Der Menschenforscher |
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Ettore Scola ist pralles italienisches Kino: Che ora è? |
Von Elke Eckert
Als junger Mann wollte Ettore Scola Jurist werden, entdeckte dann aber seine Leidenschaft für das Kino. Er begann als Drehbuchautor und war bereits über dreißig, als er das erste Mal Regie führte. Schnell entwickelte er eine eigene Handschrift und eine Vorliebe für sozialkritische Themen. Die Menschen zu beobachten und das zu zeigen, was sie bewegte und berührte, war das, was ihn am Filmemachen reizte. Dazu scharte er gerne seine Lieblingsschauspieler um sich, zu denen auch Vittorio Gassman und Marcello Mastroianni gehörten. Sie gaben den Charakteren ein Gesicht, die Scola bevorzugt auf die Leinwand brachte: Typen, die nach außen sehr selbstsicher auftreten, in ihrem Inneren aber oft nicht mit sich im Reinen sind. Scola wollte »Denkanstöße geben und Dinge in Frage stellen«, zweifelte aber, je älter er wurde, immer mehr daran, ob das mit Filmen überhaupt zu erreichen ist. Ettore Scola starb am 19. Januar dieses Jahres im Alter von 84 Jahren.
Kurz vor seinem Tod stand er noch einmal für einen Dokumentarfilm über sein Leben vor der Kamera. Inszeniert wurde Ridendo e scherzando – Ritratto di un regista all'italiana (Ettore Scola – Porträt eines italienischen Regisseurs) von seinen beiden Töchtern Paola und Silvia. Mit diesem sehr persönlichen Rückblick auf sein privates und berufliches Leben startet die Filmreihe am diesem Donnerstag um 19 Uhr. Roter Faden des Porträts ist ein längeres Interview, das Ettore Scola wenige Monate vor seinem Tod mit dem sizilianischen Moderator und Regisseur Pierfrancesco Diliberto geführt hat – bezeichnenderweise in einem kleinen Kino. Nebenher sehen sich die beiden Filmausschnitte aus Scolas Filmen, private Super-8-Aufnahmen, Ausschnitte aus Fernsehinterviews und Familienfotos an.
Der Streifzug durch Scolas Filmschaffen beginnt Mitte der siebziger Jahre und endet Ende der Achtziger.
C'eravamo tanto amati (Wir hatten uns so geliebt) von 1974 spielt in der Nachkriegszeit. Die drei Freunde Antonio, Gianni und Nicola haben im Krieg als Partisanen gegen die Faschisten gekämpft. Jetzt unterrichtet Nicola an einem Gymnasium in der Provinz, Antonio arbeitet in Rom als Krankenpfleger und Gianni will endlich sein Jurastudium abschließen. Doch was wird aus den sozialistischen Idealen der drei, ihrem Widerstand gegen Macht und Ungerechtigkeit? Als erster scheint sie Gianni verloren zu geben: Er spannt Antonio dessen große Liebe aus und nimmt eine Stelle bei einem Bauunternehmer an, um Karriere zu machen… Scola zeigt, wie sich Freundschaften verändern und wie schwer es ist, an seinen Idealen festzuhalten. (Freitag, 4.11, 21:00 Uhr)
Una giornata particolare (Ein besonderer Tag) ist der 8. Mai 1938 für die sechsfache Mutter Antonietta. Während ihr Mann mit den Kindern an einer Parade teilnimmt, die zu Hitlers und Mussolinis Ehren abgehalten wird, bleibt sie zu Hause und lernt ihren Nachbarn Gabriele näher kennen. Die naive Hausfrau und
der homosexuelle Regimegegner spüren schnell, dass sie sich einander hingezogen fühlen. – Sophia Loren und Marcello Mastroianni überzeugen als ungleiches Liebespaar und machen deutlich, wie groß der Einfluss eines totalitären Systems auf das Leben der Menschen ist. Scolas Drama aus dem Jahr 1977 erhielt den Golden Globe und den César als Bester fremdsprachiger Film und war für die Goldene Palme und den Oscar nominiert.
(Samstag, 5.11., 21:00 Uhr)
La nuit de Varennes (Flucht nach Varennes) spielt nicht in Italien, sondern in Frankreich, im Paris zur Zeit der Französischen Revolution. Vom 20. auf den 21. Juni 1791 fliehen König Ludwig XVI. und seine Frau Marie-Antoinette nach Varennes. Am gleichen Tag treffen sich in einer Kutsche Passagiere, die aus verschiedenen Ländern und Gesellschaftsschichten stammen. Auf ihrer gemeinsamen Fahrt sprechen und streiten sie über die revolutionäre Gegenwart. – Mit Witz, Charme und Ironie schuf Scolas starbesetztes, internationales Schauspielerensemble 1982 ein Kaleidoskop unterschiedlicher Ansichten und Visionen. (Sonntag, 6.11., 21:00 Uhr)
Auch in Ballando, ballando (Le Bal – Der Tanzpalast) begegnen sich sehr unterschiedliche Menschen. Hier ist es ein Pariser Tanzcafé, in dem Arbeiter und Kleinbürger in sechs verschiedenen Jahren in fünf Jahrzehnten aufeinander treffen. Gespielt werden sie immer von der gleichen Gruppe von Schauspielern, gesprochen wird kein einziges Wort. Scola gelingt es mit diesem Film von 1983 auf poetische Weise zu verdeutlichen, dass sich Moden und Musik ändern, eines aber immer gleich bleibt: die Sehnsüchte und Wünsche der Menschen. Er erhielt dafür den Silbernen Bären für die Beste Regie. (Freitag, 11.11., 21:00 Uhr)
Über 80 Jahre erstreckt sich der Zeitraum, in dem Ettore Scola La famiglia (Die Familie) eines Literaturprofessors begleitet. Die Geschichte beginnt 1906 mit der Taufe der Hauptfigur und endet mit deren 80. Geburtstag im Jahr 1986, und damit ein Jahr vor Entstehen des Films. Ort des Geschehens ist ausschließlich die noble Familienwohnung in Rom. Am Beispiel einer gutbürgerlichen Großfamilie reflektiert Scola über die sich ständig verändernde Gesellschaft während zweier Weltkriege, der wirtschaftlich schwierigen Zeit danach und anderer Herausforderungen des Lebens. Das Gefühl, in einem Fotoalbum zu blättern, wird durch den sehr strukturierten Aufbau des mehrfach ausgezeichneten Films verstärkt. (Samstag, 12.11., 21:00 Uhr)
Ein Porträt der Generationen ist in gewisser Weise auch Che ora è? (Wie spät ist es?) aus dem Jahr 1989. Der erfolgreiche römische Anwalt Marcello besucht seinen Sohn, der gerade den Militärdienst absolviert, um sich mit ihm auszusprechen. Weil die beiden bisher wenig Zeit miteinander verbracht haben, gestaltet sich ihre Begegnung schwierig und konfliktreich. Zu unterschiedlich sind die Charaktere, Temperamente und Weltanschauungen von Vater und Sohn. (Sonntag, 13.11., 21:00 Uhr)
Nicht nur Hauptdarsteller Marcello Mastroianni, sondern auch das Produktionsjahr hat Splendor mit seinem Vorgängerfilm gemein. Außerdem wird mit ihm ein Bogen zur Dokumentation über Scola geschlagen, weil die Handlung auch hier in einem Kino spielt. Die ehemalige kulturelle Attraktion einer Kleinstadt steht kurz vor der Schließung. Jordan, der Besitzer, kann sich das wirtschaftlich unrentabel gewordene Lichtspielhaus nicht mehr leisten und muss sich deshalb schweren Herzens von ihm trennen. Nach der letzten Vorstellung lässt er die guten alten Zeiten Revue passieren und hofft immer noch auf ein Happy End… Ettore Scola inszenierte mit diesem letzten Film der Reihe einen »wehmütigen Abgesang an das Kino als soziale Einrichtung, als Stätte der Begegnung, als Hort der Träume und als Exil, das Schutz vor dem grauen Alltag bietet«. (Sonntag, 20.11., 21:00 Uhr)
Eine Veranstaltung der Filmstadt München in Kooperation mit dem Filmmuseum München.