21. Filmfest München 2004
Tagebuch, vor dem Fest |
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Das Mädchen mit dem Perlenohrring | ||
(Foto: Concorde Filmverleih) |
Von Dunja Bialas
Einiges hat sich getan seit dem letzten Filmfest. Der Leiter heißt jetzt Andreas Ströhl, zeigt sich, dem aufgeschlossenen Berlinale-Leiter Dieter Kosslik nicht unähnlich, bei den Vorab-Filmvorführungen seines eigenen Festivals, mit leicht verstrubbeltem Haar. Das Filmfest-Plakat sieht dieses Jahr aus wie die Ankündigung für die Verleihung der Goldenen Kamera und ist damit noch schlechter geworden als das der vergangenen Jahre mit seinem Kino-Dream-Paar und dem schlagkräftigen Motto, das sich um die Kinobesucher bemühte. Besser ist da schon der bescheidene Hinweis auf das »22. Filmfest«, der genügen soll, um Interesse zu wecken. Der Trailer wurde dieses Jahr erstmals der Grafik des Plakates angeglichen und zeigt das neue Selbstverständnis des Filmfestes als Produkt, das nur mit sich selbst wirbt. Vermissen werden wir sie trotzdem, die blonden Angels, die sich im Hofgarten zusammenrotten und München als Actionszenario erleben – allein des Amüsements wegen.
Gespannt sein darf man auf das Programm. Immerhin hat Andreas Ströhl, entgegen der Plakatästhetik, erkannt, dass dies ein Filmfest ist und nicht das Fest des Deutschen Fernsehfilms. Weniger Fernsehfilme werden gezeigt, dafür übernahm er Bewährtes wie die Reihe des Nouveau Cinéma Français (darunter Altmeister wie Godard mit NOTRE MUSIQUE, Rivette und Resnais), schaffte eine eigene Reihe für das junge asiatische Kino, darunter OLD BOY oder WOMAN IS THE FUTURE OF MAN. Auffällig viele Dokumentarfilme finden sich entgegen den Gepflogenheiten des Filmfestes und dem Gentlemen’s Agreement mit dem Münchner DokFest im Programm, darunter die wuchtige METALLICA-Dokumentation, Errol Morris' streitbarer FOG OF WAR, der den diesjährigen Oscar erhalten hat, aber auch Unsäglichkeiten wie SUPER-SIZE ME.
Besonderer Stellenwert kommt immer dem Eröffnungsfilm zu. Er ist Aushängeschild des Festivals und gelangt dadurch zu viel Ehre, muss zugleich die Festivalbesucher in die richtige, positive Stimmung bringen.
Dies ist mit dem diesjährigen Eröffnungsfilm, DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING,allemal gelungen. Die Geschichte des Films spielt im niederländischen Delft, 17. Jahrhundert. Die 16jährige Griet (Scarlett Johanson) kommt als Dienstmagd in das Haus des Malers Jan Vermeer (Colin Firth). Darf sie zuerst nur das Atelier putzen, wird sie bald zu seiner heimlichen Assistentin, dem Maler schließlich Muse und Modell.
Es ist eine Geschichte vom Aschenputtel, das sein wahres Wesen zu erkennen gibt, als ihr der Perlenohrring ihrer Herrin angepasst wird. Eine Geschichte, die wie das Märchen auf sexuelle Erweckung hindeutet, wo das Stechen des Ohrlochs auch Symbol für das Penetrieren ist, das aber – ganz nach den triebtheoretischen Lehrsätzen Sigmund Freuds – in Kunst sublimiert wird. Eine Geschichte auch der Klassenverhältnisse: Ein Mäzen hält sich Maler und Modell als verfügbare Objekte, die Magd muss am Ende Magd bleiben und sich im klassenbewussten Ersatzobjekt, dem Metzgersohn, ein Ventil für ihr Begehren suchen. Letztlich ist alles vorgezeichnet.
Da kann durchaus ein wenig Ermüdung aufkommen. Nicht nur die absehbare Geschichte ist daran schuld, auch Scarlett Johanson trägt dazu bei, wenn sie Sinnlichkeit und Sinnesbegabung allzu oft mit leicht geöffneten Erdbeermund und staunenden Augen demonstriert. Die permanente Musikuntermalung will betören und hebt dabei nur das Rührselige der Geschichte hervor.
Die Absehbarkeit der Handlung ist dennoch keine wirkliche Schwäche des Films. Denn gerade das Wissen um den Gang
der Geschichte gibt für DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING Raum, im Augenblick der Bilder zu verweilen. Der Film hält immer wieder die Geschichte an, verliert sich in malerischen Momentaufnahmen, in Stilleben der Ereignisse. Die Dienstmagd positioniert sich im Türrahmen, ihr Blick ist gesenkt, die Haube schimmert in cremigem Weiß. Durch Butzenscheiben dringt gedämpftes Licht in warmen Braun- und Gelbtönen, in einem an das 17. Jahrhundert gemahnenden Interieur. Aus den Körben, die
die Mägde vom Markt in das herrschaftliche Haus tragen, hängen schlaff die Gänsehälse, das Gemüse, das sorgfältig auf dem Schneidebrett arrangiert wird, ist violett und dunkelgrün. Jedes Bild, das Peter Webber in seinem Debütfilm findet, ist eine Anspielung an die Bildlichkeit der Niederländischen Malerei und des Vermeer von Delft.
Auch wenn das Bemühen, im Set nachzubilden, was die Malerei bereithält, gelungen und überzeugend ist, fehlt gerade an der Stelle der Bildreflexion das, was DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING zum wirklich großen Film machen könnte. Peter Webber geht letztlich nicht über die angehäuften Bildzitate hinaus. Sie sind motivgebend für den Maler und zugleich wiederholen sie nur Motive der Malerei, ein inszenatorischer Zirkelschluss, in dem die Malerei immer nur Thema des Films bleiben kann. Nie gehen die malerischen Momente auf das rein Filmische über, auf Kamera, Schnitt, Tiefenschärfe. Das Kinobild wird nicht selbst zum Gemälde, es zeigt vielmehr das Gemälde als Abbild, das Kinobild als Imitationen der Niederländischen Malerei in Licht, Dekor und Kostümen.
Dennoch: DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRING ist allemal schön anzusehen. Der Film ist ein Eröffnungsfilm par excellence, ein Konsensfilm mit Kunstanspruch, weder aufregend noch langweilig. Übrigens einer der vielen Filme des Festivals, die bereits einen Verleih gefunden haben. Und auch über die Nebenrolle des Filmfestes als Preview-Ereignis sollte an dieser Stelle noch nachgedacht werden.