26.05.2011

Aus jeder Schublade etwas

Pina Buasch
Blick zurück: Klaus Wildenhahn fragte 1982 »Was tun Pina Buasch und ihre Tänzer in Wuppertal?«. Der Film ist einer von vier seiner Dokumentationen, die auf dem Festival gezeigt werden. Unser Bild zeigt Pina Bausch.

Zur Eröffnung des Dok.Fests, das heuer in überraschend viele Reihen untergliedert ist

Von Rainer Gansera

Der Text Blick aus der Schublade von artechock-Autorin Dunja Bialas, den sie als Reaktion auf einen Artikel von Rainer Gansera schrieb, und als Selbst­ver­such in Sachen Abhän­gig­keit und freie Meinungs­äuße­rung unternahm, hat uns folgendes schöne Lob einge­bracht: »Danke, dass artechock immer wieder auch jour­na­lis­ti­sche Arbeits­weisen thema­ti­siert!« Uns wurde aber auch die Frage gestellt, wo man denn den Origi­nal­ar­tikel, auf den sich unsere Autorin bezieht, nachlesen könne. Dies kann man jetzt bei artechock, im Sinne eines trans­pa­renten Jour­na­lismus!

München – Das Begleit­heft zum 26. Inter­na­tio­nalen Doku­men­tar­film­fes­tival, das am heutigen Mittwoch beginnt, verwun­dert. Es annon­ciert ein Programm in mehr Reihen, Unter­reihen und Veran­stal­tungs­seg­menten als das Festival von Venedig. Man liest Titel wie »DOK.guest«, »DOK.deutsch«, »DOK.special« und so fort – aber ein Festival-Konzept will sich nicht erkennen lassen. Es sieht aus, als wolle sich Daniel Sponsel dieses Jahr allei­niger Festi­val­leiter, bei dem Wett­be­werb »Wie bringe ich eine über­schau­barer Anzahl von Filmen in ein möglichst unüber­schau­bares System klein­tei­liger Reihen, Schub­laden und Schienen?« ganz vorn plat­zieren. Es wird Fülle sugge­riert, wo es an konzep­tu­ellen Ideen und program­ma­ti­scher Kohärenz mangelt.

Über die Jahre hat sich für das von Gudrun Geyer begrün­dete, von Hermann Barth zwischen 2002 und 2009 geleitete Festival eine schlichte Kern­struktur heraus­ge­bildet: Best-of plus lokale Premieren. »Best-of« heißt : die besten Doku­men­tar­filme, die man auf anderen Festivals entdecken konnte. Das ist auch dieses Jahr wieder so – und für ein Zuschau­er­fes­tival ganz richtig.

Gute Doku­men­tar­filme zeigen die Bilder hinter den Bildern, sie tauchen in brisante Wirk­lich­keiten ein, von denen man im medialen Alltag nur Schnipsel oder Plaka­tives zu sehen bekommt Das tut Dominique Christian Mollard mit »Adrift: People for a lesser god« (Freitag, 17 Uhr, Arri, und Montag, 19 Uhr, Gasteig), wenn er verzwei­felt nach einem besseren Leben Ausschau haltende Flücht­linge auf der riskanten Boots­fahrt von Maure­ta­nien zu den Kana­ri­schen Inseln begleitet. Wie alle Jahre gibt es diverse Musik­filme und Künst­ler­por­träts. Besonders anrührend: das betagte hollän­di­sche Künst­ler­paar in »Not without you« (Sonntag, 17 Uhr, Arri, und Dienstag, 19.30 Uhr, Atelier 2), und besonders eindring­lich: Anselm Kiefer im südfran­zö­si­schen Barjac bei der Fertigung seiner monu­men­talen, apoka­lyp­tisch umwölkten Objekte in »Over your cities grass will grow« (Freitag, 20.30 Uhr, Film­mu­seum, und Sonntag, 11 Uhr, Pina­ko­thek der Moderne) von Sophie Fiennes.

So weit, so gut. Nun sollte ein Festival aber auch eigene Kontur und Beson­der­heit ausprägen, etwa durch Fokus­sie­rung auf aktuelle Themen oder Tendenzen doku­men­ta­ri­scher Arbeit. Dafür zeigt der Festi­val­leiter, der wahllos jede Menge Schub­laden aufzieht, weder Verlangen noch Gespür. In den letzten Jahren hat sich das Spektrum des Doku­men­tar­films noch einmal weit aufge­spannt: zwischen popu­lär­kul­tu­rellen, spek­ta­ku­lären Hoch­glanz­pro­dukten wie »Unsere Ozeane« einer­seits und expe­ri­men­tellen Annähe­rungen an die bildende Kunst ande­rer­seits. Solche Grenz­be­reiche zu erfor­schen, wäre für ein Doku­men­tar­film­fes­tival derzeit eine spannende Aufgabe.

Festi­val­be­su­chern sei ein Abstecher ins Haus der Kunst empfohlen. Dort ist in der »Asche­münder«-Ausstel­lung der Sammlung Goetz eine Reihe aufre­gender Video­in­stal­la­tionen zu besich­tigen. Darunter »Immersion« von Harun Farocki, der zu den wich­tigsten Vertre­tern des essay­is­ti­schen Doku­men­tar­films zählt. Er zeigt die Funktion virtu­eller Bilder von Irakkrieg-Gefechts­szenen im Zuge einer Therapie trau­ma­ti­sierter Soldaten.

Ein Beispiel für besonders unin­spi­rierte Program­mie­rung: Zur Eröffnung wurde ein Film ausge­wählt, der sich als Beitrag zur Atom­ener­gie­de­batte empfehlen mag. Er heißt »Unter Kontrolle«, entstand vor der Kata­strophe in Fukushima, und erweist sich als belang­lose, mit ironi­schen Sugges­tionen unter­füt­terte, impres­sio­nis­ti­sche Tour durch Kern­kraft­werke. In keiner Hinsicht kann ein Film, der sich der Perspek­tive offi­zi­eller Werks­füh­rungen unter­ordnet, der aktuellen Debatte dienlich sein. Jeder Titel aus der inter­na­tio­nalen Reihe wäre ein würdi­gerer Eröff­nungs­film. Und: So verdienst­voll die Hommage an Klaus Wilden­hahn auch sein mag – sie nennt sich »Retro« und zeigt vier Arbeiten aus einem Œuvre von mehr als 40 Filmen: Sie ist ein schwacher Abklatsch der Veran­stal­tungen, die das Leipziger Doku­men­tar­film­fes­tival letztes Jahr dem deutschen cinema-direct-Pionier widmetet.

Eine veritable Neuheit (für München) hat Sponsel zu bieten: die gleich wieder in vier Unter­ka­te­go­rien geglie­derte »Forum«-Reihe von Workshops und Seminaren. Diese Veran­stal­tungen, die auf Film­stu­denten, Macher und Fach­be­su­cher abzielt und Themen wie »3D« und »Essayfilm« behandeln, sollen im kommenden Jahr im HFF-Neubau gebündelt werden. Sie zeigen aber heuer schon jene schu­li­sche Selbst­be­zo­gen­heit, die dem publi­kums­of­fenen Begeg­nungs­cha­rakter eines Festivals entge­gen­läuft. Sollten »Forum«-Workshops nicht auch Themen der gezeigten Filme aufgreifen (Balkan­filme, Wilden­hahn)? So wäre etwas wie Konzept oder Kohärenz zumindest andeu­tungs­weise zu erkennen.