-Saal (Vortragssaal der Bibliothek) im Gasteig statt. Mehr Informationen gibt es hier.
Die Griechische Filmwoche ist eine Veranstaltung unter dem Dach der Filmstadt München e.V., die ganzjährig das Angebot der Münchner Kinolandschaft erweitert und ergänzt.