Auf das Leben |
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Claude Lanzmann im Gespräch mit Benjamin Murmelstein: Der Letzte der Ungerechten |
Von Dunja Bialas
Eine Filmreihe, in der sich die israelitische Kultusgemeinde artikulieren kann, über ihre Geschichte, Kultur, Religion nachdenkt: Wie ein tiefes Durchatmen nimmt sich das aus, vor dem Hintergrund der aktuellen, brisanten Ereignisse rund um die Ereignisse um Charlie Hebdo, angesichts von Pegida und der weltweiten Artikulation von Ressentiments und Hass gegen andere Weltanschauungen.
Die jüdischen Filmtage, die dieses Jahr zum sechsten Mal stattfinden, wenden sich mit eine feinen Auslese von Filmen, die sich thematisch mit Fragestellungen des Judentums befassen, an das Münchner Publikum. Besonders günstig scheint in diesem Fall, um nicht, wie man so sagt, „im eigenen Saft zu schmoren“, dass von den acht Filmvorstellungen auch ein paar in regulären Kinos abgehalten werden. Zu recht, denn das Programm kann sich neben den inhaltlichen Themestellungen auch cineastisch sehen lassen.
Einer der Meilensteine des Dokumentarfilmschaffens der letzten Jahre wird mit dem letzten Film von Claude Lanzman, Der Letzte der Ungerechten, präsentiert. Lanzmann, bekannt geworden durch seinen bahnbrechenden Dokumentarfilm Shoah hatte im Zuge der Dreharbeiten zu diesem Film auch längere Interviews mit dem Wiener Rabbiner Benjamin Murmelstein geführt. Im Zentrum der konzentrierten Gespräche steht dessen ambivalente Rolle als hochrangiger jüdischer Funktionär während der NS-Zeit und seiner Rolle als »Judenältester« des Ghettos Theresienstadt.
Lanzmann lässt während des fast vierstündigen Films immer wieder zu, dass Murmelstein ihn mit seinen Darstellungen geradezu überrollt. Erst langsam tun sich Erosionen in dessen Worten auf, bis Lanzmann ihm als gleichberechtigter und vor allem auch streitbarer Gesprächspartner gegenübersitzen kann. Der Letzte der Ungerechten ist nicht nur ein Stück spannender Geschichte, sondern bereitet auch intellektuelles und, angesichts der Aufnahmen aus den späten 70er, frühen 80er Jahren, die ein schönes Bildkorn des 35mm-Materials bereithalten, auch filmisch-ästhetisches Vergnügen. (So., 18.01., 12:00 Uhr, Jüdisches Gemeindezentrum)
Den Anwärter auf den Auslandsoscar, Get – Der Prozess der Viviane Amsalem, ist ein spannendes Kammerspiel über ein Phänomen der Gesellschaftsordnung Israels. Dort gibt es weder die zivile Ehe, noch deren Scheidung. Eine Ehe kann nur dann aufgelöst werden, wenn ein religiöses Gericht zustimmt. Das letzte Wort hat dabei jedoch der Ehemann, der damit sogar über dem Richter steht. Ronit Elkabetz, die man als Schauspielerin in einer verführerisch selbstbewussten Rolle aus Die Band von nebenan kennt, hat ein packendes Drama geschaffen, das nun auch regulär im Kino zu sehen ist. (Mo., 19.01., 19:00 Uhr, in Anwesenheit von Rabbiner Steven E. Langnas, Wiederholung am Di., 20.01., 16:20 Uhr, beide Vorstellungen OmU; Monopol)
Hannelore Elsner brilliert in Auf das Leben! als ehemalige Cabaret-Sängerin Ruth Weintraub, die im Zuge einer Zwangsräumung ihrer Wohnung in ein Seniorenheim abgeschoben wird, einen Selbstmordversuch unternimmt und in der Psychiatrie wieder aufwacht. »Als Kind wollten sie mich umbringen, jetzt tun sie alles, damit ich mir nichts antue«, so ihr lakonisch-verzweifelter Kommentar, nur ein Beispiel für den beißenden Witz, der den Film durchzieht. (Di. 20.01., 19:00 Uhr, Jüdisches Gemeindezentrum)
Einen großen historischen Bogen schlägt die Dokumentation Granach der Jüngere, herrlich verballhornend den fast gleichnamigen Renaissance-Maler. »Der Jüngere« meint hier den 83-jährigen deutsch-jüdischen Entertainer Gad Granach, Sohn des aus Galizien stammenden Schauspielers Alexander Granach, der 1922 in Murnaus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens mitgewirkt hatte. Der nach Israel emigrierte Gad Granach kehrte nach über 50 Jahren für den Film nach Hamburg und Berlin zurück und erinnert sich an die Goldene Zeit, die eine rege intellektuelle und künstlerische war: Hermann Hesse, Bertholt Brecht und Heinrich George waren in seinem Elternhaus regelmäßige Gäste. (Do., 22.01., 19:00 Uhr, Jüdisches Gemeindezentrum)
Den Spuren jüdischer Geschichte in München geht der Dokumentarfilm Für die Ewigkeit nach. Er ist eine Begehung des Alten Israelitischen Friedhofs Münchens an der Thalkirchner Straße und zeichnet dessen Werdegang nach, durch die dunklesten Kapitel der Münchner Stadtgeschichte bis zu den heutigen mit Sorgfalt betriebenen Restaurierungen. (So., 01.02., 17:00 Uhr, Jüdisches Gemeindezentrum)
Anschließend empfiehlt sich ein Spaziergang über den Friedhof. Mit einem ganz neuen Blick auf die Stadt.
6. Jüdische Filmtage 14.01.-08.02.2015
Jüdisches Gemeindezentrum, St.-Jakobs-Platz 18