72. Filmfestspiele Cannes 2019
Gereiztes Genie und der #MeToo-Sprechautomat |
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Once Upon a Time... in Hollywood | ||
(Foto: Sony Pictures) |
»Warum finden Sie eigentlich Descartes so wichtig?« – »Weil das Cogito kein Geschlecht hat.«
Judith Butler
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Dass mir Quentin Tarantino bei seiner Pressekonferenz in Cannes sympathischer geworden ist, kann ich jetzt nicht behaupten. Ganz im Gegenteil: Missgelaunt, im Gesichtsausdruck voller leicht erkennbarer Arroganz, gab er seine Antworten an die Journalisten mehr als einmal von oben herab und ganz offen schnoddrig, ablehnend und narzisstisch.
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Als Tarantino zu Roman Polanski gefragt wurde, antwortete er zunächst, dass er »ein Fan« von dessen Filmen sei, insbesondere Rosemaries Baby. Er sagte auch, nein, er halte Polanski nicht für den besten Regisseur seiner Epoche, sondern er sei damals der »heißeste Regisseur« seiner Zeit gewesen. Bezogen auf sein persönliches Verhältnis zu Polanski antwortete Tarantino: »Ich habe ihn
getroffen.« – dann Stille. Eine ungewöhnliche Lakonie. Schon hier fällt auf, dass er nicht hinzufügte, wann, weshalb, wo Gemeinsamkeiten lagen. Ein zweiter Fragesteller wurde dann deutlicher und fragte direkt nach dem, was nach meinem Eindruck alle interessierte, danach nämlich, ob Tarantino für seinen neuen Film Polanski denn in irgendeiner Form kontaktiert habe? Dies war die Frage, die auch ich selbst gestellt hätte, wäre ich an die Reihe gekommen. Ich hätte Tarantino
gefragt, ob er Polanski um Erlaubnis gebeten hatte. Klarerweise braucht auch Tarantino juristisch gesehen keine Erlaubnis von Polanski, schon gar nicht, um wie gehabt eine Märchen-Geschichte zu erzählen. Was er aber sehr wohl braucht, ist ein moralisches Plazet.
Tarantinos Antwort war hier noch wortkarger: »No. I didn’t.« Nein! Keinerlei Begründung, warum er Polanski nicht kontaktiert, ihn nicht mal informiert habe, keinerlei Erklärung, wie er sein Verhältnis zu den übrigen
noch lebenden Figuren und Protagonisten der schrecklichen Ereignisse vom 9. August 1969 beschreiben würde.
Der große Unterschied zu Tarantinos Inglourious Basterds vor zehn Jahren liegt ja genau hier: Damals ging es zum einen um Personen, die sofern sie reale historische Figuren sind, bereits sämtlich tot waren; zum Zweiten ging es darum, dass die Toten hier böse Menschen waren,
Nazi-Verbrecher, denen man den Tod wünscht. Ganz anders gelagert sind die Ereignisse in Once Upon a Time... in Hollywood: Manche der Beteiligten leben noch, manche Zeugen, auch manche Täter. Hier wäre natürlich mehr persönliche und historische Sensibilität angebracht gewesen – eine Empfindungsfähigkeit, die Tarantino in seinem Film dann durchaus an den Tag legt. Schade, aber so
erinnerte die Pressekonferenz daran, dass öffentliche Personen auch unsympathische Seiten haben.
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Tarantino war offensichtlich genervt von der Situation. Das ist zwar sehr verständlich, wenn man sich eine Vielzahl von »Kollegen« näher anguckt oder anhört, und nicht gleich einen großen Bogen um sie macht. Aber das kann ich mir leisten, ein Regisseur, der einen Cannes-Wettbewerbsbeitrag präsentiert. Und es ist auch mehr als ungeschickt von Tarantino, der in seinen Filmen ja durchaus ein hervorragender Frauenregisseur und Frauenversteher ist, dem bei diesem Film in der
Luft liegenden #MeToo-Themenfeld komplett auszuweichen. Denn dies ist auf seine Art selbstverständlich ein filmischer Kommentar zu jenen Debatten, die zur Zeit unter den Stichworten »männlicher/weiblicher Blick«, »#MeToo« eher nicht geführt werden.
Zugegeben: #MeToo ist inzwischen im schlechtesten Sinn zum Gemeinplatz geworden: Journalistinnen fragen Schauspielerinnen in Cannes nicht mehr nach ihrer Rolle, nach der Arbeit in einem Film, nasch ihrer ureigenen Expertise,
sondern »objektifizieren« sie gewissermaßen zum #MeToo-Sprechautomaten. So geschehen auch in der Frage der Klatschreporterin der New York Times. Sie sprach nicht etwa die Hauptdarstellerin Margot Robbie an, sondern den Herren Regisseur und redete klassisch ÜBER die Frau, statt mir ihr wie über eine Vase, während die daneben saß: »She was with Leonardo DiCaprio in The Wolf of Wall
Street; she was in I, Tonya; this is a person of a great deal of acting talent and I wondered, why you haven’t given her very many lines?«
Statt die Dame auf genau diesen Widerspruch hinzuweisen, verweigerte Tarantino überaus knapp jeden inhaltlichen Kommentar: »I reject your hypothesis.«
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Robbie immerhin versuchte die Stimmung zu retten: »As an actor, I think the job is to try to understand, what purpose our character has in the story, Quentin said to me early on she is the heartbeat of the story. For me, she was a ray of light. To show those wonderful sides of her I think could be adequately done without speaking. Rarely do I get an opportunity to spend so much time on my own as a character, going through daily existence.«
Sharon Tate redet in diesem Film übrigens
einfach deshalb relativ wenig, weil sie die meiste Zeit allein ist – und eine Nebenfigur des Films, nicht sein Zentrum.
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Was mir an Once Upon a Time... in Hollywood gefällt, dass er sehr verschiedene Frauenfiguren präsentiert. Er handelt von Gewalt gegen Frauen, aber er handelt auch von der Gewalt, die Frauen ausüben.
Tarantino erfasst auch sehr gut die dunkle Seite der Hippies. Die Manson-Family nannte der Regisseur »creepy« und »sinister« – das ist schwer zu übersetzen –, und fügte
hinzu: »I think we‘re fascinated by the Manson family story because at the end of the day, how he got these young girls and even boys to submit to him seems almost unfathomable. It actually gets more obscure the more you know.«
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Mit dem Regisseur und anderen wortkargen Stars verglichen erschien mir Brad Pitt erstaunlich sympathisch und offen, und auch seine Antworten waren klug: »I didn’t see it as a rage against individuals but a rage against a loss of innocence.« – so erklärte er den Mordrausch der Manson-Family.
(to be continued)