Von der Mitte des Lebens und dem Rand der Gesellschaft |
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Variation einer Midlife-Crisis in Suntan |
Von Elke Eckert
Drei Jahrzehnte gibt es das Festival schon und in dieser Zeit hat sich in Griechenland vieles verändert. Diese Veränderung und was sie an Themen mit sich bringt, spiegelt die diesjährige Jubiläumsfilmwoche wider. Regieveteranen und junge Filmemacher zeigen ihren Blick auf die Welt und erzählen jeder auf seine Art Geschichten über starke Frauen, Männer „in den besten Jahren“, Flüchtlings- und Emigrantenschicksale und Menschen, die durch die Wirtschaftskrise an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.
Der Eröffnungsfilm Eden Is West ist West ist das Werk eines Altmeisters. Constantin Costa-Gavras hat schon 2009 ein Schlaglicht auf die Flüchtlingspolitik Europas geworfen, indem er einen Jungen auf seiner Odyssee von Griechenland nach Frankreich begleitet. Der bittersüße Film widmet sich dem Thema mit Humor und Poesie, macht aber auch deutlich, wie entwurzelt Flüchtende sind (11.
November um 19.30 Uhr im Carl-Orff-Saal).
Auch in SMAC aus dem Jahr 2015 geht es um Entwurzelte, die jenseits einer bürgerlichen Existenz leben. Da ist der obdachlose Andreas, der vor einem Athener Hochhaus seinen Schlafplatz aufgeschlagen hat. Im Keller des Hauses haben afrikanische Flüchtlinge Unterschlupf gefunden und sich mit der krebskranken Bankangestellten Eleni angefreundet, die
im 5. Stock wohnt. Elias Dimitrious’ Blick auf die Außenseiter der Gesellschaft ist sehr menschlich und genau. Der Regisseur stellt seinen zweiten Spielfilm persönlich vor und steht nach der Vorstellung für ein Publikumsgespräch zur Verfügung (12. November um 20 Uhr und 19. November um 17.30 Uhr).
Mit Krankheit und Ausgrenzung werden auch die Kinder Petros und Anthoula in ihren Sommerferien am Meer konfrontiert. Sie lernen einen an Tuberkulose erkrankten Jungen kennen,
der von der Dorfgemeinschaft gemieden wird, und freunden sich mit ihm an. Der Kinderfilm Little Dolphins von 1993 spielt zwischen den beiden Weltkriegen und berührt mit seiner warmherzigen Inszenierung (20. November um 15 Uhr).
Brides schildert das Schicksal von 700 Emigrantinnen, die 1922 aus
Griechenland, der Türkei und Russland nach New York aufbrechen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Pantelis Voulgaris’ preisgekröntes Drama von 2004 zeigt, dass Menschen bereits vor hundert Jahren ihre Heimat aus wirtschaftlicher Not verlassen haben (16. November um 20 Uhr).
Von diesen starken Frauen, die im vorigen Jahrhundert ihr Glück in der Fremde gesucht haben, spannt sich der filmische Bogen zu zwei klassischen Heldinnen. Um dem Mythos Medea auf die Spur zu kommen und einen persönlichen Schicksalsschlag zu verarbeiten, verwebt Nikos Grammatikos in seiner Dokumentation von 2014 Animationen, Szenen von Theaterproben und Gespräche zwischen
Schauspielern mit Ausführungen eines Archäologen und Interviews mit Menschen auf der Straße. Herausgekommen ist ein vielschichtiges und kaleidoskopisches Kinowagnis (14. November um 18.30 Uhr und 17. November um 20 Uhr).
Ein Klassiker ist dagegen Michael Cacoyannis’ Elektra aus dem Jahr 1962. Das auf der gleichnamigen Tragödie von Euripides basierende Drama war damals als
Bester fremdsprachiger Film für den Oscar nominiert (16. November um 18 Uhr).
Nicht ganz so stark sind die männlichen Helden der Filmwoche. Einer von ihnen ist Kostis, ein einsamer Arzt mittleren Alters, der auf einer griechischen Ferieninsel eine neue Stelle antritt. Als er der 19-jährigen Touristin Anna begegnet, ist er sofort fasziniert von ihr. Er begleitet sie durch ihre Partynächte und versucht so, seiner Midlife-Krise zu entkommen. Die Tragikomödie Suntan wurde zur Vorauswahl des Europäischen Filmpreises 2016 eingeladen (14. November um 20.30 Uhr und 17. November um 18 Uhr).
In „ihren besten Jahren“ sind auch die sechs Männer, die gemeinsam eine Yacht besteigen, um sich dort einen Macht- und Wettkampf allererster Sahne zu liefern. Nach einem ausgeklügelten Punktesystem soll ermittelt werden, wer von ihnen „der Beste“ ist. Inszeniert wurde Chevalier von einer Frau, der Regisseurin Athina Rachel Tsangari. Ihr weiblicher Blick auf männliche Eitelkeiten und Unsicherheiten ist komisch und entlarvend zugleich. Der vielfach ausgezeichnete Film ist die griechische Einreichung für den Oscar 2017 in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“
(18. November um 20.30 Uhr und 20. November um 18 Uhr).
Ein tragischer Held ist der im Exil lebende Dichter
Alexander. Im Wissen, dass er nicht mehr lange leben wird, verbringt der Schwerkranke den Tag, bevor er ins Krankenhaus muss, mit einem albanischen Jungen, den er vor Menschenhändlern gerettet hat. Immer wieder versinkt er in seinen Gedanken und lässt sein Leben Revue passieren. Bruno Ganz brilliert in dem virtuos komponierten Drama Die Ewigkeit und ein Tag von 1998, das mit der Goldenen Palme
ausgezeichnet wurde
(15. November um 19 Uhr).
An einem Wendepunkt in seinem Leben ist auch der Fabrikarbeiter Aris angekommen. Als er ohne Vorwarnung entlassen wird und alle Bemühungen um eine neue Stelle scheitern, flüchtet sich der Enddreißiger in Rachefantasien und kauft sich eine Waffe. Zu allem bereit muss sich Aris plötzlich um seinen kleinen Sohn kümmern, den seine Ex-Frau überraschend bei ihm lässt. Das Drama Invisible von
2015 ist hochaktuell und zeigt, was die Wirtschaftskrise aus ganz normalen Menschen macht, die keine Perspektive mehr sehen (12. November um 16 Uhr).
Auch Familienvater Stelios wird ein Opfer der Finanzkrise – und seiner Leidenschaft, der Musik. Um seinen Jazz-Club zu renovieren, hat er sich auf einen kriminellen Kreditgeber eingelassen. Als es in Griechenland wirtschaftlich bergab geht, setzt der seinen Schuldner Stelios unter Druck und droht auch, seine Familie mit
hineinzuziehen. Mittwoch 04:45 ist ebenfalls 2015 entstanden und nutzt die Auswirkungen der Krise als Ausgangspunkt für einen intensiven Thriller (13. November um 20 Uhr und 18. November um 18 Uhr).
Mit viel Witz und skurrilen Figuren punktet Highway to Hellas, in dem es den deutschen Kreditmanager
Jörg Geissner auf eine kleine griechische Insel verschlägt. Im Auftrag seiner Bank soll er prüfen, ob die Bedingungen für einen alten Kredit eingehalten werden. Würde er Ungereimtheiten finden, könnte das die Einwohner ihre Existenz kosten. Und so tun Panos und seine Freunde alles, damit das nicht passiert. Christoph Maria Herbst und Adam Bousdoukos sind als penibler Deutscher und gewitzter Grieche ideal besetzt (12. November um 18 Uhr und 20. November um 20.30 Uhr).
Apostolos
Karakasis geht mit Next Stop: Utopia dokumentarisch an das Thema Wirtschaftskrise heran. Er skizziert den Kampf der Mitarbeiter eines insolventen griechischen Unternehmens gegen dessen arrogante und hochverschuldete Besitzerin. Durch mutige und risikobehaftete Eigeninitiativen wollen die engagierten Angestellten den Verfall des Werks verhindern (13. November um 18 Uhr).
Der dritte Dokumentarfilm des Festivals beschäftigt sich mit dem epischen Gedicht „Odyssee“ von Nikos Kazantzakis. Es umfasst 33.333 Verse und so heißt der Flm von Regisseur Menios Karagiannis auch 33.333 – Die Odyssee von Nikos Kazantzakis. Der Autor behandelt in seinem Gedicht die großen Themen der abendländischen Zivilisation und Regisseur Karagiannis beleuchtet dieses ungewöhnliche Werk aus literarischer, philosophischer und psychologischer Sicht. Als einer der Gäste der Filmwoche stellt Menios Karagiannis seinen Film, der in deutscher Erstaufführung gezeigt wird, auch persönlich vor (19. November um 20 Uhr).
Das Programm wird abgerundet durch die Höhepunkte des diesjährigen 39. Kurzfilmfestivals vom Drama (19. November ab 15 Uhr) und den Vortrag Die unbekannten Jahrhunderte – Griechenland vom Untergang von Byzanz (1453) bis zu den Anfängen des Nationalstaates (1821). Dr. Ioannis Zelepos, der an der LMU München lehrt, gibt einen Überblick über die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen griechischen Lebens in der Türkenzeit (13. November um 15 Uhr).