Geister, Lieder und Verführte |
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Rüdiger Suchslands bester Film des Jahres: Luc Bessons Valerian – Die Stadt der tausend Planeten |
Allen unseren Lesern wünschen auch wir von »artechock« alles Gute. Viel Glück und Gesundheit, natürlich auch viele großartige Erlebnisse um Kino und drumherum.
Jetzt, wo 2017 vorbei ist, ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Und wie immer hat eine solche Bilanz sehr viele Aspekte – und ganz grob lassen sich mindestens zwei Seiten unterscheiden: Die qualitative und die quantitative.
Quantitativ ist die Situation der Kinos unverändert angespannt. Die Zahl der Filme, die 2017 starteten, hat sich noch einmal erhöht, und beläuft sich nunmehr auf insgesamt 668, also auf im Durchschnitt 13,2 Filmstarts pro Woche. Die in dieser Hinsicht stärksten Monate waren der November (mit 80 Starts) und der März (67), die schwächsten der Juli (44), und der Dezember (46). Ohne Fußball-WM starteten im Juni mit 57 Filmen gar nicht so wenige Filme.
Die Starttermine mit den meisten Filmen waren der 6. April 2017, der 12. Oktober und der 7. Dezember 2017 mit jeweils unsäglichen 19 Starts, dahinter der 9. November 2017 mit 18. Der 28. Dezember war mit immer noch 7 Wochenstart der niedrigste Starttag, danach kommt der 20. Juli 2017 mit 8.
Unter den 668 Starts waren 11 (Wieder-)Aufführungen von Klassikern. Drei liefen in dieser Film noch nie im Kino: Battle Royale von Kinji Fukasaku, sowie die beiden King Hu-Filme Die Herberge zum Drachentor und A Touch of
Zen.
Außerdem konnte man wiedersehen: Grease, Belle de Jour von Luis Buñuel, La Boum – Die Fete von Claude Pinoteau, Die Reifeprüfung, Das fünfte Element, Terminator 2, Unheimliche Begegnung der dritten Art, Blood Simple.
Will man nun das Revue passieren lassen, was sonst so für wichtig gehalten wird, so haben wir dem eigentlich nichts hinzuzufügen, was nicht schon geschrieben wurde. Also nur zur Erinnerung: Bei der von der Weinstein-Affaire ausgelösten Me-Too-Welle sind sich alle einig, obwohl man da über vieles produktiv streiten könnte. Uneinig und kontrovers reagiert die deutsche »Filmbranche«, die eher eine Brache ist, auf etwas, worin sich eigentlich alle einig sein müssten: Dass ein
Festivalleiter nach achtzehn Jahren mal einem Neuen Platz machen sollte: Dieter Kosslick musste der Stuhl
schon sehr unsanft aus dem Balkonfenster seines Berlinale-Palastes geworfen werden, bis er es endlich auch begriff.
Die Berlinale, das deutsche Filmfestival mit internationaler Ausstrahlung, ist auch sonst ins Gerede gekommen. Schon Anfang des Jahres sorgte eine Studie für Aufsehen, nach der es mit der Förderung des deutschen Films auf den Berliner Filmfestspielen gar nicht
so weit her ist, wie die dortige Marketingabteilung behauptet. Mit der Repräsentanz weiblicher Filmemacher auch nicht.
Debattiert wurde auch wie gewohnt über die deutsche Filmförderung. Im Sommer griff die Kulturstaatsministerin Monika Grütters in ungewöhnlicher Form die FFA, die bundesweite Filmförderanstalt an – für die sie selbst ja politisch verantwortlich ist. Für manche war das ein Fall von politischer Schizophrenie.
Dann stritt man 2017 über Streamingdienste und das Kino, vor allem über Netflix, die dumm oder dreist genug waren, ihre Feindschaft zum Kino in Cannes ganz unverblümt zu formulieren.
Dem deutschen Film geht es wieder wie immer, daran konnte auch Toni Erdmann nix ändern, der wie erwartet keinen Oscar gewann, und so war der kurze Boom des deutschen Kinos, der eigentlich nur aus diesem Sensationserfolg bestand, schnell wieder zuende. Auch der berückende Western von Valeska Grisebach
oder Irene von Albertis Der lange Sommer der Theorie halfen nicht genug. Immerhin waren es wie 2016 wieder die Frauen, die die besten deutschen Filme gedreht haben.
Sensationen und neue Besucherrekorde gab es im Kinojahr 2017 auch sonst nicht. Es war kein aufregendes Kinojahr, eher business as usual, insgesamt ein Jahr mit vielen milden Enttäuschungen und ohne große positive Überraschungen
oder mindestens fruchtbare Irritationen.
Ein Film kann hier natürlich nicht unerwähnt bleiben, muss aber »außer Konkurrenz« laufen, auch wenn er für mich der wichtigste und unter bestimmten Gesichtspunkten der interessanteste und schönste des letzten Jahres war: Hitlers Hollywood. Wer ihn verpasst hat: es gibt ihn auf DVD und bei diversen guten Filmfestivals im gerade beginnenden Jahr.
Ansonsten sind die »Top Ten« für mich diesmal ziemlich klar (Wiederaufführungen habe ich außen vor gelassen):
1. Valerian – Die Stadt der tausend Planeten von Luc Besson
2. Nocturama von Bertrand Bonello
3. Elle von Paul Verhoeven
4. Personal Shopper von Olivier Assayas
5. Die Taschendiebin von Park Chan-Wook
6. Song to Song von Terrence Malick
7. Siebzehn von Monja Art
8. Der lange Sommer der Theorie von Irene von Alberti
9. Die Verführten von Sofia Coppola
10. Hell or High Water von David Mackenzie
Da ich über alle diese Filme etwas geschrieben habe, muss ich dieses Urteil hier nicht näher begründen.
11. Die Lebenden reparieren von Katell Quillévéré
Danach wird es schwierig:
Auf Platz 12 könnte ich je nach stündlich wechselnder Einschätzung folgende Filme setzen:
12. The Square von Ruben Östlund
12. The Killing of a Sacred Deer von Yórgos Lánthimos
12. Happy End von Michael Haneke – Mit Isabelle Huppert, Jean-Louis Trintignant
12. Western von Valeska Grisebach – Mit Meinhard Neumann, Reinhardt Wetrek
12. Dunkirk von Christopher Nolan – Mit Fionn Whitehead, Mark Rylance
dann:
17. Atomic Blonde von David Leitch
18. Wer war Hitler von Hermann Pölking
19. Die Einsiedler von Ronny Trocker
20. Die feine
Gesellschaft von Bruno Dumont
21. Abluka – Jeder misstraut jedem von Emin Alper – Mit Mehmet Özgür, Berkay Ateş
22. Una und Ray von Benedict Andrews – Mit Rooney Mara, Ben Mendelsohn
23. Jackie von Pablo Larraín – Mit Natalie Portman, Peter Sarsgaard
24. Certain Women von Kelly Reichardt
25. Zazy von Matthias X. Oberg
Quasi unter Ausschluss der Wahrnehmung liefen:
- The Great Wall von Yimou Zhang – Mit Matt Damon, Jing Tian
- Die Hölle – Inferno von Stefan Ruzowitzky – Mit Violetta Schurawlow, Tobias Moretti
- Abluka – Jeder misstraut jedem
von Emin Alper – Mit Mehmet Özgür, Berkay Ateş
- Jugend ohne Gott von Alain Gsponer
- Zazy von Matthias X. Oberg
- Auf Ediths Spuren von Peter Stephan Jungk
- Luca tanzt leise von Philipp Eichholtz
- Dil Leyla von Asli Özarslan
Beachtenswert sind außerdem:
- Luca tanzt leise von Philipp Eichholtz
- I Am Not Your Negro von Raoul Peck – Mit Samuel L. Jackson
- Dil Leyla von Asli Özarslan
- Auf Ediths Spuren von Peter Stephan Jungk
- Helle Nächte von Thomas Arslan
- Der Tod von Ludwig XIV. von Albert Serra
- Lady Macbeth von William
Oldroyd
- Teheran Tabu von Ali Soozandeh
- Vânâtoare von Alexandra Balteanu
Guilty Pleasures:
- Wonder Woman von Patty Jenkins
- Planet der Affen: Survival von Matt Reeves
- Tigermilch von Ute Wieland
- Aus dem
Nichts von Fatih Akın
- Ghost in the Shell von Rupert Sanders
- 120 BPM von Robin Campillo
Nicht schlecht, aber enttäuschend oder schlechter als erwartet:
- Blade Runner 2049 von Denis Villeneuve
- Detroit von Kathryn Bigelow
- La La Land von Damien Chazelle
Belanglos:
- Die irre Heldentour des Billy Lynn von Ang Lee
- Neruda von Pablo Larraín
- Der Mann aus dem Eis von Felix Randau
Völlig überschätzt:
- Manchester by the Sea von Kenneth Lonergan
- Moonlight von Barry Jenkins
- Körper und Seele von Ildiko Enyedi
Schlecht:
- Die Blumen von gestern von Chris Kraus
Miserabel:
- Drei Zinnen von Jan Zabeil
- Human Flow von Ai Weiwei
- Die schönen Tage von Aranjuez von Wim Wenders
- mother! von
Darren Aronofsky
Und last not least ein paar andere Highlights des zurückliegenden Jahres:
Die drei schönsten DVD-Editionen:
Sind »Die Taschendiebin« von Park Chan wook mit einer passend fetischistischen »Limited Collector’s Edition« (2 BRs + Fotobuch + 3 DVDs), dann Uncut-Steelbook (3 DVDs) von »Battle Royale« von Kinji Fukasaku, dem Klassiker, der erst seit diesem Jahr von FSK freigegeben wurde. Und die »Terrence Malick Collection« mit den letzten vier Spielfilmen des Meisters, deren Qualität von vielen erst noch zu entdecken ist.
Das schönste Filmbuch:
Ist »Die Zeit des Bildes ist angebrochen! Französische Intellektuelle, Künstler und Filmkritiker über das Kino. Eine historische Anthologie 1906–1929« (Herausgegeben und kommentiert von Margrit Tröhler und Jörg Schweinitz).
Mit Texten von René Clair, Jean Epstein, Louis Feuillade, Abel Gance, Louis Aragon, Blaise Cendrars, Jean Cocteau, Georgette Leblanc, Fernand Léger, Colette, Henri Bergson u. v. a.
Eine Anthologie mit Texten, wie sie nur Franzosen schreiben
können – und eine Anregung zum Auswandern!
(756 Seiten, ISBN 978-3-89581-409-9)
Die schönste Filmmusik:
Dann doch wohl »Atomic Blonde« Original Motion Picture Soundtrack.