Testosteron, Wespennester und Provinzpossen |
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Wilde Komödie mit Wortwitz: Sex & Crime |
Sex & Crime – das ist ein immer wieder junger und unbedingt wirkungsvoller Weg, um einen guten Kinofilm zu machen. Und wenn ein Film sogar so heißt, und schon zu Beginn programmatisch eine Pop-Version der berühmten Carmen-Arie aus Bizets Oper erklingt, dann darf man einiges erwarten, dann hängt ein Filmemacher die Hoffnungen mutwillig hoch.
Sie werden vom Berliner Regisseur
Paul Florian Müller jederzeit erfüllt. Virtuos und mit großer Souveränität inszeniert ist Müllers von ihm auch geschriebener Debütfilm Sex & Crime ein aufregendes Werk, das formal wie in seiner Story die eingefahrenen Grenzen der deutschen Kino-Gemütlichkeit sprengt, das auf Bilderzählung und mitreißende Überraschungseffekte setzt. Klassik verschmilzt mit Pop in diesem an
Vorbildern wie Quentin Tarantino und Park Chan-wook geschulten blutigen Ehedrama – das auch endlich 'mal eine wilde Komödie war, ohne F äkalhumor, dafür mit Wortwitz und Running Gags.
Dass dieser Film von der Jury beim »Festival Max-Ophüls-Preis« komplett übersehen wurde, spricht nur gegen die Juroren – mehrheitlich Schauspieler –, die mit der Aufgabe überfordert waren, das Nicht-Brave auszuzeichnen, dem grassierenden Naturalismus und den sozialpädagogischen Tendenzen des deutschen Autorenfilmmainstreams eine klare Gegenposition gegenüberzustellen.
Saarbrücken liegt am Rand von Deutschland. Einmal im Jahr aber wird die Stadt an der deutsch-französischen Grenze zum Nabel der Filmwelt. Das »Festival Max-Ophüls-Preis« ist vor allem das wichtigste Film-Nachwuchstreffen des deutschsprachigen Gegenwartsfilms. Mit seiner Auswahl in vier Wettbewerben ist es nicht nur das allererste Filmfestival des Jahres, sondern ein erstes Barometer für neue Trends, ein Ort zur Standortbestimmung des einheimischen Kinos.
Bezeichnenderweise gehörte Sex & Crime auch zu jener Hand voll unabhängiger Filme in Saarbrücken, die unter Low-Budget-Bedingungen und nur mit Minimalbeteiligung der Fernsehsender und Förderer entstanden, aber dafür am meisten für Furore sorgten. Von allen öffentlich-rechtlichen Sendern abgelehnt, war es in diesem Fall ausgerechnet der Privatsender »Sky«, der mit seiner Beteiligung den Film überhaupt ermöglichte.
Abseits üblicher Wege entstanden auch Florian Schnells Offline, dem es überzeugend gelang die Welt der Computergamer auf die große Leinwand zu bringen und einem ungeschulten Publikum verständlich zu machen. Elegant und ebenfalls visuell bestechend war auch Der Nachtmahr von Akiz, ein romantischer Psychothriller aus der jugendlichen Partywelt.
Diese Filme bleiben besonders in Erinnerung als Höhepunkte eines an Eindrücken reichen Festivals. Die Preise gewonnen haben meist andere in Saarbrücken, gute, aber etwas erwartbarere Filme, wie etwa Stephan Richters Einer von uns, über jugendliche Gangster in der österreichischen Provinz, der sich im, für österreichische Filme typischen Misanthropie-Kosmos bewegt, und der
überraschend mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet wurde. Wichtige Preise gingen auch an die starken Werke Fado von Jonas Rothlaender und Johannes Schmids Agnes. Diese beiden ungewöhnlichen und keineswegs rosigen Liebesgeschichten standen auch für einen zweiten Trend – neben dem zu Komödien
– des diesjährigen Saarbrücken-Jahrgangs: Viele Filme haben weibliche Hauptfiguren, Frauen in der Krise und am Rande des Nervenzusammenbruchs. Die Heldin von Philipp Eichholtz' Luca tanzt leise ist zerrissen zwischen einem Leben im Drogenpartyrausch in den Tag hinein, und dem Wunsch ihr Abi zu machen. Der Film hat mit Martina Schöne-Radunski eine so wunderbare wie
charismatische Hauptdarstellerin belegt auch, dass das coole Mäandern des »Berliner Flow« allein noch keinen gelungenen Film macht. »Agnes« in Johannes Schmids drittem Film träumt ihre reale Liebesgeschichte mit einem Schriftsteller mit dessen Texten zusammen – einer der poetischsten Filme im Wettbewerb. Interessanterweise führten in allen diesen Filmen junge Männer Regie. Trotz »Pro Quote« und einer Festivaldirektorin fanden nur zwei Regisseurinnen von 16
Spielfilmen im Wettbewerb Gnade in den Augen des Auswahlgremiums.
Die meisten der jungen Charaktere in diesen Filmen brechen nicht etwa optimistisch auf, sondern durchleben Zweifel und Krisen, leiden, oder sind einfach zu müde für die böse schnelle Welt der Moderne. Man wird Zeuge von Burn-Outs, Landflucht und Hautproblemen – aber auch im schönsten Feriendomizil und verlassendsten Provinzkaff nimmt man ja zumindest einen Problemfaktor immer mit: Sich selbst.
Ein sterbender Wal an einem Nordseestrand, eine tote Taube, ein Wespennest, überhaupt viele Tiere und viele Sahntetortenstücke und auch allerlei skurrile menschliche Gestalten, etwa den Schriftsteller Ferdinand von Schirach in einer gelungenen Gastrolle als spleeniger Ladenbesitzer und »künstlerischer Forscher«. Jene Ferien, die Bernadette Knollers Regiedebüt den Titel geben, sind eigentlich eher die Auszeit einer jungen Staatsanwältin, die plötzlich keine Lust mehr auf ihr kleinbürgerliches Leben mit Karriere- und Familienplanung hat, und dieses wohl auch gar nicht auf die Reihe kriegt. Sie zieht bei ihrem Freund aus, fährt an die Nordsee, kuriert sich mit Weinkrämpfen bei frischer Luft, und lernt ein neues Leben kennen. Ein Film, der mich etwas ratlos zurückließ, weil ich mich immer wieder im Kino gegen ihn wehren wollte, genervt war, auch gelangweilt und dann doch drinblieb. Natürlich auf eine Belohnung hoffend, die es dann nicht gab. Aber schlimm war das trotzdem nicht: Ein Hauch von Kaurismäki durchzieht diese fröhlich spinnerte, episodisch erzählte Story, deren einzelne Szenen manchmal glänzend inszeniert sind, auch wenn sie sich nicht richtig zu einem Ganzen fügen. Dass Detlev Buck, der den Vater der Hauptfigur spielt, auch der Vater der Regisseurin ist, hat ihr sicherlich bei der Finanzierung und beim Gewinnen vieler bekannter Schauspieler geholfen, Ferien belegt aber eine sehr eigenständige Begabung und macht eine gewisse Hoffnung auf einen ganz neuen Typ deutscher Filmkomödie.
Mit Akiz' tollem romantischem Psychothriller Der Nachtmahr und dem von zehn Regisseuren verantworteten Schweizer Katastrophenfilm Heimatland präsentierte man auch Genrefilme mit tieferer Bedeutung. Ein testosterongeschwängertes, irgendwie pubertäres aber hochunterhaltsames Märchen war die Schrotthändlerballade Schrotten!.
Phantasievolle, originelle Formen und Geschichten überwogen auch bei den Dokumentarfilmen. Während der Blick der meisten Spielfilme klar nach Innen gerichtet war, ging der der Dokumentarfilme nach Außen, weg von einzelnen Figuren und deren persönlichen Befindlichkeiten, hin auf Strukturen: Hinter dem Schneesturm von Levin Peter ist eine einfühlsame Spurensuche in der verdrängten Vergangenheit des dementen Großvaters des Regisseurs, die eine zweite, historische und eine dritte, universale Dimension aufweist. Zweikämpfer vom DFFB-Absolventen Mehdi Benhadj-Djilali porträtiert den »FC Arbeitslos«, ein Camp, in dem sich arbeitslose Fußballprofis unter Real-Bedingungen fit halten, und darauf hoffen, dass ihnen Verletzungspech und Abstiegssorgen einen neuen Job bescheren. Ein origineller, kluger Film mit Tiefe und Humor, der nicht nur für Fußballfans interessant ist, sondern hinter die Kulissen von Leistungsdruck und modernes Showbusiness blickt.
Gleich zweimal nahmen deutsche Filme Flüchtlingsfragen jenseits eingeschliffener Klischees in den Blick: Gewonnen hat Monika Grassls Girl’s don’t Fly über junge Frauen in Ghana – die gegen traditionelle Vorstellungen den Traum haben, Pilotinnen zu werden. Gestrandet von Lisei Caspers ist eine wunderbare Fallstudie über fünf Eritreer in einem ostfriesischen Dorf – Rassismus gibt’s da nicht, dafür die Langsamkeit der Bürokratie und ihre Unfähigkeit, sich auf Menschen einzustellen, deren Papiere nicht den Ordnungsvorstellungen deutscher Beamter entsprechen.
Dazu passt auch die Saarbrücker Provinzposse um Gabriella Bandel, die das Festival im neunten Jahr höchst erfolgreich geleitet, und zum wichtigsten Schauplatz für den deutschsprachigen Nachwuchs gemacht hat. Nun setzt der erfolgreichen Festivaldirektorin die offenkundig schlecht beratene Rot-Grüne Stadtverwaltung auf eher stillose Form den Stuhl vor die Tür – warum ist unklar: Von der »Eitelkeit der Oberbürgermeisterin« Charlotte Britz reden die einen hinter vorgehaltener Hand, von Neuausrichtung die anderen. Man spricht von neuen Konzepten und Verjüngung – doch der Etat ist im letzten Jahrzehnt netto um 20 Prozent geschrumpft, und der neue Posten wird nicht ausgeschrieben, sondern in Hinterzimmern von einem fachfremden Kuratorium besetzt. Das wirkt wie Kulturpolitik auf Gutsherrenart: ohne Transparenz, ohne Verständnis für die Sache. So wird ein etabliertes Filmfestival mutwillig aufs Spiel gesetzt.
Während des Festivals regte sich lauter Protest unter deutschen Filmschaffenden, angeführt vom Autorenfilmer Hanns W. Geißendörfer. »Ich habe Wut gegen diese Kommunalpolitik«, so Geißendörfer, »die mit dem renommierten Festival Schindluder treibt, und dem Vorbild Max Ophüls nicht gerecht wird.« Die Filmemacher fordern, »um Schaden abzuhalten« eine Fachkommission und eine korrekte Ausschreibung. Derweil gehen erste Sponsoren auf Distanz »man streicht das Geld der Sponsoren ein, aber gibt uns keine Informationen.«, so der Hotelier Gerd Leidinger. Doch »Max-Ophüls« sei ja »ein Saarbrücker Festival« verlautet aus dem Rathaus.
Zur Abschlussveranstaltung kam die Quittung: Sechs Minuten lang gab es Standing Ovation auf der Bühne, neben Bandel saß die Oberbürgermeisterin mit versteinertem Gesicht. Als sie später sagte, die Finanzierung des Festivals sei gesichert, gab es laute Buhrufe. Denn die Stadt gibt für das Festival jährlich 330.000 Euro – eine kleine Summe, zum Beispiel im Vergleich für den diesjährigen Umbau des Fußballstadions des 1.FC Saarbrücken, die mindestens 20 Millionen kostet – und der 1.FCS spielt gerade mal in der vierten Liga vor selten über 5000 Zuschauern.
Der Oberbürgermeisterin Charlotte Britz kommt die Unruhe nach Ansicht vieler vor Ort ungelegen, möchte sie doch gern saarländische Ministerpräsidentin werden, und Justizminister Heiko Maaß im Vorsitz der Saar-SPD ablösen.
»Ich bin doch keine Menschenfresserin« meinte die offenbar von der Gegenwehr überraschte Oberbürgermeisterin nach dem Festival jetzt am Rande. Wirklich nicht? Das diesjährige Plakat des Max-Ophüls-Festivals schmückten 13 Haifische, immerhin formten sie zusammen ein Herz. Die Kulturpolitik erinnert eher an ein herzloses Haifischbecken.