10.06.2021
71. Berlinale 2021

Sommer-Berlinale 2021: Kurzkritiken-ABC

Herr Bachmann und seine Klasse
Silberner Bär für Herr Bachmann und seine Klasse von Maria Speth
(Foto: 71. Berlinale Presseservice)

Die Berlinale wiederholt sich: Alle Filme der Online-Edition sind jetzt im Open-Air-Sommer-Special der Berlinale zu sehen. Wir verschaffen den Überblick über die Filme, für alle, die sie sehen können. Und bieten alphabetisch sortierte Kurzkritiken aus allen Sektionen in Tweet-Länge

Von artechock-Redaktion

Albatros (F 2021, R; Xavier Beauvois): Poli­zisten-Depres­sion in der Normandie: 15 Jahre nach Le petit lieu­tenant liefert Xavier Beauvois ein diesem in narra­tiver Struktur und Tonalität frap­pie­rend ähnelndes Komple­men­tär­werk ab. Auch atlan­ti­sche Irrfahrt nebst Sire­nen­ge­sang können nicht drüber hinweg­täu­schen, dass man das schon mal besser gesehen hat. (Sedat Aslan)

Any day now (Ensilum, FIN 2020, R: Hamy Ramezan): Ramin, ein 13-jähriger irani­scher Junge, lebt mit seinen liebe­vollen Eltern und der kleinen Schwester in einer Flücht­lings­un­ter­kunft und macht in diesem Sommer ganz neue Erfah­rungen, die durch die Abschie­bung der Familie jäh unter­bro­chen werden. Ein unauf­dring­li­ches wie starkes Plädoyer für Mensch­lich­keit. (Christel Strobel) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

Bad Luck Banging or Loony Porn (RO 2021, R: Radu Jude): Film­ge­wor­dener Eklek­ti­zismus –mit einem Porno-Video als Vorspiel, bilden ein Stadt­rund­gang in Bukarest, ein bebil­dertes Wörter­buch und ein lächer­li­ches Tribunal Radu Judes Tripty­chon, das mit zuneh­mender Dauer von verstö­rend über erhellend zu erhebend wird, und seinen Punkt doppelt und dreifach nach Hause fährt. Wer bitte traut sich an »unseren« State-of-the-Nation-Film? (Sedat Aslan) // Das Warten lohnt sich. Ein betont dispa­rater Film mit etwas verfah­renen, aufge­setzten ersten Teil (allein die endlosen Kame­ra­fahrten durch Buka­rester Tristesse, bei denen man ständig sagen will: jetzt ist es aber gut, ich weiß schon, was du mir sagen willst), einem zu theo­re­tisch-theti­schem Mittel­teil, aber einem versöh­nenden, großar­tigen Finale, in dem so ziemlich alles gesagt wird, was man im Moment zum Dilemma der sozialen Medien und popu­lis­ti­scher Politik sagen kann. Großes Theater und Goldener Bär. Über den man sich wie jedes Jahr natürlich streiten kann. (Axel Timo Purr) (-> Lang­kritik)

Ballad of a White Cow (IRN/F 2020, R: Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam): Iranian New Wave auf der Berlinale, alle Jahre wieder, und alle Jahre ein ernst­hafter Bären­kan­didat. Langsam, konzen­triert, mit einer sich uner­bitt­lich zuspit­zenden Spannung setzen sich eine zur Witwe gemachte Frau und ein zwei­felnder Todes­richter still zur Wehr. Eine bitter­böse Parabel über Schuld und die Unmö­g­lich­keit, in einem menschen­ver­ach­tenden System seinen Seelen­frieden zu bewahren. (Sedat Aslan)

Beans (CAN 2020, R: Tracey Deer): Für das zwölf­jäh­rige Mädchen Teka­hen­tahkhwa, genannt „Beans“, deren Familie den Mohawk-First Nation People angehört, bricht die behütete Welt zusammen, als die Einwohner der Nach­bar­ge­meinde Oka deren Land bean­spru­chen. Tracey Deers Film basiert auf ihren eigenen Erfah­rungen während der gewalt­tä­tigen „Oka-Krise“ 1990 in Québec und ist dementspre­chend authen­tisch, engagiert und wichtig. (Christel Strobel) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

Brother’s Keeper (TR/RO 2021, R: Ferit Karahan): Alltags-Miss­hand­lungen in einem ostana­to­li­schen Internat. Ferit Karahan beob­achtet und insze­niert seine Kinder­dar­steller in diesem schnee­ver­wehten, klaus­tro­pho­bi­schen Drama wie einst Vigo und Truffaut. Nur der umpf­zigste Doinel-Kame­ra­blick hätte nicht sein müssen. (Sedat Aslan)

Censor (UK 2021, R: Prano Bailey-Bond): Film­zen­sorin wird Prot­ago­nistin in ihrem eigenen Horror­film: Prano Bailey-Bonds in Sundance viel­be­ach­teter Debütfilm ist eine Hommage an die „Video Naughties“der 80er Jahre, der stel­len­weise an Polanski und Cronen­berg erinnert. Haupt­dar­stel­lerin Niamh Algar trägt den Film, und DOP Annika Summerson kadriert messer­scharf. Schade nur um den Meltdown im 3. Akt. (Sedat Aslan)

Cryptozoo (USA 2021, R: Dash Shaw): Ein Anima­ti­ons­film, der nicht nur durch seine umwer­fenden Zeich­nungen und Montagen über­rascht, sondern auch durch seine Handlung –ein psyche­de­li­scher Trip in und für das Anders­sein, in dem Albträume abgesaugt werden, Tarot, Mother Earth und ein sehr gegen­wär­tiger mili­tanter Kapi­ta­lismus aufein­an­der­treffen und bei aller Ambi­guität niemand wirklich den Sieg davon­trägt. Ein Drogen­rausch, der auch Kopf­zer­bre­chen bereitet. Lobende Erwähnung im Wett­be­werb Genera­tion 14plus. (Axel Timo Purr) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

Fabian oder Der Gang vor die Hunde (D 2021, R. Dominik Graf): Graf macht aus Kästners »beson­nenem«, stilis­tisch »konser­va­tiven« Roman eine Dos Passos meets Döblin-Verfil­mung. Das nervt bisweilen so sehr, dass man sich wünscht, Stanley Kubrick möge wieder­auf­er­stehen und sich des Stoffes annehmen, so wie er sich kongenial Barry Lyndon oder Clockwork Orange ange­nommen hat. Ein Film, der sich gegen das Erzählen wehrt wie Muhammad Ali am Ende seiner Karriere gegen das Boxen. (Axel Timo Purr) (-> Lang­kritik)

Fighter (KOR 2020, R: Jéro Yun): Das Rocky-Genre ganz neu variiert. Die junge von Nord- nach Südkorea geflohene Jina boxt nicht nur gegen die Traumata von Flucht und prekären Fami­li­en­ver­hält­nissen, sondern auch gegen Diskri­mi­nie­rung und für die Liebe. Ein Film, der durch Stille mehr erklärt als jede laute Politik und allein schon wegen der dunklen Stimme der Haupt­dar­stel­lerin unbedingt sehens­wert ist. (Axel Timo Purr) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

From the Wild Sea (DK 2021, R: Robin Petré): Ein bisschen Green­peace-Film, dann aber auch ruhig besonnene, manchmal fast lyrische Bestands­auf­nahme, die so doku­men­ta­risch wie eindring­lich zeigt, was der Klima­wandel von unseren Meeren und ihren Bewohnern fordert, und dass es leider nicht immer hilft, zu helfen. Im Hinter­grund pulsiert die beun­ru­hi­gende Frage: wer soll nur den Menschen helfen, wenn sie in naher Zukunft selbst stranden? (Axel Timo Purr) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

Guzen to sozo –Wheel of Fortune and Fantasy (JP 2021, R: Ryusuke Hamaguchi): Drei Kurz­ge­schichten über die Liebe, die sich von einem schwachen, skan­dal­hung­rigen Fern­seh­ni­veau bis zu einem über­ra­schenden, berüh­renden Finale hoch­ar­beiten. So lässt der Film ein leichtes und zartes Gefühl zurück, das die holprigen ersten zwei Episoden gar nicht verdient haben. Silberner Bär Großer Preis der Jury. (Anna Edelmann)

Han Nan Xia Ri (Sommer­flirren, CN 2020, R: Han Shuai): Im Mittel­punkt des film­sprach­lich anspruchs­vollen Kinder­films steht die schwie­rige Phase vom Kind zum Teenager, die das Mädchen Guo in den Sommer­fe­rien fern der Mutter erlebt. – Kplus-Preis­träger der Inter­na­tio­nalen Jury / Genera­tion. (Christel Strobel) // Ein düsterer, visuell starker Blick auf den Preis, den die chine­si­sche Gesell­schaft für den prote­gierten Turbo­ka­pi­ta­lismus zahlt: so emotional verwahr­lost die Eltern sind, so sind es die Kinder. Kinder und Jugend­liche, die so einsam sind, dass sie ihre Einsam­keit nicht einmal wahr­zu­nehmen scheinen und Freund­schaften nur neue Traumata erzeugen. Die 13-jährige Guo ist dabei fast so etwas wie die Schwester der Königin von Niendorf und dann sind da noch die geweckten Erin­ne­rungen an Wang Xiaoshuaia Meis­ter­werk Bis dann, mein Sohn. (Axel Timo Purr) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

Herr Bachmann und seine Klasse (D 2021, R: Maria Speth): Maria Speths epischer Doku­men­tar­film zeigt, dass Bildungs­ar­beit wie Entwick­lungs­hilfe im eigenen Land sein kann. Außer einer kurzen Klas­sen­fahrts-Episode findet alles im Klas­sen­zimmer statt und streift Themen von Migra­ti­ons­aspekten, Religion, Sexua­lität und natürlich Sozi­al­ver­halten, und führt die Kinder dabei an keiner Stelle vor. Vor allem sind einem nach 215 schnell vergan­genen Minuten die Schüler der 6B der Georg-Büchner-Gesamt­schule Stadt­al­len­dorf und ihr Lehrer, der an Robin Williams in Der Club der toten Dichter denken lässt, ans Herz gewachsen wie die Prot­ago­nisten einer guten Serie, und so wie Herr Bachmann verdrückt man selbst beim Abschied eine Träne. Schön, dass die Jury das auch so gesehen hat (Silberner Bär Preis der Jury). (Sedat Aslan)

Ich bin dein Mensch (D 2021, R: Maria Schrader): Maria Schraders Near-Future-Lustspiel nähert sich übers Zwerch­fell den ganz großen Fragen unserer Existenz. Eine gefällige, aber nicht beliebige Komödie, die im Schau­fenster der inter­na­tio­nalen Filmkunst je nach Stand­punkt für einen will­kom­menen Farb­tupfer sorgt oder fehl am Platz ist. (Sedat Aslan) // Nach einer schlimmen ersten viertel Stunde, mit so steifen wie banalen Dialogen, fängt sich Schraders Film (oder gewöhnt sich der Betrachter einfach nur daran?) und wird zu der soliden TV-Produk­tion als die er auch gedacht war und die nie an die Inten­sität von Klas­si­kern des KI- bzw. Android-Genres (siehe Blade Runner/Do Androids dream of electric sheep) heran­reicht. Wie auch schon in Schraders Serie Unor­thodox ist Schraders »Berlin« ein Hipster-Berlin, eins ohne Ecken und Kanten. Silberner Bär für die Beste Schau­spie­le­ri­sche Leistung in einer Haupt­rolle für Maren Eggert. (Axel Timo Purr) (-> Lang­kritik)

Ich und die Anderen (D 2021, R: David Schalko): Feuer frei für einen vier­stün­digen Achter­bahn­ritt ohne Gurt und Exit-Strategie in dieser Groteske über einen gläsernen Mann ohne Eigen­schaften mit den schrägsten Figuren, wahn­wit­zigsten Dialogen und absur­desten Ideen, die es im gesamten TV-Jahr 2021 geben wird. Von Schau­spie­lern, Ausstat­tung, Bild­ge­stal­tung, Montage wollen wir gar nicht erst anfangen. OMFG! (Sedat Aslan)

Intro­duc­tion (KOR 2020, R: Hong-Sangsoo): Hong-Sangsoo macht mal wieder Hong-Sangsoo-Sachen in diesem eins­tün­digen slice-of-life in Schwarz-Weiß, conver­sa­tion with family & friends, auch wieder mit Digital-Zooms, diesmal aber ohne Katze. Über­fällig, dass jemand Berlin wie eine stink­nor­male ostasia­ti­sche Großstadt filmt, und das direkt neben dem Berlinale-Palast! Silberner Bär für das Beste Drehbuch. (Sedat Aslan)

Je suis Karl (D/CZ 2021, R: Christian Schwochow): Blöde Frage, aber: Was will dieser Film? Den immer radikaler werdenden Zeitgeist einfangen? Zeigen, dass junge Menschen auch im Westen durch trau­ma­ti­sche Erfah­rungen zu Tätern werden können, so wie es in Nahost minütlich geschieht? Oder dass man sich der hohlen Propa­ganda, wir könnten uns nur durch innere Aufrüs­tung behaupten, wider­setzen muss? Ein knall­bunter Einfalts­pinsel von einem Film, in dem die Beschäf­ti­gung mit dem Thema sowie die Figuren und deren Bezie­hungen durch­gängig Schablone bleiben, und die Ästhetik nie einen eigenen Zugang zum Grauen jenseits von Bana­li­täten findet. (Sedat Aslan) // Je suis Karl bringt die Gefahr gegen­wär­tiger radikaler Popu­lis­mus­po­litik auf den Punkt und zeigt wie gefähr­lich, unan­greifbar und sexy die junge Rechte sein kann. Schwochow zeigt dabei nicht nur über­zeu­gend, wie leicht es ist, sich in diesem mora­li­schen Dickicht zu verlaufen, sondern auch wie schwer es ist, die Sprache des „richtigen“Wider­standes zu dechif­frieren. Ein Film zur „rechten“Zeit. (Axel Timo Purr) // Ein Film, der wach­rüt­telt! Weil der Blutdruck selbst nachts um zwei in die Höhe schnellt darüber, wieviel Murks man in 126 Minuten packen kann. Immer wenn man glaubt, man hätte den untersten Höllen­kreis erreicht, bittet der Film: »Folgen Sie mir durch diese Tür...« Entweder ist das Coin­telpro von den Neonazis, die einen in ihre Arme treiben wollen, einfach aus Trotz, dass man nicht zur Seite gehört, die vermeint­lich solche Filme macht. Oder es ist bewusst dazu da, dass man lachend und kopf­schüt­telnd drauf zeigen kann, wann immer Neurechte behaupten, man müsse stolz sein auf die deutsche Kultur. (Anna Edelmann) (-> Lang­kritik)

Jong chak yeok (Bis ans Ende der Welt, KOR 2021, R und B: KWON Min-pyo, SEO Hansol): Vier Schü­le­rinnen erhalten im Foto­gra­fie­kurs die Aufgabe, in den Sommer­fe­rien mit altmo­di­schen analogen Kameras „das Ende der Welt“ zu erkunden. Die origi­nelle Idee geht aller­dings im perma­nenten Geplauder der Teenager unter. (Christel Strobel) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

Kelti (SRB 2021, R: Milica Tomovic): Belgrad, 1993: Eine ausufernde Feier, getrennt in zwei sich spie­gelnde Welten. Im Wohn­zimmer tragen die Kinder im Zucker­rausch ihre Pausen­hof­rei­be­reien aus; in der zuge­qualmten Küche streiten die Eltern im Alko­hol­rausch über Politik. Der Debütfilm der serbi­schen Regis­seurin Milica Tomovic sieht aus, als hätte Mike Leigh seine Farb­pa­lette erweitert und amüsiert mit groben und feinen Pinsel­stri­chen einen Kinder­ge­burtstag gemalt. (Anna Edelmann)

Letzte Tage am Meer (Last Days at Sea, PHL/TWN 2021, R: Venice Atienza): Für ihren Debütfilm begleitet Venice Atienza den zwölf­jäh­rigen Reyboy in seinen letzten Ferien in dem male­ri­schen Fischer­dorf, wo er zu Hause ist, vor dem Schul­wechsel in die Stadt. Para­die­si­sche Momente am und im glas­klaren Meer –durch­zogen von leiser Melan­cholie. (Christel Strobel) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

Das Mädchen und die Spinne (CH 2021, R: Ramon & Silvan Zürcher): Nach Das merk­wür­dige Kätzchen bohrt Ramon Zürcher, diesmal mit seinem Zwil­lings­bruder Silvan, erneut in ein unheim­li­ches Vier-Wände-Wespen­nest mensch­li­cher Bezie­hungen, macht Schau­spieler zu Akteuren, und das, anders als Max Linz und Julian Radlmaier, größ­ten­teils ironie­be­freit. Für Forma­lismus-Fans vortreff­lich. (Sedat Aslan)

Memory Box (F/LBN/CAN/QAT 2021, R: Joana Hadjithomas & Khalil Joreige): Was der Tochter im heutigen Kanada ihr social media, war der Mutter im Beirut der ‘80er einst ihr multi­me­diales Tagebuch. Text, Fotos – und Musik-Kassetten mit exakt den New Wave-Songs, die auch die Jugend im Westen prägten. Manches davon stellt der Film zu offen­sicht­lich nur nach. Aber es bleibt die Kino-Hoffnung, dass Bilder die Wahrheit hinter erzählter Erin­ne­rung bewahren, über Genera­tionen enthüllen. (Anna Edelmann)

La Mif (F 2021, R: Fred Baillif): Pflicht oder Wahrheit oder auf der Suche nach einem mora­li­schen Kompass: Ein fran­zö­si­sches Mädchen­heim als ernüch­ternder Spiegel unserer zerris­senen Gesell­schaft, der nicht davor zurück­schreckt, über semi-doku­men­ta­ri­sche Spiel­ele­mente Ernst zu machen. Großer Preis der Inter­na­tio­nalen Jury für den Besten Film im Wett­be­werb 14plus. (Axel Timo Purr) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

Mission Ulja Funk (D/LUX/PL 2021, R: Barbara Kronen­berg): Ein total schräges Roadmovie –mit Ecken und Kanten –nach einem Origi­nal­stoff (Initia­tive »Der besondere Kinder­film«) über eine 12-jährige Aste­ro­iden-Forscherin, die nicht nur ihre russ­land­deut­sche Familie aufwir­belt. (Christel Strobel) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

Nebenan (D 2021, R: Daniel Brühl): Daniel insze­niert Daniel spielt Daniel: ein Knei­pen­kam­mer­ve­xier­spiel. Inter­es­sante Idee, mäßige Ausfüh­rung, man bleibt merk­würdig ungerührt zurück. Insbe­son­ders die unter­schied­li­chen Schau­spiel­stile und das fahle Finale sorgen für Stirn­run­zeln. Übrigens, der Autor heißt auch Daniel. Das ist aber der von der Vermes­sung. (Sedat Aslan)

Nelly Rapp –Monster Agent (Nelly Rapp –Mons­ter­agentin, SWE 2021, R: Amanda Adolfsson): Vorder­gründig ist dies ein unter­halt­samer Mons­ter­film mit einem Arsenal an undurch­sich­tigen Figuren, hinter­gründig geht es auch um Freund­schaft. Aber vor allem bleibt Matilda Gross als beherzte Nelly im Gedächtnis. (Christel Strobel) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

Ninjababy (NOR 2021, R: Yngvild Sve Flikke): Eine Perle in der Genera­tion 14plus-Sektion, die man sich unbedingt im Double-Feature mit Eliza Hittmans Niemals Selten Manchmal Immer ansehen sollte. Denn in »Ninjababy« ist alles anders, auch wenn hier ebenfalls eine junge Frau über­ra­schend schwanger ist und es nicht sein will. Doch die Frauen in Flikkes Film sind selbst­be­wusst und handeln auch so. Ein Liebes­film, der endlich einmal über­zeu­gend klar­stellt, dass nicht nur Familie, sondern auch Liebe immer Patchwork ist. (Axel Timo Purr) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

Petite Maman (F 2021, R: Céline Sciamma): Die Sciamma plötzlich wieder in Berlin statt in Cannes, und nur 70 min.? Das muss wohl ein Zwischen­werk sein…Wenn das ein »Zwischen­werk« ist, müssten sich viele Regis­seure ein Stück davon für ihre Haupt­werke wünschen. Ein kleiner, intimer, zärt­li­cher und in vielerlei Sinn zeitloser Film. Wer kann, der kann eben. (Sedat Aslan) // Erst ist es nur ein Fleck alte Tapete hinter einem Küchen­schrank, im Haus der verstor­benen Oma. Dann tut sich, ganz selbst­ver­ständ­lich, ein Tor zur Vergan­gen­heit auf. Ein Spiel um Mutter-Tochter-Bezie­hungen, frühe Trauer: Niemand verbindet meis­ter­hafter haar­ge­naue filmische Präzision mit hautnahem, feinem Blick ins Innere der Figuren als Sciamma. Gefühlt: Der einzig wahre Goldene Bär! (Anna Edelmann)

Rock Bottom Riser (USA 2021, R: Fern Silva)
Auch kosmische Wahr­heits­suche braucht irdisches Heim –und da kann Wissen­schaft zum Kolo­nia­lismus werden. Silva montiert Lava­ströme, SETI-Obser­va­to­rien auf den Poly­ne­siern heiligen Bergen Hawaiis, Paul Simons I am a rock und Dwayne The Rock Johnson hinter­ein­ander. Zwischen Expe­ri­mental und Keine Lust, dem Material zwin­gen­dere Form zu geben. Magma, oder magma nicht. (Anna Edelmann)

A River Runs, Turns, Erases, Replaces (USA 2021, R: Shengze Zhu): Lange doku­men­ta­ri­sche Einstel­lungen à la Tsai Ming-liang, nur mit mehr Wasser, weil man in Wuhan am Jangtse ist. Einge­blen­dete Briefe an Hinter­blie­bende. Der Fluss als Heraklit’sche Metapher für eine Pandemie und ihre Auswir­kungen trans­por­tiert eine tiefere Wahrheit als jede Zeit­chronik, wenn man sich denn hinein­fallen lässt. (Sedat Aslan)

The Scary of Sixty-First (USA 2020, R: Dasha Nekrasova): Haun­to­logy in New York: Durch die Ästhetik hallen Echos von Argentos Inferno, Fulcis New York Ripper & Giallo co. Doch was hier durchs Apartment spukt, ist Jeffrey Epsteins Vermächtnis. Nekrasova, als Sailor Socialism zu Internet-Meme-Ruhm gekommen, schließt Okkul­tismus-Kino mit Verschwö­rungs­theorie kurz, polt den male gaze um. Das bleibt letztlich flacher als erhofft – ist vom Ansatz aber viel­leicht der modernste Film des Festivals. (Anna Edelmann)

Eine Schule in Cerro Hueso (Una Escuela en Cerro Hueso, ARG 2021, R: Betania Cappato): Dieser Film in der Sektion Genera­tion Kplus über ein sechs­jäh­riges autis­ti­sches Mädchen, das nicht spricht, und dessen gren­zenlos bemühte Eltern, die endlich eine Schule für ihre Tochter gefunden haben, ist eine echte Heraus­for­de­rung, aber eher eine für Erwach­sene. (Christel Strobel) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

Stop-Zemlia (UKR 2021, R: Kateryna Gornostai): Warten auf das Leben, Poesie in Traban­ten­s­tädten, Leiden am Leben, so wider­sprüch­lich wie komplexe Ethno­gra­fien eines Jugend­all­tags. Ein Regie­debüt, das vor allem eindrucks­voll zeigt, dass Jugend immer univer­sell und Identität nicht angeboren ist. (Axel Timo Purr) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

Tabija (CAN/BIH 2021, R: Igor Drljaca): Der »Unort« Sarajewo erzäh­le­risch endlich neu besetzt: klug und karg, politisch und poetisch mit immer wieder über­ra­schenden Asso­zia­tionen –Europa ganz anders und als dichtes Drama um Liebe und Tod. (Axel Timo Purr) (-> Genera­tion Kplus & 14plus-Überblick)

Tides (D/CH 2021, R: Tim Fehlbaum): Endzeit-Action im Watten­meer. Tim Fehlbaums Bewer­bungs­schreiben an Hollywood ist nicht Fisch, nicht Fleisch, belegt dennoch eindrucks­voll, wie sehr seine Crew und er es drauf­haben, »großes Kino« zu machen. (Sedat Aslan)

What Do We See When We Look at the Sky? (D/GE 2021, Alexandre Koberidze): Eine Ode an die Macht des Erzählens, hier werden die kleinen Dinge groß, die großen Dinge klein, und alles ist beseelt. Der erste Film der dies­jäh­rigen Online-Edition, bei dem ich es zutiefst bedauere, ihn nicht zuerst in einem vollen Berlinale-Kinosaal gesehen zu haben. (Sedat Aslan) (-> Lang­kritik)

Wood and Water (D/F 2021, R: Jonas Bak): In einer Mischform aus doku­men­ta­ri­scher und fiktio­naler Erzählung verfolgt Jonas Bak die Rentnerin Anke (auch Bak) vom Schwarz­wald ins krisen­ge­schüt­telte Hongkong. Dieses stil­si­chere Debüt ist lupen­reines »slow cinema« und ein starker, eigen­wil­liger Auftakt der dies­jäh­rigen Perspek­tive. (Sedat Aslan)