Edelmann und Willmann sind sich einig: THE ABCs of the FFF |
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Und jetzt ein lauter Aufschrei: The ABCs of Death |
Von Anna Edelmann & Thomas Willmann
The ABCs of Death: 26 Kurzfilme, von ebenso vielen Regisseuren aus aller Welt inszeniert. Sesamstraße für Horrorfans: Buchstabenklötzchen von A bis Z, zu jedem (mindestens) ein filmischer Tod. Qualitativ von A wie ausgezeichnet (eher selten) über U wie ueberflüssig (die Mehrzahl) bis Z wie Zumutung (schon auch).
American Mary: Ein Plädoyer gegen die Studiengebühren. Die talentierte Medizinstudentin Mary hadert mit der Finanzierung ihres Lebensunterhalts. Und entdeckt die Body-Modification-Szene als Geldquelle für Leute mit Geschick im Umgang mit dem Skalpell. Doch nach einer Vergewaltigung beginnt sie, dieses auch als Racheinstrument einzusetzen – mit dem Täter als menschliche Modelliermasse zu Übungszwecken. Die Bedürfnisse des Horror-Plots stehen im zweiten Film des Zwillingspaars Jen & Sylvia Soska letztlich quer zu ihren feministischen Ansätzen: Was als schön selbstverständlicher und keineswegs lustfeindlicher Weg in die (weibliche) Selbstbestimmtheit beginnt, führt nah an ein monströses Zerrbild einer männermordenden Frau. Und die nicht verurteilende Sympathie, mit der sie die BodyMod-Szene porträtieren, kollidiert mit den Angstbildern abartiger Verstümmelung.
Balkan: Siehe → The Seasoning House. Eine Gegend, in der nur ca. vier Familien wohnen. Die alle in dieselben kriminellen Aktivitäten (Zwangsprostitution, Kriegsverbrechen, Drogenhandel, Nippessammeln) verwickelt sind. Das Schreckensbild einer barbarischen Gesellschaft, in der niemand mehr einem ehrlichen Handwerk (z.B. der Produktion von →Seife) nachgeht. Und mit einem
→Geschäftsmodell, das ohne Zufuhr von Kunden und Opfern auszukommen scheint.
Landschaftlich und architektonisch mit verblüffender Ähnlichkeit zu England.
The Bay: Das Found-Footage-Prinzip ist im Horrorfilm inzwischen schon längst zum ausgelaugten Gimmick verkommen. Ausgerechnet jetzt liefert ausgerechnet Barry Levinson (Rain Man) seinen Beitrag nach. Und siehe da: Für ihn ist es eine befreiende Art, die Geschichte plausibler zu erzählen. Die Atmosphäre und Bewohner der US-Küstenkleinstadt, die am Nationalfeiertag wegen Wasserverschmutzung von einer Parasiten-Epidemie heimgesucht wird, wirken authentisch eingefangen und lassen Leben unter den Genre-Konventionen hervorlugen. Eine nette Wiederbelebung der ‘70er-Jahre-Öko-Thriller, die nur am Schluss dramaturgisch etwas versickert.
Citadel: Frodos Understudy (Aneurin Barnard) spielt – oh, wie er spielt! Ein sicherer Anwärter für den »Most Actor«-Oscar! – einen verwitweten Jungvater. In seinem heruntergekommenen Heimatort (mit einer Bevölkerungsdichte wie auf dem >Balkan und atmosphärisch gut getimeten Elektrizitätsengpässen) kämpft er gegen seine Angststörung (einigen wir uns auf...
Agoraphobie!?), die monströse Jugendbande, die seine Frau umgebracht hat, und extrem unfreundliche Busfahrer. Ihm hilft ein fluchender Priester mit IRA-Vergangenheit (ach, die Iren!) und ein blinder Junge, der Furcht sieht.
Muss man ein schlechtes Gewissen haben, wenn die bedrohlichen Jugendlichen (Dämonen oder verwahrloste Sozialopfer?) ausgelöscht und abgefackelt werden? Glücklicherweise nein, denn sie leiden einfach an einem Geburtsdefekt. Weg damit, hurrah!
The Collection: Ein reicher Exzentriker mit Psychostörung und Faible für nutzlos komplizierte Todesmechanismen häuft bei seiner Suche nach perfekten Sammelobjekten den ein oder anderen Leichenberg an.
Von den Autoren von Saw IV-3D, Piranhas-3DD und Feast I-III. Diese Fortsetzung zu The Collector zeugt von einem künstlerischen Reifeprozess: Nichtnumerische Titelfindung!
Ende: Auffällige Schwäche der Mehrzahl der Beiträge – selbst unter den Kurzfilmen: Die Grundidee ist leicht gefunden und zu einem starken ersten Akt ausgesponnen. Immerhin greift keiner zur Zerschlagung des narrativen Knotens zum billigen »Es war alles nur ein Traum«-Ausweg. Aber wenn man sich die allgemeinen Mühen beim Fertigspinnen der Geschichten anschaut, versteht man, wie dieser zu seiner berüchtigten Beliebtheit kam.
Fans: Zugleich treue Basis und limitierender Faktor des Fantasy Filmfest. Ohne ihren Enthusiasmus gäbe es das Festival nicht. Ihr eher traditioneller Geschmack muss bedient werden. Um ein größeres Publikum anzuziehen, braucht es aber die Öffnung des Programms für eine breitere Vielfalt von Filmen, Tonlagen, Ästhetiken.
Als Veranstalter Rainer Stefan zum Abschluss die Horrorlastigkeit der diesmaligen Auswahl verantwortlich macht für die etwas enttäuschenden
Besucherzahlen am zweiten Tag, murren die Splatter-Afficionados. Dafür ist das Kino bei →Stoker und →John Dies at the End am vollsten.
Geschäftsmodelle: Bei Filmbösewichten oft fragwürdiger Natur.
Wir hätten gerne einmal die Gespräche des »Collectors« (→The Collection) mit seinem Kreditberater mitverfolgt, wenn er ihm seine immer neuen Projektideen vorträgt: »Sie wollen nicht an meinen Menschen-Mähdrescher an der Großraum-Disco-Decke glauben! Aber sehen Sie: Was war ich neulich froh, dass ich mich doch für die
Installation der Fußfallen-Kopfüber-Kettentransportschiene zwischen Flur und Gästezimmer entschieden habe. Man weiß nie, wann man’s braucht!«
Und wir wüssten auch gern, wann es für den Kleinunternehmer aus →The Seasoning House nach einem rentablen Konzept geklungen hat: »Die Ausgaben für das ganze Heroin zur Ruhigstellung bring ich wieder rein, indem ich die Kosten für →Seife
einspare. Der Nischenmarkt für zugedopte, blut- und dreckverkrustete Huren ist in unserem Fünf-Häuser-Dorf noch völlig unerschlossen!«
Hörschäden: Bei Protagonistinnen im Horrorfilm verspricht diese Behinderung doch mindestens einen nervenaufreibenden Moment eines Fluchtversuchs, wo die verräterischen Geräusche des Verfolgers seine Position nicht preisgeben. The Seasoning House und The Collection jedoch verschenken die Chance
und nutzen sie bloß, um die Anwesenheit von Charaktereigenschaften vorzutäuschen.
Unerhöhrt!
Japaner: Die Helden der FFF-Nights. Ihre bizarren Beiträge, die einem genüsslich das Hirn pellen wie ein hartgekochtes Ei, retten einem alle paar Buchstaben lang die Laune an →The ABCs of Death. Und Ryuhei Kitamura macht mit →No One Lives US-amerikanisches Genre-Kino, wie es die Eingeborenen nur noch selten hinbekommen.
John Dies at the End: Zu jeder Fantasy Filmfest-Veranstaltung gehört mindestens ein »Partyfilm«. Vermeintlich besonders anspruchslos, nur auf Spaß aus. Doch in Wahrheit ist fast nichts schwieriger als das unablässige Hochschaukeln von Stimmung im Kinosaal. Es reicht nicht das Vertrauen in die eigene Coolness, und ein →Zettelkasten voll Ideen, die an einem bekifften Abend mal wahnsinnig lustig waren. Es fehlt Don Coscarellis Verfilmung von David Wongs Romanvorlage um zeit- und weltenreisende Dämonenjäger-Spezln nicht an (oft wirklich hübschen) Einfällen. Aber wie üblich für solche Filme, benötigt er halt trotzdem auch eine verbindende, vorwärtsführende Handlung – die paradoxerweise den Schwung ausbremst. Weil sie ein Nachgedanke ist, bei dem die handwerkliche Sorgfalt vernachlässigt wurde. Und das Ende lang nicht so zielstrebig angesteuert wird, wie der Titel suggeriert.
Message: Wenn Horrorfilm-Regisseure ihren Eltern beweisen wollen, dass sie einen gesellschaftlich wertvollen Beruf ergriffen haben, dann kleben sie eine Botschaft auf ihr Werk. Aber billige Polit-Parabel als Alibi für die Faszination der Gewalt macht einen Film erst wirklich unangenehm.
Nachtzug nach Lissabon: Das wahre Grauen wohnt nebenan. Im City Kino 2. Gutbürgerliche Kinogeher und Fantasy-Filmfest-Publikum beäugen sich gegenseitig skeptisch und zweifeln am Filmgeschmack der jeweils anderen.
Wir haben den Vergleich. Und keine Menge an Kunstblut kann so widerwärtig sein wie der klebrig-zähflüssige Musikaufstrich, mit dem Bille August unterbuttert, was nach seinem
behäbig-gediegenen Ausschaben der Romanfiguren und -gedanken zu Charakterhülsen und Platitüden an Restchen von Wahrhaftigkeit und Innenleben geblieben ist.
No One Lives: Gangster vs. Serienkiller: Das klärt doch gleich die sich sonst oft aufdrängende Frage, warum keiner die Polizei ruft. Die Spielplätze sind altbekannt: Das abgeschiedene Motel, das einsame Holzhaus im Wald, das Redneck-Diner, die verlassene Landstraße, der Schrottplatz im Mondschein. Und das Personal auch. Aber wenn der Titel, wenn nicht unfehlbare Prophezeihung, so doch klares Motto ist, dann nicht, weil die Figuren die genreüblichen, selbstselektierenden Maßnahmen ergreifen. Sondern weil der Film ihnen angenehm erbarmungslos keine Überlebenschance lässt. Er erfindet die Häckselmaschine nicht neu – aber er weiß, wie man aus bekannten Bauteilen mit Cleverness und Finesse einen gut geölten Mechanismus bastelt.
Painless: Ursprünglich Außenstehende werden oft die besseren Experten. In den 1930er Jahren werden in einem spanischen Dorf eine Reihe Kinder ohne Schmerzempfinden geboren. Zum Schutz ihrer selbst und anderer werden sie in einer Anstalt weggesperrt. Dort bringen ihnen Ärzte alles über das Phänomen Schmerz bei. Das macht einen der Jungen zum perfekten Folterer, als später die Faschisten
anrücken und ihn in ihre Dienste nehmen.
Im deutschen Kino hatte der fantastische Film seine Blütezeit kurz vor der Machtergreifung der Nazis. Das spanische Kino ist heute offenbar damit beschäftigt, die Zeit der Franco-Diktatur verstärkt in Form von dunklen Märchen aufzuarbeiten. Painless ist, wie die meisten davon, stimmungsvoll und bildstark fotografiert. Aber politische
Metapher und Genre-Handlung stehen sich gegenseitig im Weg. Insbesondere gegen Ende wird der Film immer bemühter, immer mehr zum abstrusen Schauertheater.
The Seasoning House: Unter dem Vorwand einer schonungslosen, politischen Auseinandersetzung mit den Nachwehen des Bosnienkriegs (oder des Kroatienkriegs? Ach, wen interessiert’s!) findet der bisherige Special-Effects-Makeup-Spezialist (u.a. bei →Citadel) Paul Hyett als Debut-Regisseur weidlich Einsatz für seine Kunstblut-Bestände. In einem verlassenen Haus irgendwo (s.o.) auf dem →Balkan 1996 hält der lederbejackte Klischee-Ostblock-Gangster Victor entführte Mädchen als Prostituierte. Darunter die taubstumme Angel, für die der Plot ihm besondere Beschützerinstinkte unterstellt. A SERBIAN ROM COM.
Seife: Unbekanntes Luxusgut auf dem →Balkan und in dem Sozialwohnungskomplex von →Citadel – visueller Ausdruck von: »Alles ist fei arg schlimm!« Fehlen von Seife ist ein sicheres Anzeichen für das Vorhandensein einer →Message.
Stoker: Park Chan-wook zeigt in seinem ersten in den USA gedrehten Film, was ein großer Regisseur aus einem eher gewöhnlichen Drehbuch machen kann. Nach dem Tod ihres Vaters, tritt der ihr bis dahin unbekannte Onkel Charlie (Matthew Goode) ins Leben der 17-jährigen India (Mia Wasikowska) und ihrer Mutter (Nicole Kidman). Und rundherum treten plötzlich auffällig viele Menschen ab. Park nutzt dieses Gerüst, um mit fast mathematisch präzisen Bildern, übernatürlich klarem Sound, Symmetrien auf allen Ebenen und zahlreichen, verschmitzten Hitchock-Zitaten eine Geschichte über freiwillige Selbstkontrolle zu erzählen.
Toiletten: Zerlegte Körper haben für Horrorfans einfach nicht mehr den selben verbotenen Reiz wie früher. Vielleicht beschäftigen sich deshalb so viele Beiträge in →The ABCs of Death mit dem nicht gesellschaftsfähigen Geschäft. Wirklich auffallend, die Fixierung auf Fäkales. Quasi ein Film für Anal-phabeten.
Visiones Latinas: Die berüchtigte Reihe des Filmfest München hat ein neues Heim gefunden: Wie die Beiträge in →The ABCs of Death beweisen, beherrscht das südamerikanische Kino auch im Genre-Film diese spezifische Art von kryptopoetischer Alltagslangeweile in Amateur-Ästhetik!
Vokabular: Den Filmemachern von →The ABCs of Death, die bei der Zuteilung mit einem der weniger populären Buchstaben gestraft wurden, bereitete die Suche nach einem titelgebenden Begriff gewiss einiges Kopfzerbrechen. Auch wenn das filmische Resultat willkürlich und ärgerlich sein mochte – beim »V«
zumindest hat es auch unser Vokabular erweitert: Vagitus. Das Wimmern eines Neugeborenen.
Und auch Sie werden bei ihrer nächsten Scrabble-Partie dankbar sein.
WTF?!: Abk. für »What the Fuck!?«. Ausruf des Erstaunens. Vermutlich auch geäußert von den amerikanischen Machern des gleichnamigen Segments aus →The ABCs of Death, als sie nach Sichtung des zusammengesetzten ABCs feststellten, dass auch →Japaner eingeladen waren. Die dem faulen, pubertären Sammelsurium der US-Boys zeigen, was wahrer Wahnsinn mit Methode ist.
Zettelkasten: Beliebtes Erzähl-Werkzeug. David Wong hat wohl sein halbes Leben lang Ideen darin gesammelt, die er dann alle in →John Dies at the End ausgeschüttet hat. Während Marcus Dunstan für →The Collection wahllos zusammengeklebt hat, was nach Saw IV-3D dort noch an nicht verwendeten Schnipseln zu finden war.