»Fantasy Filmfest Beasts and Where To Find Them« |
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Bartosz M. Kowalskis Playground: Haneke ohne belehrende Besserwisserei |
Von Anna Edelmann & Thomas Willmann
Das Horrorkino handelt ja nicht selten von der Bestie im Menschen.
Ohne mit diesem Trend zu brechen, waren im diesjährigen Fantasy Filmfest-Jahrgang aber auch erstaunlich oft die Bestien neben dem Menschen zu sehen. Genug, uns zu einer kleinen Filmtierrundschau zu veranlassen.
Sicilian Ghost Story
Der Schmetterling flattert, frei wie die Seele, gen Meer – und die Kamera schwebt ihm hinterher auf seinem Flug. Hach, könnte der an seinen irdischen Leib gebundene und von Camorra-Kidnappern in einen Kofferraum gesperrte Giuseppe ihm nur folgen! Doch ihm bleibt nur der ferne Duft der See – und die kitschige, poetisierende Hoffnung, die der Film glaubt, seinem Schicksal abtrotzen zu können.
Nun ist Sicilian Ghost Story nicht The Lovely Bones – seine Bilder haben eine gewisse Herbstkühle, der Tonfall ist selbst in emotional aufgeladenen Momenten ruhig, der Soundtrack von Soap & Skin weit von Rührseligkeit entfernt.
Man kann sich durchaus einlullen lassen von Fabio Grassadonia & Antonio Piazzas Film. Mehr als Entführungs-, mehr als Mafia-Drama,
mehr als Spukgeschichte ist er vor allem eine Teenager-Romanze. In deren Mittelpunkt die Liebe steht von Luna zu Giuseppe – gerade zum ersten, keuschen Kuss gediehen, doch von blinder Treue, Selbstüberzeugtheit von ihrer Größe und Ewigkeit, selbst als von Giuseppe schon seit Monaten jede Spur fehlt.
Doch spätestens wenn der Film dem Jungen auf einer Art Wunschebene eine tröstliche Erlösung angedeihen lässt; spätestens wenn das Mädchen sich um ihrem Leben ein Ende zu setzen in
den Keller zurückzieht, unter dem verständnisvollen Blick des dort in der Dunkelheit hausenden Käuzchens – ihrem spirit animal – und ihrerseits übernatürliche Rettung erfährt – spätestens dann sollte einem die Romantisierung von grausamem Kindermord und Suizid übel aufstoßen.
Wie verklärend, versöhnlich, frei von jedem Rückstand an Schmerz das inszeniert ist, kippt dann gänzlich ins Respektlose, wenn einem Sicilian Ghost Story nach seinem Ende noch Betroffenheit abpressen will mittels einer Widmung an das junge Opfer eines realen Falles, das in den 1990ern von der Mafia entführt, über zwei Jahre gefangen gehalten, erdrosselt und in Säure aufgelöst wurde. So poetisch!
KUSO
Mr. Quiggle ist ein Wurminsekt, das im Anus eines selbsternannten Therapeuten lebt – ein Facehugger, bloß im Arsch; ein Anti-Tingler im After – ein hilfreicher Parasit, der sich all jenen zeigt, die vermögen, ihn mit einem improvisierten Ständchen hervorzulocken. Auf dass er diese Patienten von ihren Ängsten und Phobien – z.B. der tiefsitzenden Furcht vor weiblichen Brüsten – befreie.
Mr. Quiggle ist
bei weitem nicht das Seltsamste, Verhaltenskreativste an Steven »Flying Lotus« Ellisons Filmdebut.
Adult Swim’s »Eraserhead«, Shinya Tsukamotos »Kentucky Fried Movie«, John Waters' »Naked Lunch«, Melvin van Peebles »Institut Benjamenta« – so in etwa.
Corpus sane insane in the membrane.
»Do not be afraid of feces.«: Wer sich auf KUSO einlässt, findet sich unerwarteterweise womöglich selbst von manch Ekel vor der Körperlichkeit
therapiert.
Playground
Der hagere Hund, dem einer der beiden Jungen in Playground eine Tüte Fleisch frisch vom Metzger knapp außerhalb der Reichweite vor die Schnauze stellt, ist das erste Opfer einer mutwilligen, ziellosen, fast desinteressierten Bösartigkeit.
Der polnische Film begleitet die Eskalation dieses letzten Schultags von Szymek und Czarek reduziert, naturalistisch, mit einer nüchternen
Unausweichlichkeit. Von einer einzigen theatralischen, gekünstelten Zeitlupen-Szene abgesehen, in der die Buben – nachdem sie eine Klassenkameradin auf eine die eigene, erste Sexualität austestende Weise erniedrigt haben – sich von allen Erwachsenen am Wegrand vorwurfsvoll angegafft fühlen, könnte Bartosz M. Kowalskis Playground eine Art Haneke-Film ohne die belehrende Besserwisserei sein.
Doch gerade die minimalistische
Inszenierung lässt einen wie mit der Lupe nach jedem Erklärungsversuch Ausschau halten; was lediglich Symptom, Begleiterscheinung, paralleles Detail sein mag, scheint da als Ursache angeboten. Ähnlich wie in Gus van Sants Elephant bekommen so etwa die Videospiele, die freilich Teil der Lebenswirklichkeit der meisten Jugendlichen sind, die Rolle eines Verderbers, eines Vernichters von
Mitgefühl.
Und so hat es auch einen Unterton von Schuldzuweisung, wenn die Jungen nach einer Ersatzbefriedigung suchen müssen, ausgerechnet weil der Gameshop im Einkaufszentrum geschlossen hat. Es scheint eine Konsequenz darin zu liegen, dass diese Enttäuschung den zufälligen Mord an einem aus der Mall gelotsten Kleinkind nach sich zieht.
Die Mordszene – aus der Distanz gefilmt, minutenlang ohne Schnitt vom anfänglich gefühllos neugierigen Spiel mit dem Kind wie mit
einer Puppe bis zum bitteren Ende alles zeigend – ist als filmemacherisches Aushängeschild, als schockierendes Alleinstellungsmerkmal gesetzt. Und was sie einem immerhin nahebringt, auch oder grade wenn sie einen erstaunlich kalt lässt, das ist die Banalität, Beiläufigkeit, ja Langeweile des Vorgangs.
Jene Szene aber, die einen emotional wirklich von links erwischt, die einen in einer unvorhersehbaren Entladung das angestaute Gemisch von Frust, Hass, Ohnmacht
zutiefst spüren lässt – das ist ein vermeintlich kleiner Moment ganz früh im Film. Szymek kümmert sich routiniert fürsorglich um seinen bettlägrigen, behinderten Vater, bringt ihn vom Bett auf die Toilette und zurück. Es ist nicht fraglich, dass die beiden sich lieben – aber ebenso klar ist, wie überfordert Szymek von der Situation ist, wie sehr der Vater das weißt, auch wünscht, dass es anders wäre. Und beide keine Chance auf einen einfachen Ausweg haben.
Und plötzlich,
kaum ist der Vater wieder sicher im Bett, schlägt Szymek heftig auf ihn ein. Und der Vater, hörbar leidend, lässt ihn wehrlos und verständnisvoll gewähren.
Keine der größeren Grausamkeiten später im Film hat solch einen Nachhall.
Jungle
Die Feuerameisen sind bei weitem nicht die einzigen Tiere im Jungle – dessen Titel Programm ist, und hält, was er verspricht. Das Bingo-Kärtlein zum Genre »Dschungelfilm« bekäme man allemal voll; es fehlen eigentlich nur die Kannibalen, dafür gibt es aber immerhin einen netten, kleinen (und tierfreundlichen) Zwinkerer Richtung Cannibal Holocaust.
Bei aller Vertrautheit der
einzelnen Elemente ist Greg McLeans Überlebens-Drama, nach den realen Erlebnissen Yossi Ginsberghs im Südamerika der 1980er, insgesamt überraschend packend – was nicht zuletzt auch daran liegt, dass Daniel Radcliffe mittlerweile offenbar vollends in der masochistischen Phase seines Schaffens angelangt ist und einen Heidenspaß daran zu haben scheint, seinen Leib für die Leinwand schinden zu lassen.
Aber apropos »Heiden«: Mit den Feuerameisen eben hat es eine besondere,
seltsame Bewandtnis. Ihnen begegnet Ginsbergh/Radcliffe zum ersten Mal recht früh im Film. Da beißt ihn ein einzelnes Exemplar, was er bereits als reichlich schmerzhaft empfindet. Der zwielichtige Führer jedoch, den er und seine Freunde zur Dschungeldurchquerung angeheurt haben (Thomas Kretschmann, ausgerechnet – aber gut), der erzählt, dass einst die Missionare bockige Eingeborene an Pfähle voller solcher aggressiver Krabbeltiere gebunden hätten. Und da hätten die
Unbekehrten dann sehr schnell den Glauben an »Baby Jesus« gefunden.
Das scheint bloß eine Randepisode. Dann: Dschungel, Dschungel, Dschungel. Unglückliche Dinge passieren. Der Survival-unerfahrene Ginsbergh findet sich zwei Wochen allein auf sich gestellt im Urwald. Blöd.
Ginsbergh, muss man wissen, hat seinen Südamerika-Backpacker-Trip aber nicht zuletzt angetreten, um seiner Familie in Israel zu entfleuchen. Eine Familie, ein Israel, welche in Rückblenden weniger wie die
1970/80er anmuten, als alte »Bilder aus dem Shtetl«. Immer im Gepäck hat Yossi ein hebräisch-kabbalistisches Büchlein, welches der lebenslange Glücksbringer seines Onkels in allen noch so bedrohlichen Situationen war.
Wie gesagt: Dschungel, Dschungel, Dschungel – Ginsbergh ist immer ausgezehrter, verirrter, ramponierter. Und landet schließlich in einem treibsandartigen Schlammloch. Grad kann er sich noch rausziehen – zurück im Matsch bleibt, sehr dramatisch
inszeniert, das hebräische Büchlein, dies letzte Bindeglied zu seiner jüdischen Familie. Und was steht dann vor Yossi? Ein pfahlähnlicher Baumstamm voll und voller... jawoll, Feuerameisen! Yossi umarmt den Wuselstecken, lässt sich beißen, beißen, beißen. Auf Handlungsebene freilich, um sich durch den Adrenalinschub noch einmal wachzureißen – aber der Film zitiert nochmal explizit den ersten Biss, als wolle er deutlich daran erinnern, was damals dazu gesagt wurde.
Und oh
Wunder: Nun endlich findet Yossi den Weg zum rettenden Fluss! Sitzt am Ufer, blickt in den arg transzendent-göttlich inszenierten Sternenhimmel auf, ein Seelen-Schmetterling (hallo, Sicilian Ghost Story) flatter durchs Bild. Und Yossi breitet die Arme, in Kreuzigungspose.
Schließlich gefunden und ins nächste Dorf gebracht, hockt Ginsbergh im letzten Bild des Films da, die Dorfbewohner (in Südamerika freilich: katholisch) bestaunen ihn. Und eine alte
Frau macht das Kreuzzeichen über ihm, und dankt, im letzten Satz des Films, dem HERRN für die wundersame Rettung.
Jetzt: Wenn das, in diesem ansonsten ja sehr erquicklichen Film, nicht nahelegen soll, dass Yossi Ginsberghs Erlösung symbolisch über die Konvertierung vom Juden- zum Christentum führte – was, bitte, meint es dann?
Marlina the Murderer in Four Acts
Die zwei Pferde müssen unbedingt mit – es gibt Prioritäten. Wenn die nicht rechtzeitig als Mitgift ankommen, dann platzt die ganze Hochzeit. Da hat die Mutter des Bräutigams in spe jenen schmerzbefreiten Pragmatismus, den die Frauen in diesem indonesischen Landstrich sich offenbar alle früh aneignen müssen.
Da ist es
erstmal nebensächlich, dass eine Mitreisende des Überland-Linienbusses als Handgepäck einen abgeschlagenen Kopf bei sich baumeln hat.
Diese Mitreisende, das ist die Titelheldin dieses feministischen Westerns von Mouly Surya. Der Kopf aber gehörte zuvor dem Capo der Banditenbande, die die verwitwete Marlina (Marsha Timothy) auf ihrem entlegenen Kleinstbauernhof heimsuchten. Der Film erzählt den Ablauf des Überfalls so auswegslos wie verblüffend unaufgeregt; in fast
schelmisch präzisen Tableaus; mit einem trockenen Witz, der sich durch den ganzen Film zieht.
Die sieben Banditen kündigen an, Marlinas Vieh zu stehlen, bekocht werden zu wollen, und – wenn dann noch Zeit bleibt – sie nacheinander zu vergewaltigen. Bis auf den Chef kann sie alle vergiften. Ihn enthauptet sie während des erzwungenen Akts.
Ihre be-hauptete Fahrt ins nächste Städtchen tritt sie an, um sowohl den Überfall als auch ihre Notwehr ordnungsbewusst bei der
Polizei anzuzeigen.
Ausgerechnet dieser Versuch aber, im Rahmen des Gesetzes zu bleiben, macht Marlina wirklich zum Outlaw. Die Formularfragen der halbbeflissenen Beamten drängeln in Richtung eines falschen Eindrucks des Geschehenen. Was vorher auf der Leinwand für alle völlig evident war, bekommt auf dem Papier plötzlich einen das Opfer anklagenden Einschlag. Hat sie sich zu vorschnell, bereitwillig in das ohne offene Waffengewalt aufgenötigte Schicksal gefügt? Und da die
Mühlen des Gesetzes zudem sehr langsam mahlen, bleibt Marlina nichts anderes übrig, als sich halt auch den verbliebenen Resten der Bande selbst zu entledigen.
Marlina the Murderer in Four Acts ist ein Rachewestern, keine Frage, und durchaus ein blutiger – und was Breitwand-Bildsprache, Musikeinsatz betrifft dazu noch auf seine ganz eigene, indonesische Weise einer der
Leone-würdigsten der letzten Jahre, der nicht von Tarantino stammt. Aber wo die klassischen männlichen Genre-Helden ihr ganzes Leben dem Rachedurst hingeben, macht Marlina lediglich und gnadenlos, was alle Frauen in ihrer Welt tun: Das Nötige.
A woman’s gotta do what a woman’s gotta do.