Eine Woche im Mai. 33 Grad im Schatten. Man schleckt halbgeschmolzene
Eiscreme und fächelt sich Luft zu. In ganz Deutschland
sind die Kinos verwaist. In ganz Deutschland? Nein! In einem
großen Dorf im Süden Germaniens stürmen die
Menschen die Filmtheater, stehen Schlange in der brütenden
Sonne. Der Grund dafür heißt Dokfest München.
"Die waren alle bei uns", löst Festivaldirektor
Hermann Barth feixend das Rätsel um die deutschlandweit
schlechtbesuchteste Kinowoche seit langem.
In den vergangenen Monaten sah man sie eifrig auf Festivals
stöbern, Hermann Barth und Ulla Wessler - zwei cineastische
Trüffelschweine in ihrem Element. Reiche Beute brachten
sie nach München: mehr als 100 wunderbare Filme aus aller
Welt. Zum besten von ihnen kürte die internationale Jury
einstimmig Tishe! von
Victor Kossakowsky aus Russland. Bei seinem Blick aus dem
Fenster auf eine Straße in St. Petersburg entdeckt er
Komisches und Rätselhaftes und die unerwartete Schönheit
unscheinbarer Dinge. Der, so die Jury-Begründung, "originellste,
kunstvollste, unterhaltsamste und poetischste Dokumentarfilm
des Wettbewerbs" erhielt den mit 10.000 Euro dotierten
Dokumentarfilmpreis des Bayerischen Rundfunks.
Der Preis für den besonderen Dokumentarfilm wurde an
den Film Tehora
der israelischen Regisseurin Anat Zuria verliehen. In wunderbaren
Bildern gewährt der Film Einblick in die Miqveh, die
rituelle Waschung der Frauen nach der Menstruation, und rührt
dabei an ein Tabu. Drei Frauen in unterschiedlichsten Lebenssituationen
berichten mit ungeheurer Offenheit vom schmerzlichen Spannungsfeld
zwischen individuellen Bedürfnissen und ihrem religiösen
Empfinden.
Bei aller Freude über das gelungene Festival fiel ein
schwerer Schatten auf die Abschlussfeier am vergangenen Samstag:
der Bestand des Dokfests ist mehr als fraglich. "So nicht
wieder" war die klare Botschaft der Organisatoren an
die Stadt München. Denn in Zeiten leerer Kassen wurde
das Budget gegenüber dem Vorjahr um 50 Prozent zusammengestrichen.
Und wo die Basisfinanzierung nicht gewährleistet ist,
halten sich auch Sponsoren zurück. Wenn bis zur Sommerpause
nicht seitens der Stadt eine angemessene Summe zugesichert
wird, wird das 18. Dokfest wohl das letzte gewesen sein.
Dabei ist der Dokumentarfilm gerade heute besonders wichtig.
In Zeiten, in denen verstärkt Ellenbogen zum Einsatz
kommen, werden klare Positionen für mehr Menschlichkeit
dringend benötigt. Wenn Hoffnungslosigkeit und Depression
dominieren, brauchen die Menschen neue Denkanstöße
und Ermutigung, über den Tellerrand der eigenen Befindlichkeit
hinauszublicken.
Das Dokfest München vereint all dies in wunderbarer
Weise:
- Engagierte Menschen wie die Protagonisten von Planet
Hasenbergl machen Mut zur Eigeninitiative, bauen Stigmata
ab und beziehen Stellung gegen Diskriminierung und Ausgrenzung.
- Filme wie Heirate
mich gewähren Einblicke in das Denken und Leben von
Menschen aus anderen Kulturkreisen und lassen so die eigenen
Probleme in realistischen Dimensionen erscheinen.
"Das beste Foto ist immer das nächste", sagt
der Fotograf Herr Tanaka in Tokyo
Noise. Die fernöstliche Weisheit lässt sich
auch aufs Dokfest übertragen. Und so hoffen wir, dass
das beste Festival uns immer wieder aufs Neue erwartet.
Wer auch im nächsten Jahr ein Dokfest in München
erleben möchte, der beiteilige sich an unserer Aktion:
"Ich will mein Dokfest!" - e-mails an Münchens
OB Christian Ude: oberbuergermeister.ude@muenchen.de.
Nani Fux
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