28.01.2016

Testo­steron, Wespen­nester und Provinz­possen

Sex & Crime
Wilde Komödie mit Wortwitz: Sex & Crime

Notizen aus der Provinz: Beim Festival »Max-Ophüls-Preis« in Saarbrücken ging es in diesem Jahr oft um die Leiden von Frauen zwischen Burn-Out und Bürokratie

Von Rüdiger Suchsland

Sex & Crime – das ist ein immer wieder junger und unbedingt wirkungs­voller Weg, um einen guten Kinofilm zu machen. Und wenn ein Film sogar so heißt, und schon zu Beginn program­ma­tisch eine Pop-Version der berühmten Carmen-Arie aus Bizets Oper erklingt, dann darf man einiges erwarten, dann hängt ein Filme­ma­cher die Hoff­nungen mutwillig hoch.
Sie werden vom Berliner Regisseur Paul Florian Müller jederzeit erfüllt. Virtuos und mit großer Souver­änität insze­niert ist Müllers von ihm auch geschrie­bener Debütfilm Sex & Crime ein aufre­gendes Werk, das formal wie in seiner Story die einge­fah­renen Grenzen der deutschen Kino-Gemüt­lich­keit sprengt, das auf Bilder­zäh­lung und mitreißende Über­ra­schungs­ef­fekte setzt. Klassik verschmilzt mit Pop in diesem an Vorbil­dern wie Quentin Tarantino und Park Chan-wook geschulten blutigen Ehedrama – das auch endlich 'mal eine wilde Komödie war, ohne F äkalhumor, dafür mit Wortwitz und Running Gags.

Unab­hängig, Low-Budget, ohne öffent­lich-recht­liche Sender

Dass dieser Film von der Jury beim »Festival Max-Ophüls-Preis« komplett übersehen wurde, spricht nur gegen die Juroren – mehr­heit­lich Schau­spieler –, die mit der Aufgabe über­for­dert waren, das Nicht-Brave auszu­zeichnen, dem gras­sie­renden Natu­ra­lismus und den sozi­al­päd­ago­gi­schen Tendenzen des deutschen Auto­ren­film­main­streams eine klare Gegen­po­si­tion gegenüber­zu­stellen.

Saar­brü­cken liegt am Rand von Deutsch­land. Einmal im Jahr aber wird die Stadt an der deutsch-fran­zö­si­schen Grenze zum Nabel der Filmwelt. Das »Festival Max-Ophüls-Preis« ist vor allem das wich­tigste Film-Nach­wuchs­treffen des deutsch­spra­chigen Gegen­warts­films. Mit seiner Auswahl in vier Wett­be­werben ist es nicht nur das aller­erste Film­fes­tival des Jahres, sondern ein erstes Barometer für neue Trends, ein Ort zur Stand­ort­be­stim­mung des einhei­mi­schen Kinos.

Bezeich­nen­der­weise gehörte Sex & Crime auch zu jener Hand voll unab­hän­giger Filme in Saar­brü­cken, die unter Low-Budget-Bedin­gungen und nur mit Mini­mal­be­tei­li­gung der Fern­seh­sender und Förderer entstanden, aber dafür am meisten für Furore sorgten. Von allen öffent­lich-recht­li­chen Sendern abgelehnt, war es in diesem Fall ausge­rechnet der Privat­sender »Sky«, der mit seiner Betei­li­gung den Film überhaupt ermög­lichte.

Abseits üblicher Wege entstanden auch Florian Schnells Offline, dem es über­zeu­gend gelang die Welt der Compu­ter­gamer auf die große Leinwand zu bringen und einem unge­schulten Publikum vers­tänd­lich zu machen. Elegant und ebenfalls visuell bestechend war auch Der Nachtmahr von Akiz, ein roman­ti­scher Psycho­thriller aus der jugend­li­chen Partywelt.

Einfach zu müde für die böse schnelle Welt der Moderne

Diese Filme bleiben besonders in Erin­ne­rung als Höhe­punkte eines an Eindrü­cken reichen Festivals. Die Preise gewonnen haben meist andere in Saar­brü­cken, gute, aber etwas erwart­ba­rere Filme, wie etwa Stephan Richters Einer von uns, über jugend­liche Gangster in der öster­rei­chi­schen Provinz, der sich im, für öster­rei­chi­sche Filme typischen Misan­thropie-Kosmos bewegt, und der über­ra­schend mit dem Max-Ophüls-Preis ausge­zeichnet wurde. Wichtige Preise gingen auch an die starken Werke Fado von Jonas Roth­la­ender und Johannes Schmids Agnes. Diese beiden unge­wöhn­li­chen und keines­wegs rosigen Liebes­ge­schichten standen auch für einen zweiten Trend – neben dem zu Komödien – des dies­jäh­rigen Saar­brü­cken-Jahrgangs: Viele Filme haben weibliche Haupt­fi­guren, Frauen in der Krise und am Rande des Nerven­zu­sam­men­bruchs. Die Heldin von Philipp Eichholtz' Luca tanzt leise ist zerrissen zwischen einem Leben im Drogen­par­ty­rausch in den Tag hinein, und dem Wunsch ihr Abi zu machen. Der Film hat mit Martina Schöne-Radunski eine so wunder­bare wie charis­ma­ti­sche Haupt­dar­stel­lerin belegt auch, dass das coole Mäandern des »Berliner Flow« allein noch keinen gelun­genen Film macht. »Agnes« in Johannes Schmids drittem Film träumt ihre reale Liebes­ge­schichte mit einem Schrift­steller mit dessen Texten zusammen – einer der poetischsten Filme im Wett­be­werb. Inter­es­san­ter­weise führten in allen diesen Filmen junge Männer Regie. Trotz »Pro Quote« und einer Festi­val­di­rek­torin fanden nur zwei Regis­seu­rinnen von 16 Spiel­filmen im Wett­be­werb Gnade in den Augen des Auswahl­gre­miums.
Die meisten der jungen Charak­tere in diesen Filmen brechen nicht etwa opti­mis­tisch auf, sondern durch­leben Zweifel und Krisen, leiden, oder sind einfach zu müde für die böse schnelle Welt der Moderne. Man wird Zeuge von Burn-Outs, Land­flucht und Haut­pro­blemen – aber auch im schönsten Feri­en­do­mizil und verlas­sendsten Provinz­kaff nimmt man ja zumindest einen Problem­faktor immer mit: Sich selbst.

Wein­krämpfe bei frischer Luft

Ein ster­bender Wal an einem Nord­see­strand, eine tote Taube, ein Wespen­nest, überhaupt viele Tiere und viele Sahn­te­tor­ten­stücke und auch allerlei skurrile mensch­liche Gestalten, etwa den Schrift­steller Ferdinand von Schirach in einer gelun­genen Gastrolle als splee­niger Laden­be­sitzer und »künst­le­ri­scher Forscher«. Jene Ferien, die Berna­dette Knollers Regie­debüt den Titel geben, sind eigent­lich eher die Auszeit einer jungen Staats­an­wältin, die plötzlich keine Lust mehr auf ihr klein­bür­ger­li­ches Leben mit Karriere- und Fami­li­en­pla­nung hat, und dieses wohl auch gar nicht auf die Reihe kriegt. Sie zieht bei ihrem Freund aus, fährt an die Nordsee, kuriert sich mit Wein­krämpfen bei frischer Luft, und lernt ein neues Leben kennen. Ein Film, der mich etwas ratlos zurück­ließ, weil ich mich immer wieder im Kino gegen ihn wehren wollte, genervt war, auch gelang­weilt und dann doch drinblieb. Natürlich auf eine Belohnung hoffend, die es dann nicht gab. Aber schlimm war das trotzdem nicht: Ein Hauch von Kauris­mäki durch­zieht diese fröhlich spinnerte, episo­disch erzählte Story, deren einzelne Szenen manchmal glänzend insze­niert sind, auch wenn sie sich nicht richtig zu einem Ganzen fügen. Dass Detlev Buck, der den Vater der Haupt­figur spielt, auch der Vater der Regis­seurin ist, hat ihr sicher­lich bei der Finan­zie­rung und beim Gewinnen vieler bekannter Schau­spieler geholfen, Ferien belegt aber eine sehr eigen­s­tän­dige Begabung und macht eine gewisse Hoffnung auf einen ganz neuen Typ deutscher Film­komödie.

Mit Akiz' tollem roman­ti­schem Psycho­thriller Der Nachtmahr und dem von zehn Regis­seuren verant­wor­teten Schweizer Kata­stro­phen­film Heimat­land präsen­tierte man auch Genre­filme mit tieferer Bedeutung. Ein testo­ste­ron­ge­schwän­gertes, irgendwie puber­täres aber hoch­un­ter­halt­sames Märchen war die Schrott­händ­ler­bal­lade Schrotten!.

Unfähig­keit, sich auf Menschen einzu­stellen

Phan­ta­sie­volle, origi­nelle Formen und Geschichten überwogen auch bei den Doku­men­tar­filmen. Während der Blick der meisten Spiel­filme klar nach Innen gerichtet war, ging der der Doku­men­tar­filme nach Außen, weg von einzelnen Figuren und deren persön­li­chen Befind­lich­keiten, hin auf Struk­turen: Hinter dem Schnee­sturm  von Levin Peter ist eine einfühl­same Spuren­suche in der verdrängten Vergan­gen­heit des dementen Großva­ters des Regis­seurs, die eine zweite, histo­ri­sche und eine dritte, univer­sale Dimension aufweist. Zwei­kämpfer vom DFFB-Absol­venten Mehdi Benhadj-Djilali porträ­tiert den »FC Arbeitslos«, ein Camp, in dem sich arbeits­lose Fußball­profis unter Real-Bedin­gungen fit halten, und darauf hoffen, dass ihnen Verlet­zungs­pech und Abstiegs­sorgen einen neuen Job bescheren. Ein origi­neller, kluger Film mit Tiefe und Humor, der nicht nur für Fußball­fans inter­es­sant ist, sondern hinter die Kulissen von Leis­tungs­druck und modernes Show­busi­ness blickt.

Gleich zweimal nahmen deutsche Filme Flücht­lings­fragen jenseits einge­schlif­fener Klischees in den Blick: Gewonnen hat Monika Grassls Girl’s don’t Fly über junge Frauen in Ghana – die gegen tradi­tio­nelle Vorstel­lungen den Traum haben, Pilo­tinnen zu werden. Gestrandet von Lisei Caspers ist eine wunder­bare Fall­studie über fünf Eritreer in einem ostfrie­si­schen Dorf – Rassismus gibt’s da nicht, dafür die Lang­sam­keit der Büro­kratie und ihre Unfähig­keit, sich auf Menschen einzu­stellen, deren Papiere nicht den Ordnungs­vor­stel­lungen deutscher Beamter entspre­chen.

Buhrufe und Pfiffe für Saar­brü­ckener Ober­bür­ger­meis­terin Charlotte Britz

Dazu passt auch die Saar­brü­cker Provinz­posse um Gabriella Bandel, die das Festival im neunten Jahr höchst erfolg­reich geleitet, und zum wich­tigsten Schau­platz für den deutsch­spra­chigen Nachwuchs gemacht hat. Nun setzt der erfolg­rei­chen Festi­val­di­rek­torin die offen­kundig schlecht beratene Rot-Grüne Stadt­ver­wal­tung auf eher stillose Form den Stuhl vor die Tür – warum ist unklar: Von der »Eitelkeit der Ober­bür­ger­meis­terin« Charlotte Britz reden die einen hinter vorge­hal­tener Hand, von Neuaus­rich­tung die anderen. Man spricht von neuen Konzepten und Verjün­gung – doch der Etat ist im letzten Jahrzehnt netto um 20 Prozent geschrumpft, und der neue Posten wird nicht ausge­schrieben, sondern in Hinter­zim­mern von einem fach­fremden Kura­to­rium besetzt. Das wirkt wie Kultur­po­litik auf Guts­her­renart: ohne Trans­pa­renz, ohne Vers­tändnis für die Sache. So wird ein etabliertes Film­fes­tival mutwillig aufs Spiel gesetzt.

Während des Festivals regte sich lauter Protest unter deutschen Film­schaf­fenden, angeführt vom Auto­ren­filmer Hanns W. Geißen­dörfer. »Ich habe Wut gegen diese Kommu­nal­po­litik«, so Geißen­dörfer, »die mit dem renom­mierten Festival Schind­luder treibt, und dem Vorbild Max Ophüls nicht gerecht wird.« Die Filme­ma­cher fordern, »um Schaden abzu­halten« eine Fach­kom­mis­sion und eine korrekte Ausschrei­bung. Derweil gehen erste Sponsoren auf Distanz »man streicht das Geld der Sponsoren ein, aber gibt uns keine Infor­ma­tionen.«, so der Hotelier Gerd Leidinger. Doch »Max-Ophüls« sei ja »ein Saar­brü­cker Festival« verlautet aus dem Rathaus.

Zur Abschluss­ver­an­stal­tung kam die Quittung: Sechs Minuten lang gab es Standing Ovation auf der Bühne, neben Bandel saß die Ober­bür­ger­meis­terin mit verstei­nertem Gesicht. Als sie später sagte, die Finan­zie­rung des Festivals sei gesichert, gab es laute Buhrufe. Denn die Stadt gibt für das Festival jährlich 330.000 Euro – eine kleine Summe, zum Beispiel im Vergleich für den dies­jäh­rigen Umbau des Fußball­sta­dions des 1.FC Saar­brü­cken, die mindes­tens 20 Millionen kostet – und der 1.FCS spielt gerade mal in der vierten Liga vor selten über 5000 Zuschauern.

Der Ober­bür­ger­meis­terin Charlotte Britz kommt die Unruhe nach Ansicht vieler vor Ort ungelegen, möchte sie doch gern saar­län­di­sche Minis­ter­prä­si­dentin werden, und Justiz­mi­nister Heiko Maaß im Vorsitz der Saar-SPD ablösen.

»Ich bin doch keine Menschen­fres­serin« meinte die offenbar von der Gegenwehr über­raschte Ober­bür­ger­meis­terin nach dem Festival jetzt am Rande. Wirklich nicht? Das dies­jäh­rige Plakat des Max-Ophüls-Festivals schmückten 13 Haifische, immerhin formten sie zusammen ein Herz. Die Kultur­po­litik erinnert eher an ein herzloses Haifisch­be­cken.