Die Apokalypse als Chance, oder: Boys in the Bubble – auf Visite beim Fantasy Filmfest 2015 |
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Da ist’s passiert: Nicht mehr blasiert! |
Von Anna Edelmann & Thomas Willmann
Wollte man sich auf traditionelle Art und Weise einen Standard-Horrorfilm zusammenschrauben, dann wäre – egal welche Versatzstücke man für die monströse Bedrohung verwendete – das verankernde Element doch stets die letztendliche Rettung eines (heterosexuellen, weißen) Normpaares.
Das Verblüffende am Programm des diesjährigen Fantasy Filmfests war, wie selten diese klassische Konstellation das Gerüst stützte: Deutlich häufiger wurde die Handlung durch
Kinder getragen – und zwar nicht in der gewohnten Variante der besessenen, mordenden Gruselgestalten – oder durch einsame Jugendliche – aber nicht das handelsübliche Slasherfilm-Schlachtvieh. Vielmehr erlebte man Filme, die in Genre-Einkleidung wirklich etwas über das Kind- und Teenagersein zu erzählen versuchten.
Am auffallendsten aber war, wie oft im Mittelpunkt der Filme eine Eltern-Kind-Beziehung stand. Zwar in den unterschiedlichsten Varianten –
aber allesamt komplexer als die standardisierten Webmuster: Ob in Un illustre inconnu ein Mann ohne Eigenschaften, der sich als Verkleidungskünstler das Aussehen und Leben anderer Menschen aneignet, schliesslich seine Wahl-Identität in der Vaterrolle findet, die ein anderer bewusst aus seinem Leben verbannt hat. Oder ob in Nina Forever – einer überzeugenden, blutigen Allegorie darauf, wie frühere Beziehungen durch eine junge
Partnerschaft spuken – die Eltern eines verunglückten Mädchens deren Freund zu ihrem Ersatz-Kind machen.
Das begann mit beklemmenden Phantasien über die Schwangerschaft: In Bruce McDonald’s Hellions noch gewandet in Abziehbild-Horror, mit grusligen Kindern in bizarrer Halloween-Kostümierung. Aber das in voller Absicht – denn es geht in dem Film genau um den ikonographischen Vorrat, aus dem sich unsere Ängste bedienen. Hellions handelt von der Panik vor einer Schwangerschaft – ausgerechnet an Halloween erfährt eine Kleinstadt-Teenagerin, dass sie ein Kind erwartet. Und im ganzen Ort umgeben von dem üblichen Schauer-Nippes, abends allein im Haus, den Fernseher mit seinem Gruselfilm-Programm als Gesellschaft, manifestiert sich ihre Angst vor dem, was mit, in ihrem Körper geschieht, und was das für ihr Leben heißt, in einer äußeren Bedrohung, die zunächst ganz genrehaft auftritt – bis der Film sich schliesslich in seiner Textur immer mehr abstrahiert, immer mehr der repetetiven Unwirklichkeit eines puren Albtraum annähert.
H. (der wenig googlefreundliche Filmtitel besteht tatsächlich nur aus einem Buchstaben und einem Punkt) stand hingegen grundsätzlich weniger in einer Genre-Genealogie, als in der Tradition von Surrealismus und Magischem Realismus. Der Film von Rania Attieh und Daniel Garcia war eine begrüßenswert mutige Programmentscheidung des Fantasy Filmfests – schon im Rahmen des Berlinale-Forums zu sehen, das sich ja der experimentellen und
avantgardistischen Filmkunst verschrieben hat, ragte H. merklich über die angestammte Definition des Festivals hinaus, was denn »Phantastisches Kino« sei.
In vier Abschnitten erzählt, handelt H. von zwei »Helenas aus Troja«, bzw. zwei Helens aus Troy, New Jersey – beide auf ihre Weise mit dem Scheitern eines Kinderwunschs konfrontiert. Die eine, ältere, verwendet ihren in einer kinderlosen und anscheinend zwar nicht unliebevollen, aber nicht übertrieben
kommunikativen Ehe angestauten Drang zur Fürsorge auf das Basteln und Pflegen hyperrealistischer Baby-Puppen. Die andere, jüngere, erhält die schockierende Diagnose, dass sie nicht wie erwartet Mutter wird, sondern lediglich eine Scheinschwangerschaft hatte. Der Film schildert das sehr ruhig, wortkarg, elliptisch – doch trotz seiner symbolträchtigen Einsprengsel (wie der riesige Steinkopf einer Helena-Statue, der auf dem örtlichen Fluss entlangtreibt) hat er eine
menschliche Wahrhaftigkeit, eine intensive, intime Emotionalität.
Sein dem Genre-Film verwandteste Element ist das unerklärliche, übernatürliche Ereignis, das zahlreiche Bewohner des Orts befällt; das sie dazu treibt, stundenlang reglos vor Wänden zu stehen, sich auf einem verschneiten Feld zu versammeln, in komatösen Schlaf zu versinken.
Für die beiden Protagonistinnen des Films wirkt dieser Riss in der gewohnten Realität, in der Ordnung der Gemeinschaft allerdings
nur anfangs bedrohlich. Am Ende entpuppt er sich vielmehr als ihre Möglichkeit, ihre aufgegebenen Träume, unerfüllten Begehren auf seltsamen, verschobenen Umwegen doch noch zu verwirklichen. Was in H. die Zivilisation zerstören könnte, zu einer Neudefinition ihrer Grundlagen zwingen, das ist für gewisse Individuen die Chance auf Neubeginn, auf eine Art Wiedergeburt nach eigener Wahl.
Cop Car dagegen war ein Coming of Age-Film, in dem die kindlichen Protagonisten sich selbst paradoxerweise in der allerersten Szene am erwachsensten vorkommen: Die beiden geschätzt zehnjährigen Freunde streichen über die Felder ihres ländlichen Heimatorts und testen aus, wie sich die verbotensten Schimpfwörter anfühlen, wenn man sie aus dem eigenen Mund in die Welt hinaus schubst.
Dann finden sie ein scheinbar verlassenes Polizeiauto – und
treiben ihre Mutproben mit dem Fundstück so weit, dass sie schließlich ihr »Wir laufen fei von daheim weg!«-Spiel motorisiert fortsetzen. Haben aber das Pech, dass ihr uniformierter Verfolger (Kevin Bacon) sein Gefährt dringend zurück haben möchte, ohne dass dabei ans Licht kommt, was er an illegaler Nebentätigkeit betreibt.
Wo andere Filme aus den Protagonisten coole, clevere, scheinerwachsene »Kevins zu zweit unterwegs« gemacht hätten, belässt Cop Car
ihnen ihren authentisch kindlichen Horizont.
Die Spannung des Films kommt nicht daher, dass man darauf wartet, wie die Buben den Bösewicht trickreich überlisten – sondern aus dem klassischen Suspense-Prinzip eines Informationsvorsprungs des Publikums. Nur dass es nicht ein spezifisches Wissens-Detail ist, das den Protagonisten fehlt – sondern ihre ganze Weltsicht als Kinder noch ein generelles Defizit hat an Lebenserfahrung und Menschenkenntnis.
Am
schönsten illustriert dies die Szene, in der die beiden Jungs neugierig die Waffen ausprobieren wollen, die sie in dem Polizeiauto finden. Sie funktioniert wie ein Gegenstück zu der vom Meister selbst inszenierten Alfred Hitchcock presents-Folge Bang! You're Dead, in der ebenfalls ein Bub spielerisch mit einer scharfen Waffe unterwegs ist – nur mit dem Unterschied, dass er überzeugt ist, mit einer Spielzeugpistole zu
hantieren. Während die Helden aus Cop Car das Publikum zusammenzucken lassen, obwohl sie ein Bewusstsein dafür haben, dass von den Waffen in ihren Händen eine Gefahr ausgeht – aber ihre naive Vorstellung völlig unterschätzt, wie groß und unkontrollierbar diese Gefahr ist, und ihr Verständnis von der eigenen Sterblichkeit noch ein rein theoretisches, unwirkliches ist.
Die Jungs in Cop Car – die nicht wegen
irgendwelcher traumatischer Vorfälle daheim ausreißen müssen, sondern sich einfach einen Nachmittag lang der Kinderphantasie hingeben, dass sie sich als Freunde alleine durch die Welt schlagen – machen jene Fehler, die Kinder machen; begreifen Situationen nicht korrekt; kennen Verhaltensmuster von Erwachsenen nicht. Und selbst wenn sie begreifen, dass sie der klassischen Autoritätsfigur nicht ihr Vertrauen schenken dürfen, verstehen sie nicht, dass es Grauzonen gibt, und
dass ein Bösewicht nicht zwangsweise als Gegenspieler einen good guy mitbringt – was sich als ihre fatalste Fehleinschätzung entpuppt.
Und selbst am Ende wächst der Zögerlichere von beiden nicht groß über sich hinaus – sondern findet aus der Dringlichkeit der Situation heraus einen Ticken mehr Traute: Es ist wohl der Moment, wo er sich am verlorensten, hilflosesten, alleingelassensten fühlt – und wo er am erwachsensten handelt. Cop
Car zeigt, dass nicht jeder Moment des Erwachsenwerdens gleich das Ende der Kindheit bedeutet.
Mit The Visit hat sich M. Night Shyamalan selbst eine künstlerische Verjüngungskur, ein Zurück-zu-den-Anfängen verordnet: Ein auf eigene Faust finanziertes Wunschprojekt, bei dem seine Kreativität nicht durch Studioauflagen eingeschränkt, dafür aber durch selbst gesetzte Grenzen herausgefordert wurde; gedreht mit nur einer Handvoll Darsteller und fast ausschliesslich in
einem einzigen Haus.
Außerdem unterwirft er seine stilistischen Prätentionen hier dem Found Footage-Prinzip: Da es sich vorgeblich um eine von einer der Hauptfiguren selbst gedrehte Doku handelt, muss Shyamalan seine gewohnt bewusste Kadrierung stets in der erzählten Welt plausibel motivieren.
Freilich bleibt er seinem Markenzeichen treu – auch The Visit läuft auf eine
überraschende Wendung hinaus. Aber er hat dazugelernt im Umgang mit falschen Fährten – und lässt sogar mit selbstironischer Distanz die Charaktere Spott treiben mit dem Rätselraten des Publikums, und den Befürchtungen, zu welchen an den sich sträubenden Haaren herbeigezogenen Absurditäten ihn das verzweifelte Bemühen um Unvorhersehbarkeit getrieben haben könnte.
Aber es gibt eine Ebene des Films, die jenseits des Twists und der Genre-Versatzstücke funktioniert.
Das ist nichts ganz Ungewöhnliches für Shyamalan – mehr oder minder gelungen hat er sich darum in fast allen seiner Filme bemüht. Nur wird der Kampf um Erhalt oder Reetablierung einer Familie in The Visit offensichtlicher, weil man weniger durch übernatürliches Brimborium abgelenkt wird.
In gewisser Hinsicht ist The Visit mehr ein Märchen- als ein Horrorfilm: In seinem Mittelpunkt steht ein Brüderchen-und-Schwesterchen-Paar, das zum ersten Mal die Großeltern besucht, zu denen die Mutter vor Jahren wegen eines nebulösen Zwischenfalls jeden Kontakt abgebrochen hat. Wie im Märchen sind die Kinder dort im einsamen Haus am Waldrand, bei der Oma mit dem verführerischen Zucker-Backwerk aus dem überraschend geräumigen Ofen, auf sich allein
gestellt.
Allerdings sind sie – ähnlich der Kinder in Cop Car – nicht von einer Rabenmutter vertrieben oder verstoßen. Sie hoffen, in Gestalt der Großeltern eine Art emotionalen Ersatz für den abwesenden Vater zu finden. Und zugleich versucht die ältere Schwester, für die Mutter die Geister der Vergangenheit auszutreiben – versucht, auch mittels ihrer Kamera das Medium zu sein, das den Kontakt wieder herstellt und jene Vergebung vermittelt,
welche Furcht und falscher Stolz nicht erbitten wollten, obwohl zwischen Großeltern und Mutter nie echter Hass geherrscht hat.
Für den Erfolg oder Misserfolg dieses Vorhabens ist es im Endeffekt nicht entscheidend, ob die Dinge so sind, wie sie scheinen: Das einst Geschehene wird ohnehin nie wieder ungeschehen sein – und dass man versäumt hat, gewisse Dinge auszusprechen, heißt nicht, dass sie nie da waren.
Wie oft bei Shyamalan hat sich Familie (oder Gemeinschaft) nicht
über die Deckungsgleichheit mit einer idealisierten Schablone zu definieren: Es geht um den Zusammenhalt der vorhandenen Glieder, und nicht um jene, die aus der Kette gerissen wurden.
Die Teenager-Zeit ist eine der Entfremdung, der »Alienation« – und die Manga-Verfilmung Parasyte: Part 1 übersetzt das sehr unmittelbar in Bilder: Außerirdische Parasiten landen auf der Erde, übernehmen die Körper zahlreicher Menschen – nur der junge Shinichi kann seinen Invasor noch im Ansatz aufhalten und mit ihm einen bizarren Waffenstillstand erringen. Das Parasitenwesen begnügt sich mit der Kontrolle über Shinichis rechte Hand –
der ein Auge, Mund und selbst kleine Hände wachsen. So fernsehmäßig uninspiriert außer diesem CGI-Effekt fast alles an Parasyte: Part 1 ist, so bemüht ist er doch, halbwegs humorvoll und bewusst von einem Lebensabschnitt zu handeln, in dem einem der eigene Körper wie die Welt der Autoritätspersonen wirklich vorkommen können, als seien sie plötzlich von Außerirdischen gekapert.
Der jugendliche Held von Deathgasm hingegen fühlt sich
auch ohne Aliens fremd genug in seinem Körper und seinem Leben. Er findet Zuflucht im inszenierten Außenseitertum des Metal-Adepten. Aber in dieser charmanten, unterhaltsamen Wiederauferstehung des Neuseeland-Splatters liegt das Heil nicht ausschließlich in der Pose des Rebellen: Auch unter im Alleinsein Verbündeten gibt es falsche Freunde. Und mit Corpsepaint an einem sonnigen Tag auf einer Parkbank mit der Cheerleaderin ein Vanilleeis zu schlecken kann seinen unerwarteten
Reiz haben.
Eine andere Art der zarten Annäherung gab es in Maggie:
Sie haben sich seit längerem nicht gesehen, sie wurden von den Eltern voneinander ferngehalten, und nun haben sie endlich einmal wieder einen Moment für sich. Um sich zu erzählen, was im Leben so passiert ist – und um sich einzugestehen, dass sie sich vermisst haben. Leicht scheu ist der Kuss, der zwischen ihnen folgt, obwohl es nicht ihr erster ist.
Es ist ein erstaunlich unbeschwerter Kuss
– dafür, dass beide wissen, dass es wohl ihr Abschiedskuss bleiben wird.
Denn die Titelheldin von Maggie und ihr Schwarm sind beide unheilbar infiziert, ihre allmähliche Verwandlung hat bereits begonnen: Maggie ist ein ruhiges Familiendrama vor dem Hintergrund einer Zombie-Epidemie – in einer Welt, in der der Horror akzeptiert und bürokratisiert ist.
Der Kuss ist leider aber auch der fast einzige etwas
unbeschwertere Moment in einem Film, der einem in großer Gleichförmigkeit mit jeder Note bewusst machen will, wie trost- und auswegslos alles ist. Gerade dadurch jedoch fehlt eine Folie, vor der die Tragik wirklich greifbar wird; fehlt ein emotionales Anknüpfen an jenen schönen Momenten, die verloren gehen.
Maggie ist ein Film über das Loslassen. Und er hätte die Ansätze zu einem Film über das universellere Thema der Vergänglichkeit. Aber nicht nur
entscheidet er sich, Maggies Vater (Arnold Schwarzenegger, der erstmals körperliche Spuren der Zeit offen zeigen darf) zum eigentlichen Protagonisten, sein Dilemma zum zentralen Konflikt zu machen. Sondern er bricht das Thema fast krampfhaft bei sämtlichen Figuren durch das Prisma der Eltern-Kind-Konstellation. Weshalb sich der Verdacht aufdrängt, dass es womöglich unterschwellig doch lediglich um den »Verlust« der Sprösslinge durch die Pubertät geht.
Auch Strangerland ist ein Film über die Fährnisse des Teenager-Daseins, der nicht die Perspektive der Jugendlichen absolut setzent, sondern dem Blickwinkel der Erwachsenen gleiches Recht, gleiche Geltung gibt.
Strangerland flirtet mit Zeichen und Mechanismen eines Mystery-Thrillers, verführt einen zu einer in den Plot investierenden Sicht – und erst wenn man erfahren hat, wie konsequent kryptisch er am Ende bleibt, wird
einem rückblickend wirklich bewusst, wie präzise, fein und vielschichtig er in Wahrheit als symbolträchtige Charakterstudie gearbeitet ist. Und wie sehr er auch da über Bande spielt: Recht früh begreift man, dass der Schlüssel zum nächtlichen Verschwinden der Teenagerin Lily und ihres kleinen Bruders dort zu finden ist, wo auch die Gründe liegen, warum die zu einer sehr offensiven, selbstbestimmten Sexualität erwachende junge Frau es in dem australischen Kaff bei ihrer Familie
immer weniger aushält. Doch erst allmählich enthüllt sich, wie sehr ihr Drama das der Mutter (Nicole Kidman) spiegelt und wiederholt, die sich selbst in der Ehe mit einem deutlich konservativeren Mann kasteit.
Bernard Roses Frankenstein wiederum war ein unerwartet ernster Film über eine Menschwerdung, und insofern auch übers Kind- und Teenagersein – und die Beziehung zu den Eltern, respektive Schöpfern.
Roses Karriere schien ihn nach dem brillanten Genre-Start mit Paperhouse und Candyman geradewegs in die respektabelste Riege britischer
Regisseure zu führen, mit Immortal Beloved und Chicago Joe and the Showgirl. Und dann lief irgendwas schief, und zuletzt war er gar verdammt, David Garrett als Paganini zu inszenieren. Mag sein, dass Rose nach dem Debakel beschloss, dass er nichts mehr zu verlieren hat – sein Frankenstein jedenfalls schert sich nicht um ein sichtlich minimales
Budget, bzw. nutzt es als Chance: Statt auf die behelfsmäßige Ausstattung konzentriert er sich auf Gesichter, und sucht sein Heil in der puren Intensität vor allem Xavier Samuels in der Rolle der Kreatur.
Er versetzt Mary Shelleys Roman in ein heutiges, heruntergekommenes L.A., bleibt verblüffend nah am Text (den er immer wieder originalgetreu als Voice Over nutzt). Freilich gibt es dann immer auch wieder misslungene Szene wie jene mit einem klischeehaften,
schmierenkomödiantisch gespielten prügelfreudigen Polizisten. Aber Rose findet eine sehr persönlich wirkende Dringlichkeit in dem Leiden der ausgestoßenen Kreatur (die hier aus dem 3D-Drucker eines Biotech-Labors stammt), ihrem Ringen um Identität, um menschliche Nähe, um Anerkennung.
Und letztlich steht auch im Zentrum dieses Films die Auseinandersetzung eines »Kindes« – der Kreatur – mit seinen Eltern. Anders als bei Shelley jedoch sucht das Monster nicht die
Konfrontation mit dem (Über-)Vater – sondern die Liebe einer (Ersatz-)Mutter.
Das war ein ganz anderes Kaliber als Poseso, eine leidlich amüsante, an etwas schleppendem Timing leidende Knet-Animations-Parodie auf The Exorcist, The Omen und Konsorten. Das besessene Kind bekommt dabei auch nicht mehr Dimensionen als die eines Damian/Regan-Cartoons. Wo der
baskische Film hingegen persönlichere Aspekte entdeckt an Elementen der Vorlage, ist im Verhältnis des exorzierenden Priesters zu seiner vernachlässigten Mutter im Altersheim: Die ist militante Ex-Kommunistin und Anti-Franco-Kämpferin – und entsprechend verzweifelt, dass ihr Bub sein Leben ausgerechnet der Kirche verschrieben hat.
Interessant ist, wie brav sich der Film – bei allen Seitenhieben gegen Verfehlungen der Amtskirche, und ein Kruzifix-Maschinengewehr
unbenommen – letztlich auf die Seite der katholischen Weltsicht schlägt, und wie sehr ihm die revolutionäre Alte zur puren Witzfigur gerät. Da wirkt wohl unterschwellig auch manches an authentischem Generationskonflikt im heutigen Spanien hinein.
Die freilich schönste Entdeckung beim Fantasy Filmfest 2015 war Turbo Kid – in dessen Zentrum tatsächlich ausnahmsweise einmal eine Zweierbeziehung stand. Aber eigentlich ging es auch da um das Verhältnis von Erwachsen- zu Kindsein, wenngleich auf anderer Ebene.
Das mittels Crowdfunding entstandene Langfilmdebüt des kanadischen
Filmemacher-Kollektivs Roadkill Superstar spielt nach der Apokalypse – im fernen, futuristischen Zukunftsjahr 1997. Es ist die Vorstellungswelt der Science Fiction-Filme und -Videospiele der 1980er – die Welt von Mad Max, Cherry 2000, Fallout und dem Nintendo Powerglove. Die Welt einer ‘80er-Jahre-Kindheit mit BMX-Radln,
View-Master und regenbogenfarbenen Knieschonern.
TURBO KID nutzt auf mehrfache Weise die Apokalypse als Chance: Die Filmemacher konnten sie möblieren mit einer Anhäufung von liebgewonnen und wiederentdeckten Relikten aus ihrer Kindheit (und dabei vermutlich ihre gesamten Speicher und Keller leeren), konnten sich zurückversetzen in diese Welt, das damalige Lebensgefühl wiederbeleben. Es ist, als könnten sie nicht nur noch einmal Kind sein, sondern die Kindheit noch einmal
besser nachholen, mit all den Dingen, die sie sich jetzt einbilden, damals versäumt zu haben: Als würden sie nun das Baumhaus bauen und ausgestalten, das ihnen als Kindern nicht vergönnt war.
Zugleich aber erlaubt das Weltende dem jugendlichen, nur »The Boy« genannten Helden von Turbo Kid, sich in seiner unterirdischen Bunker-Zuflucht eine von
anderen Überlebenden und von Verpflichtungen und Zeit abgeschottete Blase zu schaffen. In der er sich seine kindlichen Werte bewahrt und auf eigene Weise, in eigenem Tempo erwachsen werden kann.
Doch aus dieser Boycave lockt ihn halb, zerrt ihn halb die hyperanimierte Apple, deren Anhänglichkeit und Enthusiasmus selbst die wenigen postapokalyptischen Sozialkonventionen sprengen. Als er versucht, sie auf Abstand zu halten, stellt sie nur, sich erst recht näher drängend,
fest: »Your manly bubble is really comfortable!«
Was Apple ebenfalls abgeht, ist jegliches Bewusstsein für Vergänglichkeit. Ihr bedeutet diese nicht mehr als das Verflackern von ein paar Videospiel-Lebensherzchen. Aber durch sie lernt der jugendliche Einsiedler in seiner dem Lauf der Zeit enthobenen Welt, zu fühlen und zu begreifen, was Vergänglichkeit ist. Und dass, egal wie gerne man in der Kindheit verharren würde, man unausweichlich mit dem Erwachsenwerden konfrontiert
wird.