14.03.2013

Edelmann und Willmann sind sich einig: THE ABCs of the FFF

The ABCs of Death
Und jetzt ein lauter Aufschrei:
The ABCs of Death

Die lückenhafte Alphabetisierung eines Wochenendes voller Horror und Thriller auf den Fantasy Filmfest Nights

Von Anna Edelmann & Thomas Willmann

The ABCs of Death: 26 Kurzfilme, von ebenso vielen Regis­seuren aus aller Welt insze­niert. Sesam­straße für Horror­fans: Buch­sta­ben­klötz­chen von A bis Z, zu jedem (mindes­tens) ein filmi­scher Tod. Quali­tativ von A wie ausge­zeichnet (eher selten) über U wie ueber­flüssig (die Mehrzahl) bis Z wie Zumutung (schon auch).

American Mary: Ein Plädoyer gegen die Studi­en­ge­bühren. Die talen­tierte Medi­zin­stu­dentin Mary hadert mit der Finan­zie­rung ihres Lebens­un­ter­halts. Und entdeckt die Body-Modi­fi­ca­tion-Szene als Geld­quelle für Leute mit Geschick im Umgang mit dem Skalpell. Doch nach einer Verge­wal­ti­gung beginnt sie, dieses auch als Rach­ein­stru­ment einzu­setzen – mit dem Täter als mensch­liche Model­lier­masse zu Übungs­zwe­cken. Die Bedürf­nisse des Horror-Plots stehen im zweiten Film des Zwil­lings­paars Jen & Sylvia Soska letztlich quer zu ihren femi­nis­ti­schen Ansätzen: Was als schön selbst­ver­s­tänd­li­cher und keines­wegs lust­feind­li­cher Weg in die (weibliche) Selbst­be­stimmt­heit beginnt, führt nah an ein mons­tröses Zerrbild einer männer­mor­denden Frau. Und die nicht verur­tei­lende Sympathie, mit der sie die BodyMod-Szene porträ­tieren, kolli­diert mit den Angst­bil­dern abartiger Vers­tüm­me­lung.

Balkan: Siehe → The Seasoning House. Eine Gegend, in der nur ca. vier Familien wohnen. Die alle in dieselben krimi­nellen Akti­vitäten (Zwangs­pro­sti­tu­tion, Kriegs­ver­bre­chen, Drogen­handel, Nippes­sam­meln) verwi­ckelt sind. Das Schre­ckens­bild einer barba­ri­schen Gesell­schaft, in der niemand mehr einem ehrlichen Handwerk (z.B. der Produk­tion von →Seife) nachgeht. Und mit einem →Geschäfts­mo­dell, das ohne Zufuhr von Kunden und Opfern auszu­kommen scheint.
Land­schaft­lich und archi­tek­to­nisch mit verblüf­fender Ähnlich­keit zu England.

The Bay: Das Found-Footage-Prinzip ist im Horror­film inzwi­schen schon längst zum ausge­laugten Gimmick verkommen. Ausge­rechnet jetzt liefert ausge­rechnet Barry Levinson (Rain Man) seinen Beitrag nach. Und siehe da: Für ihn ist es eine befrei­ende Art, die Geschichte plau­si­bler zu erzählen. Die Atmo­s­phäre und Bewohner der US-Küsten­kle­in­stadt, die am Natio­nal­fei­ertag wegen Wasser­ver­schmut­zung von einer Parasiten-Epidemie heim­ge­sucht wird, wirken authen­tisch einge­fangen und lassen Leben unter den Genre-Konven­tionen hervor­lugen. Eine nette Wieder­be­le­bung der ‘70er-Jahre-Öko-Thriller, die nur am Schluss drama­tur­gisch etwas versi­ckert.

Citadel: Frodos Under­study (Aneurin Barnard) spielt – oh, wie er spielt! Ein sicherer Anwärter für den »Most Actor«-Oscar! – einen verwit­weten Jungvater. In seinem herun­ter­ge­kom­menen Heimatort (mit einer Bevöl­ke­rungs­dichte wie auf dem >Balkan und atmo­s­phä­risch gut getimeten Elek­tri­zi­täts­eng­pässen) kämpft er gegen seine Angst­stö­rung (einigen wir uns auf... Agora­phobie!?), die monströse Jugend­bande, die seine Frau umge­bracht hat, und extrem unfreund­liche Busfahrer. Ihm hilft ein fluchender Priester mit IRA-Vergan­gen­heit (ach, die Iren!) und ein blinder Junge, der Furcht sieht.
Muss man ein schlechtes Gewissen haben, wenn die bedroh­li­chen Jugend­li­chen (Dämonen oder verwahr­loste Sozi­alopfer?) ausgelöscht und abge­fa­ckelt werden? Glück­li­cher­weise nein, denn sie leiden einfach an einem Geburts­de­fekt. Weg damit, hurrah!

The Collec­tion: Ein reicher Exzen­triker mit Psychos­tö­rung und Faible für nutzlos kompli­zierte Todes­me­cha­nismen häuft bei seiner Suche nach perfekten Sammel­ob­jekten den ein oder anderen Leichen­berg an.
Von den Autoren von Saw IV-3D, Piranhas-3DD und Feast I-III. Diese Fort­set­zung zu The Collector zeugt von einem künst­le­ri­schen Reife­pro­zess: Nicht­nu­me­ri­sche Titel­fin­dung!

Ende: Auffäl­lige Schwäche der Mehrzahl der Beiträge – selbst unter den Kurz­filmen: Die Grundidee ist leicht gefunden und zu einem starken ersten Akt ausge­sponnen. Immerhin greift keiner zur Zerschla­gung des narra­tiven Knotens zum billigen »Es war alles nur ein Traum«-Ausweg. Aber wenn man sich die allge­meinen Mühen beim Fertigs­pinnen der Geschichten anschaut, versteht man, wie dieser zu seiner berüch­tigten Beliebt­heit kam.

Fans: Zugleich treue Basis und limi­tie­render Faktor des Fantasy Filmfest. Ohne ihren Enthu­si­asmus gäbe es das Festival nicht. Ihr eher tradi­tio­neller Geschmack muss bedient werden. Um ein größeres Publikum anzu­ziehen, braucht es aber die Öffnung des Programms für eine breitere Vielfalt von Filmen, Tonlagen, Ästhe­tiken.
Als Veran­stalter Rainer Stefan zum Abschluss die Horror­las­tig­keit der dies­ma­ligen Auswahl verant­wort­lich macht für die etwas enttäu­schenden Besu­cher­zahlen am zweiten Tag, murren die Splatter-Affi­cio­nados. Dafür ist das Kino bei →Stoker und →John Dies at the End am vollsten.

Geschäfts­mo­delle: Bei Film­bö­se­wichten oft frag­wür­diger Natur.
Wir hätten gerne einmal die Gespräche des »Collec­tors« (→The Collec­tion) mit seinem Kredit­be­rater mitver­folgt, wenn er ihm seine immer neuen Projekt­ideen vorträgt: »Sie wollen nicht an meinen Menschen-Mähdre­scher an der Großraum-Disco-Decke glauben! Aber sehen Sie: Was war ich neulich froh, dass ich mich doch für die Instal­la­tion der Fußfallen-Kopfüber-Ketten­trans­port­schiene zwischen Flur und Gäste­zimmer entschieden habe. Man weiß nie, wann man’s braucht!«
Und wir wüssten auch gern, wann es für den Klein­un­ter­nehmer aus →The Seasoning House nach einem rentablen Konzept geklungen hat: »Die Ausgaben für das ganze Heroin zur Ruhig­stel­lung bring ich wieder rein, indem ich die Kosten für →Seife einspare. Der Nischen­markt für zugedopte, blut- und dreck­ver­krus­tete Huren ist in unserem Fünf-Häuser-Dorf noch völlig uner­schlossen!«

Hörschäden: Bei Prot­ago­nis­tinnen im Horror­film verspricht diese Behin­de­rung doch mindes­tens einen nerven­auf­rei­benden Moment eines Flucht­ver­suchs, wo die verrä­te­ri­schen Geräusche des Verfol­gers seine Position nicht preis­geben. The Seasoning House und The Collec­tion jedoch verschenken die Chance und nutzen sie bloß, um die Anwe­sen­heit von Charak­ter­ei­gen­schaften vorzu­täu­schen.
Unerhöhrt!

Japaner: Die Helden der FFF-Nights. Ihre bizarren Beiträge, die einem genüss­lich das Hirn pellen wie ein hart­ge­kochtes Ei, retten einem alle paar Buch­staben lang die Laune an →The ABCs of Death. Und Ryuhei Kitamura macht mit →No One Lives US-ameri­ka­ni­sches Genre-Kino, wie es die Einge­bo­renen nur noch selten hinbe­kommen.

John Dies at the End: Zu jeder Fantasy Filmfest-Veran­stal­tung gehört mindes­tens ein »Partyfilm«. Vermeint­lich besonders anspruchslos, nur auf Spaß aus. Doch in Wahrheit ist fast nichts schwie­riger als das unab­läs­sige Hoch­schau­keln von Stimmung im Kinosaal. Es reicht nicht das Vertrauen in die eigene Coolness, und ein →Zettel­kasten voll Ideen, die an einem bekifften Abend mal wahn­sinnig lustig waren. Es fehlt Don Cosca­rellis Verfil­mung von David Wongs Roman­vor­lage um zeit- und welten­rei­sende Dämo­nen­jäger-Spezln nicht an (oft wirklich hübschen) Einfällen. Aber wie üblich für solche Filme, benötigt er halt trotzdem auch eine verbin­dende, vorwärts­füh­rende Handlung – die para­do­xer­weise den Schwung ausbremst. Weil sie ein Nach­ge­danke ist, bei dem die hand­werk­liche Sorgfalt vernach­läs­sigt wurde. Und das Ende lang nicht so ziel­strebig ange­steuert wird, wie der Titel sugge­riert.

Message: Wenn Horror­film-Regis­seure ihren Eltern beweisen wollen, dass sie einen gesell­schaft­lich wert­vollen Beruf ergriffen haben, dann kleben sie eine Botschaft auf ihr Werk. Aber billige Polit-Parabel als Alibi für die Faszi­na­tion der Gewalt macht einen Film erst wirklich unan­ge­nehm.

Nachtzug nach Lissabon: Das wahre Grauen wohnt nebenan. Im City Kino 2. Gutbür­ger­liche Kinogeher und Fantasy-Filmfest-Publikum beäugen sich gegen­seitig skeptisch und zweifeln am Film­ge­schmack der jeweils anderen.
Wir haben den Vergleich. Und keine Menge an Kunstblut kann so wider­wärtig sein wie der klebrig-zähflüs­sige Musik­auf­strich, mit dem Bille August unter­but­tert, was nach seinem behäbig-gedie­genen Ausschaben der Roman­fi­guren und -gedanken zu Charakt­er­hülsen und Platitüden an Restchen von Wahr­haf­tig­keit und Innen­leben geblieben ist.

No One Lives: Gangster vs. Seri­en­killer: Das klärt doch gleich die sich sonst oft aufdrän­gende Frage, warum keiner die Polizei ruft. Die Spiel­plätze sind altbe­kannt: Das abge­schie­dene Motel, das einsame Holzhaus im Wald, das Redneck-Diner, die verlas­sene Land­straße, der Schrott­platz im Mond­schein. Und das Personal auch. Aber wenn der Titel, wenn nicht unfehl­bare Prophe­zei­hung, so doch klares Motto ist, dann nicht, weil die Figuren die genreüb­li­chen, selbst­se­lek­tie­renden Maßnahmen ergreifen. Sondern weil der Film ihnen angenehm erbar­mungslos keine Über­le­bens­chance lässt. Er erfindet die Häck­sel­ma­schine nicht neu – aber er weiß, wie man aus bekannten Bauteilen mit Clever­ness und Finesse einen gut geölten Mecha­nismus bastelt.

Painless: Ursprüng­lich Außen­ste­hende werden oft die besseren Experten. In den 1930er Jahren werden in einem spani­schen Dorf eine Reihe Kinder ohne Schmerz­emp­finden geboren. Zum Schutz ihrer selbst und anderer werden sie in einer Anstalt wegge­sperrt. Dort bringen ihnen Ärzte alles über das Phänomen Schmerz bei. Das macht einen der Jungen zum perfekten Folterer, als später die Faschisten anrücken und ihn in ihre Dienste nehmen.
Im deutschen Kino hatte der fantas­ti­sche Film seine Blütezeit kurz vor der Macht­ergrei­fung der Nazis. Das spanische Kino ist heute offenbar damit beschäf­tigt, die Zeit der Franco-Diktatur verstärkt in Form von dunklen Märchen aufzu­ar­beiten. Painless ist, wie die meisten davon, stim­mungs­voll und bildstark foto­gra­fiert. Aber poli­ti­sche Metapher und Genre-Handlung stehen sich gegen­seitig im Weg. Insbe­son­dere gegen Ende wird der Film immer bemühter, immer mehr zum abstrusen Schau­er­theater.

The Seasoning House: Unter dem Vorwand einer scho­nungs­losen, poli­ti­schen Ausein­an­der­set­zung mit den Nachwehen des Bosni­en­kriegs (oder des Kroa­ti­en­kriegs? Ach, wen inter­es­siert’s!) findet der bisherige Special-Effects-Makeup-Spezia­list (u.a. bei →Citadel) Paul Hyett als Debut-Regisseur weidlich Einsatz für seine Kunstblut-Bestände. In einem verlas­senen Haus irgendwo (s.o.) auf dem →Balkan 1996 hält der leder­be­jackte Klischee-Ostblock-Gangster Victor entführte Mädchen als Prosti­tu­ierte. Darunter die taub­stumme Angel, für die der Plot ihm besondere Beschüt­zer­in­stinkte unter­stellt. A SERBIAN ROM COM.

Seife: Unbe­kanntes Luxusgut auf dem →Balkan und in dem Sozi­al­woh­nungs­kom­plex von →Citadel – visueller Ausdruck von: »Alles ist fei arg schlimm!« Fehlen von Seife ist ein sicheres Anzeichen für das Vorhan­den­sein einer →Message.

Stoker: Park Chan-wook zeigt in seinem ersten in den USA gedrehten Film, was ein großer Regisseur aus einem eher gewöhn­li­chen Drehbuch machen kann. Nach dem Tod ihres Vaters, tritt der ihr bis dahin unbe­kannte Onkel Charlie (Matthew Goode) ins Leben der 17-jährigen India (Mia Wasi­kowska) und ihrer Mutter (Nicole Kidman). Und rundherum treten plötzlich auffällig viele Menschen ab. Park nutzt dieses Gerüst, um mit fast mathe­ma­tisch präzisen Bildern, über­na­tür­lich klarem Sound, Symme­trien auf allen Ebenen und zahl­rei­chen, verschmitzten Hitchock-Zitaten eine Geschichte über frei­wil­lige Selbst­kon­trolle zu erzählen.

Toiletten: Zerlegte Körper haben für Horror­fans einfach nicht mehr den selben verbo­tenen Reiz wie früher. Viel­leicht beschäf­tigen sich deshalb so viele Beiträge in →The ABCs of Death mit dem nicht gesell­schafts­fähigen Geschäft. Wirklich auffal­lend, die Fixierung auf Fäkales. Quasi ein Film für Anal-phabeten.

Visiones Latinas: Die berüch­tigte Reihe des Filmfest München hat ein neues Heim gefunden: Wie die Beiträge in →The ABCs of Death beweisen, beherrscht das südame­ri­ka­ni­sche Kino auch im Genre-Film diese spezi­fi­sche Art von kryp­to­poe­ti­scher Alltags­lan­ge­weile in Amateur-Ästhetik!

Vokabular: Den Filme­ma­chern von →The ABCs of Death, die bei der Zuteilung mit einem der weniger populären Buch­staben gestraft wurden, bereitete die Suche nach einem titel­ge­benden Begriff gewiss einiges Kopf­zer­bre­chen. Auch wenn das filmische Resultat will­kür­lich und ärgerlich sein mochte – beim »V« zumindest hat es auch unser Vokabular erweitert: Vagitus. Das Wimmern eines Neuge­bo­renen.
Und auch Sie werden bei ihrer nächsten Scrabble-Partie dankbar sein.

WTF?!: Abk. für »What the Fuck!?«. Ausruf des Erstau­nens. Vermut­lich auch geäußert von den ameri­ka­ni­schen Machern des gleich­na­migen Segments aus →The ABCs of Death, als sie nach Sichtung des zusam­men­ge­setzten ABCs fest­stellten, dass auch →Japaner einge­laden waren. Die dem faulen, puber­tären Sammel­su­rium der US-Boys zeigen, was wahrer Wahnsinn mit Methode ist.

Zettel­kasten: Beliebtes Erzähl-Werkzeug. David Wong hat wohl sein halbes Leben lang Ideen darin gesammelt, die er dann alle in →John Dies at the End ausge­schüttet hat. Während Marcus Dunstan für →The Collec­tion wahllos zusam­men­ge­klebt hat, was nach Saw IV-3D dort noch an nicht verwen­deten Schnip­seln zu finden war.