Im Glashaus des Begehrens |
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Durch Glas hindurch gefilmt: L’ACCADEMIA DELLE MUSE |
Von Dunja Bialas
Es ist ein Gedankenexperiment, das sich beim diesjährigen, wie gewohnt herausragenden Festival von Rotterdam auf die Leinwand gießt. Der katalanische Regisseur José Luis Guerín hat sich schon immer für die Frauen und die Kraft der Verführung interessiert, jetzt lässt er sich in L’Accademia delle Muse von der Vorlesung des Literaturprofessors Raffaele Pinto an der Universität Barcelona zu Dante, Beatrice und das Musenkonzept verführen. Gemeinsam mit ihm und seinen Studentinnen initiiert Guerín ein Projekt, in dem es um die Wiederbelebung der Musentradition geht. Das fordert Widerspruch und Diskussionen heraus, denen Guerín in seinem Film Raum gibt: Das Konzept der Musen ist eine auf den ersten Blick überholte und anti-feministische Idee über das Entstehen von Kultur durch weibliche Inspiration. Im patriarchalen Vorlesungssaal der Universität will Pinto das Konzept nun feministisch deuten: Demnach wären die Frauen Subjekte und Urheberinnen des Universums und der Kultur, der Mann wäre nur das Medium oder Sprachrohr ihrer Ideen.
Die Inszenierung spiegelt aufs Meisterliche die Anordnung des Projekts wieder. Ausgehend von der dokumentarischen und realitätsverhafteten Situation im Hörsaal, in dem der Professor seine Vorlesung hält, gleitet L’Accademia delle Muse in die Fiktion hinüber und lässt auf geniale Art sein eigenes Thema zur Geschichte seiner Kreation werden. Die Studentinnen entstammen zwar dem realen Seminar, sind jedoch auch gleichzeitig gecastet, die Dialoge, entlang derer sich der Film entfaltet, sind in Gueríns Methode der Mise en situation zwar nicht inszeniert, so doch in einer hergestellten Situation improvisiert. Mit gedanklichen Einwürfen drängen die Studentinnen von den Rängen des Hörsaals im Gegenschnitt in die Vorlesung des Professors und übernehmen allmählich als kinematographische Figuren die Direktive der Erzählung. Dies erinnert an frühere Filme des Regisseurs, so an En la ciudad de Sylvia (In der Stadt von Sylvia, 2007), wo er sich ebenfalls durch Dante und seine Muse Beatrice leiten ließ und die Stadt als große Bühne der Verführung inszenierte.
In L’Accademia delle Muse setzt Guerín Innenräume als Gedankenräume in Szene. Minimalistisch im Stil, konzentriert er sich auf das gesprochene Wort – es wird beinahe ununterbrochen geredet – und überlässt den Protagonistinnen in nahen Portrait-Shots die Dimensionen der Leinwand. Gleichzeitig arbeitet er mit Spiegelungen, filmt oft durchs Fenster und zeigt die ausgeschlossene Welt auf den Scheiben der im Glaushaus ihres Wort-Begehrens Sitzenden. Viel wird auf theoretischer Basis verhandelt, ohne dass der Film jedoch thesenhaft würde. Es geht um Diskursentfaltung und leidenschaftliche Diskussionen, die Begehren, Sexualität, Liebe und Inspiration verhandeln. Die Figuren sind, bezeichnenderweise bis auf den real-dokumentarischen Professor, dem das Projekt im Laufe des Films über den Kopf zu wachsen scheint, sehr sinnlich, mit wie im Halbschlaf flatternden Augenlidern, schneewittchenhaftem Teint oder dem silbergrauen Haar der Ehefrau und ihren ironischen Mundwinkeln.
Die Figuren bespielen als unterschiedliche Musen-Personifikationen das Experiment, hauchen ihm Szenen und Leben ein. Da ist die Geliebte, die klassische, fast schon klischeehaft geratene Muse, die dem Professor, nur in ein Handtuch gewickelt und mit nassem Haar in einem Hotelzimmer Einfälle schenkt, während er am Schreibtisch sitzt und sich Notizen macht. Da ist dessen Frau, die ihn im häuslichen Raum daran erinnert, dass die Liebe nur eine Erfindung der Literatur ist und sich über ihren Mann mokiert, der die Bücher im Regal umstellt, um eine Neuordnung im Gefühlsleben auszudrücken. Die Studentinnen diskutieren im lichten Innenhof der Universität die Virtualität und Vergeblichkeit der Chatroom-Liebe, die fast reinste Form des Musenkusses, die allein aufgrund von Worten Begehren und wiederum Text erzeugt. Außerdem lassen sie Wortneuschöpfungen in ihre Lyrikversuche fließen, die sie im Sprechstundenzimmer dem Professor vortragen, um ihn zu beeindrucken und zu seiner neuen Muse zu werden. Das ist der Wettstreit des Experiments.
Gearbeitet hat Guerín auf der Grundlage von Interviews, die er mit dem Professor und den Studentinnen geführt hat, einer Ansammlung von Dialogvorgaben, jedoch noch ohne zu wissen, ob jemals ein Film daraus werde. Ein No-Budget-Projekt, mit dem sich Guerín die komplette Autonomie künstlerischer Freiheit behielt, eine notwendige Voraussetzung für das filmische Experiment, das sich selbst der Musen-Idee aussetzte: Vom Regisseur initiiert, wurde das Projekt zu dessen eigener Inspirationsquelle. Filmen, Schneiden und Schreiben wechselten einander ab, und so entstand nach und nach, als work in progress, der Film.
In jeder seiner Einstellungen akzentuiert Guerín das Vorläufige, Tastende des Experiments, nicht wissend, was am Ende herauskommen werde. Das ist durch und durch philosophisches Filmen: Hinter den Glasscheiben finden sich Räume des Denkens, hier wird den Gedanken bei der Arbeit zugesehen und beobachtet, wie sie allmählich auf das Leben, auf die Praxis einwirken. Der Filmraum gestaltet sich demgemäß als ein Laboratorium, das sich am Ende im Widerstreit seiner Kräfte erschöpft. Die Transparenz der Bilder und Gedanken weicht dem Regen, der auf das Autofenster prasselt und die Sicht auf den Innenraum nimmt, in dem sich Tragisches abspielt.
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Nach En construcción, mit dem José Luis Guerín schlagartig international bekannt wurde, En la ciudad de Sylvia und seinem Gegenstück Unas fotos en la ciudad de Sylvia, die alle auf dem IFF Rotterdam zu sehen waren, ist L’Accademia delle Muse ein weiteres Bravourstück des Katalanen. Die holländisch-katalanische Liaison ist sicherlich noch nicht vorbei!