03.11.2016

Der Menschen­for­scher

Ik ben Alice
Ettore Scola ist pralles italienisches Kino: Che ora è?

Der Circolo Cento Fiori, Mitglied der Filmstadt München e.V., ehrt Ettore Scola, einen der größten Humanisten des italienischen Kinos, mit acht ausgewählten Werken seines filmischen Schaffens, die von 3. bis 20. November im Filmmuseum München zu sehen sind.

Von Elke Eckert

Als junger Mann wollte Ettore Scola Jurist werden, entdeckte dann aber seine Leiden­schaft für das Kino. Er begann als Dreh­buch­autor und war bereits über dreißig, als er das erste Mal Regie führte. Schnell entwi­ckelte er eine eigene Hand­schrift und eine Vorliebe für sozi­al­kri­ti­sche Themen. Die Menschen zu beob­achten und das zu zeigen, was sie bewegte und berührte, war das, was ihn am Filme­ma­chen reizte. Dazu scharte er gerne seine Lieb­lings­schau­spieler um sich, zu denen auch Vittorio Gassman und Marcello Mastroi­anni gehörten. Sie gaben den Charak­teren ein Gesicht, die Scola bevorzugt auf die Leinwand brachte: Typen, die nach außen sehr selbst­si­cher auftreten, in ihrem Inneren aber oft nicht mit sich im Reinen sind. Scola wollte »Denk­an­s­töße geben und Dinge in Frage stellen«, zweifelte aber, je älter er wurde, immer mehr daran, ob das mit Filmen überhaupt zu erreichen ist. Ettore Scola starb am 19. Januar dieses Jahres im Alter von 84 Jahren.

Kurz vor seinem Tod stand er noch einmal für einen Doku­men­tar­film über sein Leben vor der Kamera. Insze­niert wurde Ridendo e scher­zando – Ritratto di un regista all'italiana (Ettore Scola – Porträt eines italie­ni­schen Regis­seurs) von seinen beiden Töchtern Paola und Silvia. Mit diesem sehr persön­li­chen Rückblick auf sein privates und beruf­li­ches Leben startet die Filmreihe am diesem Donnerstag um 19 Uhr. Roter Faden des Porträts ist ein längeres Interview, das Ettore Scola wenige Monate vor seinem Tod mit dem sizi­lia­ni­schen Moderator und Regisseur Pier­fran­cesco Diliberto geführt hat – bezeich­nen­der­weise in einem kleinen Kino. Nebenher sehen sich die beiden Film­aus­schnitte aus Scolas Filmen, private Super-8-Aufnahmen, Ausschnitte aus Fern­seh­in­ter­views und Fami­li­en­fotos an.

Der Streifzug durch Scolas Film­schaffen beginnt Mitte der siebziger Jahre und endet Ende der Achtziger.

C'eravamo tanto amati (Wir hatten uns so geliebt) von 1974 spielt in der Nach­kriegs­zeit. Die drei Freunde Antonio, Gianni und Nicola haben im Krieg als Parti­sanen gegen die Faschisten gekämpft. Jetzt unter­richtet Nicola an einem Gymnasium in der Provinz, Antonio arbeitet in Rom als Kran­ken­pfleger und Gianni will endlich sein Jura­stu­dium abschließen. Doch was wird aus den sozia­lis­ti­schen Idealen der drei, ihrem Wider­stand gegen Macht und Unge­rech­tig­keit? Als erster scheint sie Gianni verloren zu geben: Er spannt Antonio dessen große Liebe aus und nimmt eine Stelle bei einem Bauun­ter­nehmer an, um Karriere zu machen… Scola zeigt, wie sich Freund­schaften verändern und wie schwer es ist, an seinen Idealen fest­zu­halten. (Freitag, 4.11, 21:00 Uhr)

Una giornata parti­co­lare (Ein beson­derer Tag) ist der 8. Mai 1938 für die sechs­fache Mutter Anto­ni­etta. Während ihr Mann mit den Kindern an einer Parade teilnimmt, die zu Hitlers und Musso­linis Ehren abge­halten wird, bleibt sie zu Hause und lernt ihren Nachbarn Gabriele näher kennen. Die naive Hausfrau und der homo­se­xu­elle Regime­gegner spüren schnell, dass sie sich einander hinge­zogen fühlen. – Sophia Loren und Marcello Mastroi­anni über­zeugen als unglei­ches Liebes­paar und machen deutlich, wie groß der Einfluss eines tota­litären Systems auf das Leben der Menschen ist. Scolas Drama aus dem Jahr 1977 erhielt den Golden Globe und den César als Bester fremd­spra­chiger Film und war für die Goldene Palme und den Oscar nominiert.
(Samstag, 5.11., 21:00 Uhr)

La nuit de Varennes (Flucht nach Varennes) spielt nicht in Italien, sondern in Frank­reich, im Paris zur Zeit der Fran­zö­si­schen Revo­lu­tion. Vom 20. auf den 21. Juni 1791 fliehen König Ludwig XVI. und seine Frau Marie-Antoi­nette nach Varennes. Am gleichen Tag treffen sich in einer Kutsche Passa­giere, die aus verschie­denen Ländern und Gesell­schafts­schichten stammen. Auf ihrer gemein­samen Fahrt sprechen und streiten sie über die revo­lu­ti­onäre Gegenwart. – Mit Witz, Charme und Ironie schuf Scolas star­be­setztes, inter­na­tio­nales Schau­spie­ler­en­semble 1982 ein Kalei­do­skop unter­schied­li­cher Ansichten und Visionen. (Sonntag, 6.11., 21:00 Uhr)

Auch in Ballando, ballando (Le Bal – Der Tanz­pa­last) begegnen sich sehr unter­schied­liche Menschen. Hier ist es ein Pariser Tanzcafé, in dem Arbeiter und Klein­bürger in sechs verschie­denen Jahren in fünf Jahr­zehnten aufein­ander treffen. Gespielt werden sie immer von der gleichen Gruppe von Schau­spie­lern, gespro­chen wird kein einziges Wort. Scola gelingt es mit diesem Film von 1983 auf poetische Weise zu verdeut­li­chen, dass sich Moden und Musik ändern, eines aber immer gleich bleibt: die Sehn­süchte und Wünsche der Menschen. Er erhielt dafür den Silbernen Bären für die Beste Regie. (Freitag, 11.11., 21:00 Uhr)

Über 80 Jahre erstreckt sich der Zeitraum, in dem Ettore Scola La famiglia (Die Familie) eines Lite­ra­tur­pro­fes­sors begleitet. Die Geschichte beginnt 1906 mit der Taufe der Haupt­figur und endet mit deren 80. Geburtstag im Jahr 1986, und damit ein Jahr vor Entstehen des Films. Ort des Gesche­hens ist ausschließ­lich die noble Fami­li­en­woh­nung in Rom. Am Beispiel einer gutbür­ger­li­chen Groß­fa­milie reflek­tiert Scola über die sich ständig verän­dernde Gesell­schaft während zweier Welt­kriege, der wirt­schaft­lich schwie­rigen Zeit danach und anderer Heraus­for­de­rungen des Lebens. Das Gefühl, in einem Fotoalbum zu blättern, wird durch den sehr struk­tu­rierten Aufbau des mehrfach ausge­zeich­neten Films verstärkt. (Samstag, 12.11., 21:00 Uhr)

Ein Porträt der Gene­ra­tionen ist in gewisser Weise auch Che ora è? (Wie spät ist es?) aus dem Jahr 1989. Der erfolg­reiche römische Anwalt Marcello besucht seinen Sohn, der gerade den Militär­dienst absol­viert, um sich mit ihm auszu­spre­chen. Weil die beiden bisher wenig Zeit mitein­ander verbracht haben, gestaltet sich ihre Begegnung schwierig und konflikt­reich. Zu unter­schied­lich sind die Charak­tere, Tempe­ra­mente und Welt­an­schau­ungen von Vater und Sohn. (Sonntag, 13.11., 21:00 Uhr)

Nicht nur Haupt­dar­steller Marcello Mastroi­anni, sondern auch das Produk­ti­ons­jahr hat Splendor mit seinem Vorgän­ger­film gemein. Außerdem wird mit ihm ein Bogen zur Doku­men­ta­tion über Scola geschlagen, weil die Handlung auch hier in einem Kino spielt. Die ehemalige kultu­relle Attrak­tion einer Klein­stadt steht kurz vor der Schließung. Jordan, der Besitzer, kann sich das wirt­schaft­lich unren­tabel gewordene Licht­spiel­haus nicht mehr leisten und muss sich deshalb schweren Herzens von ihm trennen. Nach der letzten Vorstel­lung lässt er die guten alten Zeiten Revue passieren und hofft immer noch auf ein Happy End… Ettore Scola insze­nierte mit diesem letzten Film der Reihe einen »wehmü­tigen Abgesang an das Kino als soziale Einrich­tung, als Stätte der Begegnung, als Hort der Träume und als Exil, das Schutz vor dem grauen Alltag bietet«. (Sonntag, 20.11., 21:00 Uhr)

Eine Veran­stal­tung der Filmstadt München in Koope­ra­tion mit dem Film­mu­seum München.