24.06.2004
21. Filmfest München 2004

Tagebuch, vor dem Fest

DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING
Das Mädchen mit dem Perlenohrring
(Foto: Concorde Filmverleih)

Bildersturm und Bilderwut

Von Dunja Bialas

Einiges hat sich getan seit dem letzten Filmfest. Der Leiter heißt jetzt Andreas Ströhl, zeigt sich, dem aufge­schlos­senen Berlinale-Leiter Dieter Kosslik nicht unähnlich, bei den Vorab-Film­vor­füh­rungen seines eigenen Festivals, mit leicht verstrub­beltem Haar. Das Filmfest-Plakat sieht dieses Jahr aus wie die Ankün­di­gung für die Verlei­hung der Goldenen Kamera und ist damit noch schlechter geworden als das der vergan­genen Jahre mit seinem Kino-Dream-Paar und dem schlag­kräf­tigen Motto, das sich um die Kino­be­su­cher bemühte. Besser ist da schon der beschei­dene Hinweis auf das »22. Filmfest«, der genügen soll, um Interesse zu wecken. Der Trailer wurde dieses Jahr erstmals der Grafik des Plakates ange­gli­chen und zeigt das neue Selbst­ver­s­tändnis des Film­festes als Produkt, das nur mit sich selbst wirbt. Vermissen werden wir sie trotzdem, die blonden Angels, die sich im Hofgarten zusam­men­rotten und München als Action­sze­nario erleben – allein des Amüse­ments wegen.

Gespannt sein darf man auf das Programm. Immerhin hat Andreas Ströhl, entgegen der Plaka­täs­thetik, erkannt, dass dies ein Filmfest ist und nicht das Fest des Deutschen Fern­seh­films. Weniger Fern­seh­filme werden gezeigt, dafür übernahm er Bewährtes wie die Reihe des Nouveau Cinéma Français (darunter Altmeister wie Godard mit NOTRE MUSIQUE, Rivette und Resnais), schaffte eine eigene Reihe für das junge asia­ti­sche Kino, darunter OLD BOY oder WOMAN IS THE FUTURE OF MAN. Auffällig viele Doku­men­tar­filme finden sich entgegen den Gepflo­gen­heiten des Film­festes und dem Gentlemen’s Agreement mit dem Münchner DokFest im Programm, darunter die wuchtige METALLICA-Doku­men­ta­tion, Errol Morris' streit­barer FOG OF WAR, der den dies­jäh­rigen Oscar erhalten hat, aber auch Unsäg­lich­keiten wie SUPER-SIZE ME.

Beson­derer Stel­len­wert kommt immer dem Eröff­nungs­film zu. Er ist Aushän­ge­schild des Festivals und gelangt dadurch zu viel Ehre, muss zugleich die Festi­val­be­su­cher in die richtige, positive Stimmung bringen.

Dies ist mit dem dies­jäh­rigen Eröff­nungs­film, DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING,allemal gelungen. Die Geschichte des Films spielt im nieder­län­di­schen Delft, 17. Jahr­hun­dert. Die 16jährige Griet (Scarlett Johanson) kommt als Dienst­magd in das Haus des Malers Jan Vermeer (Colin Firth). Darf sie zuerst nur das Atelier putzen, wird sie bald zu seiner heim­li­chen Assis­tentin, dem Maler schließ­lich Muse und Modell.

Es ist eine Geschichte vom Aschen­puttel, das sein wahres Wesen zu erkennen gibt, als ihr der Perlen­ohr­ring ihrer Herrin angepasst wird. Eine Geschichte, die wie das Märchen auf sexuelle Erweckung hindeutet, wo das Stechen des Ohrlochs auch Symbol für das Pene­trieren ist, das aber – ganz nach den trieb­theo­re­ti­schen Lehr­sätzen Sigmund Freuds – in Kunst subli­miert wird. Eine Geschichte auch der Klas­sen­ver­hält­nisse: Ein Mäzen hält sich Maler und Modell als verfüg­bare Objekte, die Magd muss am Ende Magd bleiben und sich im klas­sen­be­wussten Ersatz­ob­jekt, dem Metz­ger­sohn, ein Ventil für ihr Begehren suchen. Letztlich ist alles vorge­zeichnet.

Da kann durchaus ein wenig Ermüdung aufkommen. Nicht nur die absehbare Geschichte ist daran schuld, auch Scarlett Johanson trägt dazu bei, wenn sie Sinn­lich­keit und Sinnes­be­ga­bung allzu oft mit leicht geöff­neten Erdbeer­mund und stau­nenden Augen demons­triert. Die perma­nente Musik­un­ter­ma­lung will betören und hebt dabei nur das Rühr­se­lige der Geschichte hervor.
Die Abseh­bar­keit der Handlung ist dennoch keine wirkliche Schwäche des Films. Denn gerade das Wissen um den Gang der Geschichte gibt für DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING Raum, im Augen­blick der Bilder zu verweilen. Der Film hält immer wieder die Geschichte an, verliert sich in male­ri­schen Moment­auf­nahmen, in Stilleben der Ereig­nisse. Die Dienst­magd posi­tio­niert sich im Türrahmen, ihr Blick ist gesenkt, die Haube schimmert in cremigem Weiß. Durch Butzen­scheiben dringt gedämpftes Licht in warmen Braun- und Gelbtönen, in einem an das 17. Jahr­hun­dert gemah­nenden Interieur. Aus den Körben, die die Mägde vom Markt in das herr­schaft­liche Haus tragen, hängen schlaff die Gänsehälse, das Gemüse, das sorg­fältig auf dem Schnei­de­brett arran­giert wird, ist violett und dunkel­grün. Jedes Bild, das Peter Webber in seinem Debütfilm findet, ist eine Anspie­lung an die Bild­lich­keit der Nieder­län­di­schen Malerei und des Vermeer von Delft.

Auch wenn das Bemühen, im Set nach­zu­bilden, was die Malerei bereit­hält, gelungen und über­zeu­gend ist, fehlt gerade an der Stelle der Bild­re­fle­xion das, was DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING zum wirklich großen Film machen könnte. Peter Webber geht letztlich nicht über die angehäuften Bild­zi­tate hinaus. Sie sind motiv­ge­bend für den Maler und zugleich wieder­holen sie nur Motive der Malerei, ein insze­na­to­ri­scher Zirkel­schluss, in dem die Malerei immer nur Thema des Films bleiben kann. Nie gehen die male­ri­schen Momente auf das rein Filmische über, auf Kamera, Schnitt, Tiefen­schärfe. Das Kinobild wird nicht selbst zum Gemälde, es zeigt vielmehr das Gemälde als Abbild, das Kinobild als Imita­tionen der Nieder­län­di­schen Malerei in Licht, Dekor und Kostümen.

Dennoch: DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRING ist allemal schön anzusehen. Der Film ist ein Eröff­nungs­film par excel­lence, ein Konsens­film mit Kunst­an­spruch, weder aufregend noch lang­weilig. Übrigens einer der vielen Filme des Festivals, die bereits einen Verleih gefunden haben. Und auch über die Neben­rolle des Film­festes als Preview-Ereignis sollte an dieser Stelle noch nach­ge­dacht werden.