68. Filmfestspiele Cannes 2015
Flucht im Film: politisch bei Jacques Audiard, poetisch bei Hou Hsiao-Hsien –Blick nach Cannes VI |
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The Assassin ist bildgewaltiger Kino-Eskapismus | ||
(Foto: StudioCanal) |
Von Dunja Bialas
Am letzten Tag des Festivals vertiefe ich mich noch einmal in die vergangenen Filme und picke mir zwei heraus, deren Regisseure allein durch ihre Namen Gutes versprechen. Jacques Audiard ist sicherlich einer, den man in der Vergangenheit fast bedingungslos verehrt hat, auch wenn Der Geschmack von Rost und Knochen manch erzählerischen Faustschlag vollführte. Unangefochten ist der taiwanesische Regie-Gott Hou Hsiao-Hsien, dem das Filmmuseum München ab Ende Mai eine Retrospektive widmet – übrigens ein Jahr später als die Wiener Kollegen. Zu diesem Thema ist zu sagen: Hou Hsiao-Hsiens Filme waren, zumindest in München, immer wieder zu sehen, seinen Filmen widmete das Werkstattkino vor ein paar Jahren bereits eine umfassende Werkschau.
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Letzter Tag von Cannes. Morgen werden die Preise verliehen, alle Filme wurden gesehen. Auch Jacques Audiard hat seinen neuen Film vorgestellt, und musste sich vor der Presse rechtfertigen, weshalb sein mit dem Arbeitstitel Dheepan versehene neuer Film so anders ist als seine anderen Filme Ein Prophet (Großer Preis der Jury 2009) oder Der Geschmack von Rost und Knochen. Sein neuer Film ist politisch gefasst und unterscheidet sich darin schon mal deutlich von seinen Vorgängerfilmen. Hier geht es um die Flucht, von Sri Lanka, aus dem Bürgerkriegschaos, nach Frankreich, hinein in die Problematiken von Intgegration, Heimlichkeit, Unsicherheit. Der Film ist in kühl-triste Farben getaucht, das Setting die Pariser Banlieue, die Schauspieler unbekannt. Alles, was ein Audiard braucht, und dennoch hat der an manchen Stellen etwas sehr überraschende Plot, wie in manchen Medien gespoilert wird, am Ende dann enttäuscht. Um aber nicht die Kritikerliste zu vernachlässigen: Audiard steht dort auf Platz sieben.
Kino als Eskapismus aus unserer Alltagswelt zeigte der taiwanesische Regiemeister Hou Hsiao-Hsien mit The Assassin (Platz zwei auf der Kritikerliste). Sein Film ist ein Filmgedicht, in einer langsamen, sich Zeit nehmenden Erzählweise, in der die Szenen aus sich heraus entwickelt werden, lange ohne Schnitt bleiben und damit in einen filmischen Trance versetzen können. Der große Filmkritiker und -theoretiker Helmut Färber, der die leisen Töne liebt und in seinen Seminaren an der HFF München eine gewisse Demut gegenüber den Filmen gelehrt hat, sagte einmal, das Schreiben über Film solle sich dem Film und seiner Erzählweise anpassen. So solle ein Film, der keine Gleichzeitigkeiten erzähle, vor allem durch nebeneinandergestellte Sätze wiedergegeben werden. Komplizierte Verschränkungen erlauben Schachtelsätze. Hou Hsiao-Hsien neuer Film verlangt nach sehr langen, sehr gedehnten Sätzen, in denen wenig steht, und die unmerkliche Veränderungen stattfinden lassen. Einen angehaltenen Atem, und dann ein ganz langsames Ausatmen, bis der Film in die nächste Szene hineingleitet. Hier ist der Trailer, der trotz seiner Kürze eine Ahnung von der umwerfenden Ästhetik des Films gibt.