»Dass im Prinzip die Privatanleger nur verlieren...« |
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Goldfinger: Albert Serra hat mit Historia de meva mort den Goldenen Leoparden gewonnen |
Er ist ein Geschöpf der Goldenen Ära des Kapitalismus und auch wenn er alle Züge eines vergangenen Zeitalters trägt, wirkt dieser Exbanker namens Rainer Voss cool und lebendig, mit wechselnden Schals und mal in Tweed, mal im Barbourjacket mehr wie ein alter Cowboy, Modell James Stewart in den Filmen Anthony Manns, nicht wie ein Dinosaurier. Trotzdem: Wie ein Zombie, ein Wiedergänger der großen Bankenkrise, streunt er durch nun die zerfallenen Kulissen jener großen Show, deren Teil er einmal war, und die nun zusammengebrochen ist – wenn sie es auch nicht wahr haben will. Der Berliner Dokumentarfilmregisseur Marc Bauder (Jeder schweigt von etwas anderem, Das System) hat ihn für seinen neuen Film Master of the Universe in die verlassenen, leerstehenden Vorstandsetagen der abgewickelten Dresdner Bank gestellt, hinter runde Sitzungstische und vor große Frontscheiben, die von der Decke bis zum Boden reichen. Da steht er nun und blickt in die Ferne – und unter ihm die Stadt.
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Dieser Einfall ist genial, weil die Räume durch den Zusammenhang den Charakter einer Ruinenlandschaft bekommen, und auf den Gesamteindruck abfärben. Eine gespenstische Landschaft im Zerfall, eine Art Geisterstadt des Finanzkapitalismus – wer vor ein paar Jahren Klaus Sterns Lawine gesehen hat, der erinnert sich an verlassenen Büroräume mit ihren ausgerissenen Kabelsträngen in den Ecken und am Boden.
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Die Hauptfigur des ausgezeichneten Master of the Universe war einer der führenden Investmentbanker in Deutschland. Rainer Voss machte täglich Gewinne in Millionenhöhe. Und im Gespräch mit Marc Bauder rechnet er ab mit seiner Profession: »Das sind keine Manager, das sind Legehennen«, »Ohne Murren... Politische Äußerungen? Bloß nicht. Bedingungslose Loyalität gegenüber der Organisation.
Sie müssen bereit sein, ihr Leben aufzugeben. ... Das ist letzten Endes wie bei der Armee.« Voss spricht von »selbstständig handelnden Computersystemen« und davon, »dass im Prinzip die Privatanleger nur verlieren.« Das Gespräch mit ihm bietet die schockierende Innenansicht einer größenwahnsinnigen, quasi-religiösen Parallelwelt hinter verspiegelten Fassaden. Dazu läuft der Bach-Choral »Tilge Höchster, meine Sünden.«
Das ist aber Bauders Kommentar. Voss selbst ist
allerdings keineswegs reuig, sondern mit sich im Reinen. Er weiß nur um den Preis, den er gezahlt hat – aber er hat dafür eine Kompensation von 100.000 Euro im Monat erhalten.
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Der Film lief in der »Semaine de la Critique«, und gewann den mit 8.000 Schweizer Franken dotierten Preis als bester Film der Reihe. Die unabhängige Sektion »Semaine de la Critique« wird vom Schweizer Verband der Filmjournalisten in Zusammenarbeit mit dem Festival del Film Locarno organisiert. Die Jury bestand aus Maria Giovanna Vagenas (Italien), Bernadette Meier (Schweiz) und Pablo Marin Castro (Chile). Das wichtigste Film Festival der Schweiz und kleinste internationale A-Festival in Locarno fand vom 7. bis 17. August 2013 statt.
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Mal wieder ein neuer künstlerischer Leiter in Locarno, mal wieder ein neuer Start in die Zukunft, Carlo Chatrian ist der vierte Direktor in den letzten acht Jahren. Man kann das als Beleg dafür nehmen, wie begehrt Locarno ist, man kann aber auch sagen: Dies ist ein Schleudersitz, wo alle Direktoren recht schnell wieder das Handtuch werfen.
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Er war ein Geschöpf der Goldenen Ära Hollywoods und er war einer der klassischsten Regisseure aus dieser Zeit. Man nannte ihn den »Meister der Eleganz«, und seine Karriere umspannte über fünf Jahrzehnte – von den letzten Jahren des Stummfilms bis in die frühen Achtziger, als er der älteste noch arbeitende Hollywood-Regisseur war: George Cukor, geborenen 1899, gestorben 1983. Jetzt war ihm bei den Filmfestspielen von Locarno die große Retrospektive gewidmet, und man zeigt
nahezu das komplette Werk Cukors von immerhin 50 Spielfilmen – Gelegenheit für eine Wiederentdeckung, dieses etwas in den Hintergrund gerückten alten Meisters und Gelegenheit, in der Gesamtschau einmal nach Leitmotiven zu forschen, und nach der Aktualität dieses Werks zu fragen.
Cukor war ein Erfolgsmensch und hat nahezu alles erreicht, was man in der Filmindustrie seiner Zeit erreichen konnte. Während der 30er und 40er Jahre gehörte er zu den meistbeschäftigten
Regisseuren in Hollywood. Cukor hatte niemals Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. Im Gegenteil: MGM hielt ihn viele Jahre unter Vertrag, und andere Studios rissen sich darum, ihn »ausgeliehen« zu bekommen. Er drehte mit allen Stars seiner Epoche: Mit Greta Garbo und Marilyn Monroe, Joan Crawford und Ingrid Bergman, er drehte den ersten Film von Kathryn Hepburn, die insgesamt zehnmal unter seiner Regie gespielt hat, er drehte die erste amerikanisch-sowjetische Ko-Produktion, und
schließlich My Fair Lady nach George Bernhard Shaws »Pygmalion«, mit Rex Harrison als Professor Higgins und Audrey Hepburn als Eliza Doolittle. Für diesen Film bekam George Cukor 1964 dann auch endlich den ersehnten Regie-Oscar.
Nur einmal erlitt er eine schwere Niederlage: 1939 als er mitten im Dreh von Vom
Winde verweht von seinem Freund David O. Selznick gefeuert wurde – auf diesem Ausdruck bestand er zeitlebens –, und durch Victor Flemming ersetzt. Es heißt allerdings, er habe bei diesem Film trotzdem als eine Art Geisterregisseur vielen Schauspielern, auch Vivien Leigh, bis zum Ende der Dreharbeiten Tips gegeben.
Cukor gilt bis heute vor allem als bedeutender Frauenregisseur, als ein Filmemacher, der im Gegensatz zum Mainstream weibliche Charaktere ins Zentrum rückte: So in Die Kameliendame, Die Nacht vor der Hochzeit, Die Frau mit den zwei Gesichtern, Girls, A Star is Born, gleich zu viert in Vier Schwestern, und zu acht in Die Frauen.
Das weibliche Geschlecht in diesem letztgenannten Film ist keineswegs idealisiert, sondern eitel und zickig, hinterhältig und intrigant, stolz und egoistisch. Das ist überraschend, denn meistens
sind die Frauen bei Cukor den Männern überlegen – durch ihre Intelligenz, ihre Sensibilität, ihre Sprachgewandtheit. Niemand hat im Hollywood-Kino die Schönheit und den Charme der Frauen so ausdauernd gefeiert wie Cukor. Es sind für die damalige Zeit oft höchst fortschrittliche Plädoyers für solche Angehörige des weiblichen Geschlechts, die ihre eigene Rolle in der Gesellschaft zu spielen vermögen, und in der Lage sind, gegen Vorurteile und Borniertheit anzukämpfen. Auf
elegante, aber zielstrebige Art tragen sie den Sieg davon. Über die Jahrzehnte hin vermittelt sein Werk ein ausgezeichnetes Spiegelbild der gesellschaftlichen Position der Frau.
George Cukor war wie so viele große Filmemacher seiner Zeit ein Kind europäischer Emigranten, in seinem Fall jüdischer Ungarn, die angeblich stolz darauf waren, ihre Familie bis in die Zeit vor Christi Geburt zurückverfolgen zu können. Cukor war später politisch ein Linksliberaler und einer der ersten ganz offen homosexuellen Regisseure Hollywoods – auch dies beides Faktoren, die ihn bis in die Gegenwart zu einem besonderen Liebling der Filmkritik gemacht haben.
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Eloquent, großzügig, liebenswürdig, und gebildet, residierte er ein halbes Jahrhundert lang in einer riesigen Villa im neo-italienischen Stil, einem der opulentesten Anwesen am Rand von Beverly Hills, die für viele zum Inbegriff der Goldenen Jahre Hollywoods wurde. Cukors Einladungen waren berühmt und begehrt. Diese Lust am Gesellschaftlichen – das ist ein weiteres Element, das viele seiner Filme verbindet: Viele von ihnen sind Gesellschaftsbilder, Sittengemälde wie die frühe Screwball-Komödie Dinner at Eight von 1933 mit Jean Harlow. Schließlich hat auch die Welt des Showbusiness mit ihrer Verschmelzung von Sein und Schein Cukor immer interessiert. In A Star Is Born, der vom Studio übel verschnitten wurde, wie in Girls, und Let’s Make Love. Besonders die Girls, eine weithin unterschätzte Komödie, ist eine überzeugende Geschichte über die Relativität von Wahrheit und die Unterschiedlichkeit von Wahrnehmungen. Ob reales Leben oder die Welt der Bühne – das ist bei Cukor alles eine Frage des Standpunkts.
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Auch einen Film über die Filmindustrie hat Cukor gedreht: In What Price Hollywood erzählt der die alte Story vom Aufstieg eines kleinen 08/15-Girls zum Filmstar. Eine entlarvende, amoralische Geschichte, in der Hollywood moralisch schon zu Anfang am Ende ist – und gerade darin, in seinem präzisen Blick, ist George Cukor in einem krisengeschüttelten Hollywood ungebrochen aktuell.
Und dennoch zündet diese Retrospektive nicht so, wie die letzten zu
Otto Preminger oder Vincente Minelli – man respektiert Cukor, aber weder liebt man ihn, noch stößt er einen vor den Kopf. Er lässt merkwürdig kalt.
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Der Wettbewerb hat es in Locarno immer besonders schwer – wer kann, der Cannes, oder zumindest Venedig. Und auch San Sebastian Ende September ist natürlich fast schon eine andere Liga. Es stimmt auch nicht, wenn man Locarno mit dem Argument verteidigt, hier werde im Gegensatz zu anderen Festivals der Nachwuchs entdeckt – im »Concorso Internazionale« gab es gerade nur einen Erstling, der diesjährige Sieger Albert Serra war ebenso wie Corneliu Porumboiu aus Rumänien, wie der unberechenbare Japaner Kiyoshi Kurosawa und der Südkoreaner Hong Sang-soo Entdeckungen aus Cannes, und auch Venedig und San Sebastian haben ihre eigenen Nachwuchsreihen. Locarno ist einfach das fünftwichtigste Festival.
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Als ob es sich um eine Sportreportage handelte, betet die deutsche Presse die Marketing-Meldungen nach, und behauptet, die Verfilmung von Charlotte Roches Skandalroman Feuchtgebiete sei einer der Favoriten für den Hauptpreis des Festivals – jeder, der die Premiere des Films selbst erlebt hatte, wusste, dass das nicht stimmte, und ahnte bei aller Unberechenbarkeit der Jury, dass es allenfalls für die Hauptdarstellerin Carla Juri einen Preis geben würde.
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Gewonnen hat dann Albert Serra mit seiner gewagten Konstruktion, wo er Casanova in die Karpaten aufs Werner-Herzog-Nosferatu-Gelände schickt, und ihn den Grafen Dracula besuchen lässt. Zwei Phantome der europäischen Kulturgeschichte.
Der interessanteste Film, der nicht gewann, war Gare du Nord von Claire Simon. Eine Schicksalsepisodengeschichte, die auf dem Bahnhof spielt, der hier zur ganzen Welt wird: Leben und Sterben zwischen den Gleisen,
Obdachlose, Heimatlose sind sie alle, erfasst von der transzendentalen Obdachlosigkeit, der Verlassenheit unseres Zeitalters. Man denkt an andere Bahnhofsfilme wie den unübertroffenen Terminal von John Schlesinger – ein packender Film, ein in Locarno verstecktes Meisterwerk.