29.06.2004
21. Filmfest München 2004

Tagebuch, 4. Tag

METALLICA: SOME KIND OF MONSTER
Ringen um den richtigen Sound: James Hetfield und Lars Ulrich
(Foto: U Talkin 2 Me)

On the Couch with Metallica

Von Nani Fux

Tango, Blues, Metal, Country: Musik­filme ziehen sich wie ein roter Faden durch die Themen­reihen des dies­jäh­rigen Festivals. Besonders viel Spaß – und zwar bei weitem nicht nur Rockfans – macht die grandiose Musik­do­ku­men­ta­tion METALLICA: SOME KIND OF MONSTER.

Heavy Rocker haben es schon schwer: Jeden Morgen hockt ihnen ein dicker Kater auf dem Schädel, neben ihnen liegt eine fremde Person und immerzu müssen sie teuflisch harte Burschen markieren. Nach ein paar Jahren kann einem da schon die Puste ausgehen – auch den harten Jungs von Metallica, die mit 90 Millionen verkauften Alben und diversen Hits Metal gesell­schafts­fähig gerockt haben.

Rund zwei­ein­halb Jahre hat das fabel­hafte Doku­men­tar­filmduo Joe Berlinger und Bruce Sinofsky die schwere Geburt des neuen Albums von Metallica begleitet. Dabei gelingen Ihnen erstaun­liche Einblicke in die Grup­pen­chemie. Wie der kulleräu­gige Drummer Lars Ulrich sagt: »Dies ist kein Film über Metallica – dies ist ein Film über Bezie­hungen.«

Und so fällt das Doku­film­pro­jekt von Joe Berlinger und Bruce Sinofsky in eine Zeit der Krise, sowohl grup­pen­dy­na­misch, als auch indi­vi­duell und künst­le­risch. Bassist Jason Newsted steigt aus und gründet seine eigene Band: »Wer Jahre lang in so einer Band gespielt hat, kriegt irgend­wann einen Schaden,« so sein Kommentar. Seine früheren Gefährten oder »Fami­li­en­mit­glieder« wie sie einander gern titu­lieren, geht es auch nicht eben glänzend. Frontmann James Hetfield hat derbe Alko­hol­pro­bleme, zwischen den Jungs schwelen Konflikte. Und so heuert die Band, um der völligen Zerset­zung zu entgehen, einen »Shrink« an: Kaum zu glauben, die Ober­ro­cker von Metallica auf der Psycho­couch...

Spätes­tens jetzt merken die Filme­ma­cher, dass der Film weit mehr als ein Making-of des neuen Albums »St. Anger« werden könnte. Allerhand tritt zu Tage: Der aufbre­chende Konflikt zwischen den Alphamänn­chen Hetfield und Ulrich, dazwi­schen Lead­gi­tar­rist Kirk Hammett als immer­wäh­render Schlichter. Persön­liche Verlet­zungen werden sichtbar und die tiefe Unsi­cher­heit hinter der Macho-Pose. Seit zwei Jahr­zehnten arbeiten die Männer schon zusammen, nun wird ihnen plötzlich klar, dass sie einander kaum kennen. Irgend­wann stürmt Hetfield nach einer weiteren Ausein­an­der­set­zung mit Ulrich aus der Tür – und klinkt sich fortan mona­te­lang aus. Das endgül­tige Aus für die Band scheint nur noch eine Frage der Zeit. Eine Szene zeigt Hammett auf dem Surfbord: »Da gibt es diesen Moment, an dem Du ganz auf Dich allein gestellt bist«, sagt er und meint den Wellen­ritt – doch der Satz passt genauso gut an viele andere Stellen dieses Films.

Spannend zu beob­achten ist auch das zähe Ringen um den Sound, der Kampf mit dem Monster Metal. Jede Probe wird zum heiklen Balan­ceakt, denn die Aggres­si­vität, die der Sound braucht, droht die Bezie­hungen zwischen den Band­mit­glie­dern zu torpe­dieren. Hetfield tut sich zudem schwer damit, die Herr­schaft über die Lyrics fortan mit den Band­mit­glie­dern zu teilen. Eine neue demo­kra­ti­schere Arbeits­weise, die aus den Grup­pen­sit­zungen resul­tiert. Und dann doch, plötz­liche Momente des Glücks, wenn nach mona­te­langem, frus­trie­rendem Herum­wurs­teln plötzlich etwas entsteht. Kunst, so sieht man hier gilt auch für Rocker, ist nur ein Quäntchen Talent – und 99 Prozent harte Arbeit.

Daneben hält der Film ganz köstliche Szenen bereit, die die berüch­tigten Party­ani­mals als inzwi­schen dann doch latent gesat­telte 40-Some­things zeigen: Hetfield als Kuschel­papa, sein Töch­ter­chen im rosa Tutu knuddelnd. Oder wie er auf dem Sofa lümmelnd ins Mikro röhrt, seinen davon völlig unbe­ein­druckten kleinen Sohn auf dem Schoß. Ulrich gefällt sich derweil in seiner Rolle als Kunst­kenner und nippt Cham­pa­gner. Hammett poliert sich mit einem elek­tri­schen Mani­kü­re­gerät hinge­bungs­voll die Nägel.

Was diese Doku­men­ta­tion zu etwas ganz Beson­derem macht, ist jedoch die Courage und Groß­zü­gig­keit der Prot­ago­nisten, die hier ihr Image als harte Rocker aufs Spiel setzten. Dass die Filme­ma­cher so viel Vertrauen erwerben konnten und bei aller Intimität der Bilder nicht verrieten, beweist deren Fein­ge­fühl und Inte­grität, mensch­liche Quali­täten, die auch unter Doku­men­tar­fil­mern nicht immer selbst­ver­s­tänd­lich sind.

»Glaubt Ihr, Ihr habt nach so vielen Jahren noch genügend Power für Metal?« will eine Jour­na­listin zum Start von St. Anger wissen. Offenbar haben sie. Nach mehr als drei Jahren Pause steht die Band schließ­lich wieder auf der Bühne, gemeinsam mit dem neuen vierten Mann, Bassist Robert Trujillo. Das Schein­wer­fer­licht verschmilzt sie zu einer kraft­vollen, wütenden, atem­be­rau­benden Einheit. In diesem Moment spielen die Probleme und Quereelen der vergan­genen Monate keine Rolle mehr: Das Monster Metallica ist aufer­standen – jeden­falls fürs Erste.

Mittwoch, 30.6.04, 22.00 Uhr, Maxx 2
Samstag, 3.7.04, 17.30 Uhr, Forum am Deutschen Museum