Haus an der Friedhofsmauer – €450, warm |
||
Auf dem Boden noch drei Tropfen Menstruationsblut... |
Von Anna Edelmann & Thomas Willmann
Herzlich willkommen zu unserem Hausbesichtigungs-Termin. Sie haben gut hergefunden, ja? Keine Aussetzer beim Navi? Ach, man hat Ihnen unten im Dorf den Weg gewiesen. Und einen Rosenkranz mitgegeben – da schau an! So zuvorkommend ist man da nicht zu jedem.
Jedenfalls freut micht, dass Sie pünktlich sind zu unserem Stelldichein. Das Paar, das gestern das Anwesen anschauen wollte, ist gar nicht aufgetaucht...
Nun denn! Na, hat die Annonce zuviel versprochen? Man würde
diesem fantastischen Gebäude nicht ansehen, dass sein Grundstein erst vor 30 Jahren gelegt wurde. Also ich zumindest finde, dass auch die modernen An- und Umbauten den pseudo-gotischen Grundgedanken der Architektur durchscheinen lassen.
Die vorläufigen Gerüste bitte ich zu ignorieren – da wird nur ein kleiner Wasserschaden im Foyer behoben. Und der Herr Vermieter lässt sich entschuldigen – er weilt gerade in einem seiner anderen Domizile in Hamburg, oder Berlin...
Wie Sie ja wissen, wird das Haus möbliert vermietet. Und Ihnen ist gewiss schon aufgefallen, dass es sich dabei durchweg um Unikate handelt. Erlauben Sie mir, dass ich bei unserer Führung ein paar Worte darüber verliere, wie sich die Einrichtung ins Ensemble der Räume fügt.
Wenn Sie mir bitte folgen wollen...
Beginnen wir doch im Wohnzimmer. Hier fühlt man sich wohl, hier kommt die ganze Familie zusammen. Entsprechend traditionell ist es gehalten.
Der Blickfänger hier ist ein The Girl with All the Gifts. Sie erkennen selbstverständlich seine Reanimat... äh, Restauration des klassisch-modernen Zombie-Stils. Doch beachten Sie, wie sorgfältig vor allem die Front gearbeitet ist – wie
einem bei der Einlegearbeit der geradezu lebendig wirkenden Figuren die minutiöse, changierende Tiefe der Schichtungen anfunkelt! Und gut, ich gestehe Ihnen zu, dass die Hinterseite weniger filigran, generischer ist – und dass der Hersteller da nicht unbedingt seine Firmenphilosophie so auffällig hätte draufpappen müssen. Aber wenn Sie das gegen die Wand rücken, dass es nicht so ins Auge fällt, dann werden Sie viel Freude an diesem außergewöhnlichen Stück haben.
Aus
italienischen Werkstätten hingegen stammt dieser They Call Me Jeeg Robot – nicht Unzerbrechlich, aber dennoch mit Bestnoten bei der Kundenzufriedenheit bedacht. Vielleicht gerade, weil der ungewöhnliche regionale Firnis einen altbewährten, um nicht zu sagen altbackenen Aufbau Überzieht. Hier das Superhelden-Fach, da die Gangster-Schublade – das
funktioniert alles verlässlich, wie man es erwarten darf. Aber freilich will ich Ihnen nicht verheimlichen, dass der Handwerker die Einzelteile allesamt nach überkommenen Schablonen geschnitzt hat – und manches daran schon noch sehr aus Zeiten stammt, als Vatter immer im Recht war, Mutti kindlich, neurotisch und dienstbar, und wer zwischen diesen Rollen stand, gleich die ganze Gesellschaft bedroht hat.
Ich vermeine, die wichtigsten Sachen hier habe ich Ihnen präsentiert. Wollen wir weiterschreiten? Bitte.
Oh nein, bitte nicht jene Tür! Dahinter verbirgt sich das Badezimmer. Da ist einst etwas sehr... Unerquickliches geschehen.
Dürfte ich Sie nach oben geleiten?
Wenn ich nebenbei bemerken darf... Wie Sie hier durch’s romantisch die Abendsonne einfangende Erker-Fenster sehen – von dem manche behaupten, man könne bei entsprechenden Wetterverhältnissen bis nach Mexiko blicken: Der weitläufige Garten ist von einer beruhigend hohen Mauer eingefasst. Ein wahrer Trumpf gegen unliebsame Nachbarn!
Und auch dort: Das Nützliche paart sich mit dem Ästhetischen. Der Hausherr hat Wert darauf gelegt, dass selbst diese nüchterne
Baumaßnahme eine künstlerische Gestaltung erfährt.
Ich merke schon, Sie bewundern bereits vor allem das linke der beiden Fresken?! Da beweist der Sohn eines berühmten Meisters sein mitgegebenes Talent – es nennt sich »Desierto«, und stellt in gekonnt reduzierter, aber umso existenziellerer Weise dar, wie das wahre Grauen erst da lauert, wo man die Grenze schon überschritten und sich im gelobten Land glaubt. Weil dort die Abwehrreaktion von
Menschen wartet, denen man ähnlich falsche Versprechungen von Freiheit gemacht hat.
Ich gebe allerdings zu, dass dagegen rechterhand die Wandzeichnung Kidnap Capital merklich abfällt. Sie haben durchaus recht, dass da – bei aller ehrenwerter Absicht – der entschiedene Wille zur gesellschafts-, um nicht zu sagen menschensnaturkritischen Aussage doch zu durchschaubare gewollt die Pinselstriche führte.
Wie dem auch sei!
Hier im oberen Stockwerk befindet sich das Elternschlafzimmer. Bei diversen Vormietern haben insbesondere die Damen des Hauses die abgeschiedene Lage des Anwesens und damit verbundene Ruhe sehr zu schätzen gewusst. Sehr liebenswürdige, patente, charakterstarke Damen übrigens – eine Italienerin und eine Iranerin, beide durchaus modern eingestellt, aber wie Sie am atmosphärisch dichten Dekor noch erkennen können, ihrer Heimat und deren Kultur
verbunden.
Oh, aber ich sehe grade, da auf dem Nachtkästchen stehen ja noch Beruhigungstabletten. Die muss eine von ihnen vergessen haben. Entschuldigen Sie vielmals, ich werde die selbstverständlich sofort entfernen – oder hätten Sie gar Verwendung dafür? Nein? Kein Problem.
Ich will ja nicht aus dem Nähkästchen plaudern, aber im Vertrauen gesagt hatten beide Damen doch schon sehr mit wiederkehrenden Albträumen zu kämpfen. Gewiss auch aus mütterlicher Sorge um die
Kinder. Weswegen sie allzeit froh waren um die räumliche Nähe – die Verbindungstür, die Sie dort sehen, führt direkt ins Kinderzimmer.
Wenn ich aber noch einmal auf die Einrichtung zu sprechen kommen darf: Hier ein Under The Shadow-Toilettentisch in persischem Postrevolutions-Stil. Dessen Spiegel bildet auf den ersten Blick sehr getreu ab – aber wenn Sie länger hineinschauen, werden Sie zunehmend phantastische Verzerrungen erkennen. Finde
Sie nicht auch: Ein schönes Stück, in dem morgen- und abendländische Traditionen sich auf wohlüberlegte Weise die Hand reichen.
Und der dicht (wenn auch mit kleinen Makeln) gewebte Deep In The Wood-Überwurf auf dem Bett verleugnet seine Herkunft aus kalten Dolomiten-Regionen nicht. Dort ist man ja gewohnt, manch Schandfleck zuzudecken. Spüren Sie einmal – man würde kaum meinen, dass sich aus solch einer fadenscheinigen Wolle solch eine feine Textur
gewinnen lässt.
Wollen Sie einen kurzen Blick ins Kinderzimmer werfen? Gerne.
Wie Sie sehen – alles sehr hell, freundlich, kindgerecht. Das von selbst wippende Schaukelpferd muss Sie nicht weiter stören.
Einen weiteren Raum auf diesem Stockwerk würde ich Ihnen gerne noch... Nein! Bitte! Nicht diese Tür.
Dahinter verbirgt sich ein weiteres Badezimmer. Wirklich – dazu frühestens, wenn Sie wirklich alle Vorzüge und Annehmlichkeiten des Anwesens kennengelernt haben.
Jene Tür dort, mit dem giftgelben »Keep Out!«-Schild mit den böse grinsenden Totenköpfen, hinter welcher der unangenehme Geruch hervordringt. Da hinein bitte.
Wir befinden uns hier im zweiten Kinderzim... oh, Verzeihung, selbstverständlich: Nicht kinderzimmer. Das ist das Domizil der jungen Herrschaften, da legen sie Wert darauf.
Das hat sich seit Erbauung des Hauses relativ unverändert gehalten. Haben Sie Teenager daheim? Dann dürfte Ihnen das – auch olfaktorisch – ohnehin bekannt vorkommen. Vermeiden Sie, auf die leeren Axe-Spraydosen am Boden zu treten.
Wenn es Sie interessiert: Unter den
obligatorischen Postern von Slipknot und Tarantino scheint eine historische, einst heißgeliebte Cowboy & Indianer-Tapete durch. Die Video-Sammlung dort unter dem Fernseher ist leider etwas einseitig und überschaubar – ich vermag, nebenbei bemerkt, nicht zu sagen, ob die jungen Herrschaften die filmhistorische Allwissenheit ihres Idols ahnen, geschweige teilen, oder daran überhaupt interessiert sind...
Und ich hoffe, es ist Ihnen nicht peinlich, von welcher Art
Publikation da eine etwas klebrige Ecke unter dem Bett hervorlugt. Aber Sie wissen ja vermutlich, wie das ist, wenn die Kleinen erst einmal die Wunder der Körperlichkeit entdecken...
Jene Poster an der anderen Wand? Moment – lassen Sie mich lesen... Happy Birthday? Yoga Hosers? Carnage Park? Antibirth? Nein, das sagt mir auch nichts. Ich glaube, das muss man sich nicht merken.
Dafür habe ich für Sie zum Ende unseres Rundgangs im wahrsten Sinne des Wortes den Höhepunkt aufgespart!
Der Zugang ist nicht ganz so bequem – ich müsste Sie diese Dachbodentreppe hinaufbitten. Ich weiß, das ist etwas eng und steil. Aber dafür werden Sie belohnt.
Na, was sagen Sie? Der Dachboden wurde zu einem Künstleratelier ausgebaut. Und der Hausherr lässt es sich nicht nehmen, auch immer wieder junge Avantgardisten einzuladen, um hier zu arbeiten.
Wir hatten
dieses Jahr zum Beispiel einen Beuys-Jünger zu Gast, dem wir die Fettwand dort zu verdanken haben. Warten Sie, da ist noch die Plakette mit dem Titel des Werks: The Greasy Strangler. Ich gebe zu – eine gewisse körperliche Ekelreaktion ist durchaus beabsichtigt. Und die Ästhetik des Künstlers ist schon sehr speziell – im Schlechten freilich wie im Guten: Wenn man denn einen Zugang zu ihr findet, dann bietet sie eine ganz eigene Weltsicht. Und ehrlich
gesagt: Ich erkenne in all dem scheinbar Ekligen schon eine sehr menschliche Leiblichkeit. Und die figürlichen Aspekte schildern bei aller grotesken Überzeichnung gar nicht unberührend ein Vater-Sohn-Verhältnis.
Von unserem mexikanischen Gast unlängst – einem Otto Muehl-Anhänger – ist leider keine skulpturelle Reliquie mehr vorhanden, da es sich um einen Performance-Künstler handelte. Aber da sind auf dem Boden noch drei Tropfen Menstruationsblut zu sehen, von seinem Oster-Happening We Are the Flesh. Wo – das hätten Sie erleben sollen! – er unseren Dachboden mit
Eierkartons, Gaffa-Tape und nur ein bisserl Pattex in eine Art Ur-Höhle verwandelt hat. Für meinen Geschmack vielleicht etwas symbolbefrachtet – mit gebrochenem Brot, aus dem man (Wein-)Geist destilliert, Wiederauferstehung und kannibalistischem Abendmahl. Aber allemal lustvoll, teils sogar sinnlich, wie er sich den Kopf gegen die Grenzen des Ausdrückbaren haute.
Und lustigerweise – Ihnen kann ich’s ja sagen: Ausgerechnet unsere jungen Herrschaften mit
der abgebrühten, provozierenden Attitüde fühlten sich davon unangenehm berührt, und waren froh, in ihren aseptischen Splatter-Kokon zurückzukehren...
Und wenn Sie mögen: Dort schließlich finden Sie sich noch Auge in Auge mit Standbildern aus der Installation The Eyes of My Mother. Sie erkennen freilich sofort die Reverenz vor Bunuel. Aber auch die erstaunliche Kraft und Schönheit der Bildkomposition.
Was allerdings die Standbilder nicht zu vermitteln wissen: Der noch sehr junge Künstler hat sich offensichtlich Schmerz und
Vergänglichkeit als gewichtiges Thema gewählt – ohne einem das Gefühl zu geben, dass er schon aus eigener Lebenserfahrung davon spräche.
Ich sehe – Sie sind von unserem Atelier ähnlich angetan wie ich.
Mir fällt ein Stein vom Herzen!
Kann es sein? Wenn mich nicht all meine Instinkte trügen, dann ist dies das Haus, auf das Sie gewartet haben; sind Sie die Mieter, auf die dieses Haus gewartet hat!
Dann lassen Sie mich auch das Letzte wagen...
Fühlen Sie sich stark genug? Dann zeige ich Ihnen nun auch das vermalledeite Badezimmer.
Stählen Sie sich. Wie ich bereits sagte: Einst geschah Unglückliches
hier!
Sind Sie bereit? Dann öffne ich nun die Tür.
Oh nein! Stützen Sie Ihren Mann!
Nein, ich kann alles erklären! Das hatte man damals so! Das kann man umgestalten!
Ich weiß, ich weiß! Es sieht grauenerregend aus! Welch geistig umnachtete Perversion!
Schokobraune Fliesen mit avocadofarbener Badewanne und goldenen Amarturen!
The horror! The horror!
Nein, bitte!
Laufen Sie nicht weg!
Aber das Wohnzimmer! Der sichere Garten! Das Atelier!
Bleiben Sie doch bei uns.
Für immer. Und immer. Und immer...