Entschuldigen sie die Verstörung... |
||
Faszinierend eklig, deliriernd surreal: Steven Ellisons KUSO |
Von Anna Edelmann & Thomas Willmann
Unsere Kultur verlernt zusehends, die Verstörung zu schätzen. Wir lieben die schnell hochkochende Empörung; opfern am Altar des Götzen Nostalgie; lassen uns in algorithmische »Wenn Sie X mochten, wird Ihnen auch Y gefallen«-Schleifen lullen. Doch Kunst, die unsere vorgefassten Positionen ins Wanken bringt, dringt grade im Kino kaum noch an eine größere Öffentlichkeit.
Freilich ist auch das Fantasy Filmfest eine Filterblase. Es hat eine traditionalistische Ader; hat Fans, die seit 31 Jahren mit Dauerkarte dabei sind und des Gaudi-Splatters im Stil der 1980er kein bisserl müde. Auch sie gehören bedient.
Wenn das Festival seine Tour durch Deutschland im Münchner Cinemaxx vom 6. bis 16. September eröffnet (und vom 21.9.-1.10. in Nürnberg beschließt) – dann findet man da auch den vierten Teil der Hatchet-Reihe (Victor Corwley) oder die Verfilmung des Amiga-Game-Klassikers It Came From The Desert (seinerseits eine Hommage an alte Monsterfilme).
Und der Eröffnungsfilm ist fraglos eine große Nummer, aber kein Aufbruch ins Unbekannte: IT will Stephen Kings magnum opus von 1986 endlich adäquat auf die Leinwand wuchten. Und wenn er das klug macht, wird er weniger von Coulrophobie getragen sein, als von der bittersüßen Erinnerung an Kindheit in den 1950ern.
Zumindest die Atmosphäre eines anderen Werks von King greift Super Dark Times auf.
Die Konstellation aus vier Freunden, einer Leiche und dem Thema des Heranreifens zu Erwachsenen erinnert doch auffällig an Stand By Me, die Verfilmung von Kings Novelle »Die Leiche« über vier Freunde, die titelgebende Leiche und das sich
ankündigende Erwachsenwerden.
Diese Ähnlichkeiten lassen einen anfangs glauben, man sähe eine ähnlich herzerwärmende Coming of Age Geschichte für eine andere Generation. So spielt Regisseur Kevin Phillips Spielfilmdebut in den 90er Jahren. Dem Jahrzehnt also, in dem die aktuelle Riege junger Filmemacher ihre Kindheit durch- und erlebt hat.
An verklärter Nostalgie zeigt Phillips allerdings kaum Interesse.
Doch ist der Filmtitel kein Hinweis auf eine Abrechnung mit der
Ära seiner Jugend. Die düsteren Zeiten brechen hier mit dem Ende der kindlichen Unschuld über die Clique herein.
Wuchsen die Kinder in Stand By Me an dem, womit die Welt sie konfrontierte, kämpfen die jungen Männer in Super Dark Times mit den Abgründen der Psyche, die sie in sich selbst entdecken.
Doch bei all diesem Rückblickenden verstärkt sich das Gefühl eines Generationswechsels, einer Zeitenwende für den Genre-Film wie für das Fantasy Filmfest. Jetzt, da mit Wes Craven, George A. Romero und Tobe Hooper das Dreigestirn im Jenseits vereint ist, dessen Tabubrüche die US-Horror-Revolution der 1970er auslösten.
Einerseits ist der Ideenaustausch internationaler denn je – Beiträge kommen diesmal u.a. aus Island, Israel, Polen und sogar Deutschland. Andererseits übt das Genre-Kino auch in den USA wieder einen Reiz aus auf junge Independent-FilmemacherInnen, die es als Experimentierfeld sehen für verquere Ideen, ungewohnte Ästhetiken. Die Monsterfilme zur Allegorie auf Alkoholismus machen (Nacho Vigalondos Colossal mit Anne Hathaway), oder Postapokalypse zur klaustrophobischen Trauerarbeit (It Comes at Night).
Trey Edward Shults nutzt wie schon in seinem ersten Spielfilm Krisha das Horrorgenre zur persönlichen Auseinandersetzung mit dem, was Menschsein ausmacht.
So ist eine nur vage beschriebene Seuche, die eine Familie in einem Waldhaus von der erkrankten Außenwelt isoliert, lediglich der Anlass des Horrors in It Comes at Night, nicht dessen Ursprung. Als die
Familie sich dazu durchringt, mit einer anderen Familie den Schutz zu teilen, den das verbarrikadierte Haus bieten kann, ist es diese Entscheidung für den aufrichtigen Versuch eines Miteinanders von Fremden und die daraus resultierenden Komplikationen, aus der sich die dringlichere Bedrohung entwickelt.
Shults verzichtet darauf, durch überzogene Plot Twists oder überzeichnete Charaktere das Schicksal der Familien zu lenken. Nur ein paar seltene Schockmomente erinnern
daran, dass man hier einen Zombiefilm sieht.
Vielmehr liegt das Augenmerk des Films auf der betonten Normalität seiner Protagonisten und ihrem Umgang miteinander. Keiner ist in seinem Leben vor der Katastrophe einem Job nachgegangen oder hat ein Hobby ausgeübt, dass ihn auf diese Extremsituation vorbereitet hätte. Die Mitglieder beider Familien bemühen sich eben so gut es irgend geht, ihre aus der Not entstandene Gemeinschaft zum Wohl aller zu organisieren.
Letztendlich
aber messen alle die anderen an dem, was sie sich selbst zutrauen, um ihre Liebsten und ihr eigenes Leben zu schützen. Es ist diese Angst vor dem, wozu sie sich selbst fähig glauben, die sie den Mitmenschen gegenüber misstrauisch werden lässt und die (hier als Miniatur abgebildete) Gesellschaft überstrapaziert, ohne dass jemandem die offensichtliche Schuld zugewiesen werden kann.
It Comes
at Night thematisiert die Scheu vor dem, vor den Fremden, macht aber nicht den Fehler, diese durch heimtückische Absichten oder Hintergedanken seiner Charaktere zu rechtfertigen.
Es findet sich eigentlich nur ein wirklich großer Altvertrauter im Programm: Takashi Miike – mit seinem 100. Film! (Der Samurai-Manga-Verfilmung Blade Of The Immortal.) Grade Miike aber ist einer der unberechenbarsten Filmemacher überhaupt geblieben. Und sein Stresstest-Klassiker Audition (zu sehen in einem Tribute-Double Feature) ist wegweisend dafür, wie Horror richtig fies bleiben kann, wenn explizite Gewaltdarstellung ausgereizt scheint.
Wenn das Horrorkino wieder wahre, tiefe Verstörung sucht statt wohligem Schock, dann auch deshalb: Dies Genre, das leider immer auch wieder geprägt wurde durch die Angst und Aggression junger Männer gegenüber Frauenkörpern, wird erobert von Filmemacherinnen.
Ein halbes Dutzend Regisseurinnen sind heuer vertreten. Besonders gespannt darf man sein auf zwei Cannes-Teilnehmerinnen: Mouly Suryas indonesischer Rache-Western Marlina the Murderer in Four Acts. Und Julia Ducournaus sinnliches, preisgekröntes Kannibalismus-Drama RAW, das in Toronto angeblich zu Notarzteinsätzen führte.
In Sundance hingegen soll KUSO die Leute reihenweise aus dem Saal getrieben haben: Das Regiedebut von Steven Ellison, den wir als Musiker »Flying Lotus« sehr für seine psychedelischen, elektronisch-jazzigen Hakenschläge schätzen. US-Berichte und Trailer versprechen hier aber etwas, das so faszinierend eklig, deliriernd surreal wird wie letztes Jahr Jim Hoskings unfassbarer The Greasy Strangler.
Was das Fantasy Filmfest vollends als eine Oase etablieren könnte für jenes wahrhaft transgressive Kino im Geiste John Waters', David Lynchs, das neben Wellness-Arthouse und pseudo-politischer Filmfestival-Betroffenheit kaum noch Platz findet.