07.09.2017

Entschul­digen sie die Vers­tö­rung...

Steven Ellisons KUSO
Faszinierend eklig, deliriernd surreal: Steven Ellisons KUSO

Edelmann und Willmann stimmen auf das Fantasy Filmfest 2017 ein

Von Anna Edelmann & Thomas Willmann

Unsere Kultur verlernt zusehends, die Vers­tö­rung zu schätzen. Wir lieben die schnell hoch­ko­chende Empörung; opfern am Altar des Götzen Nostalgie; lassen uns in algo­rith­mi­sche »Wenn Sie X mochten, wird Ihnen auch Y gefallen«-Schleifen lullen. Doch Kunst, die unsere vorge­fassten Posi­tionen ins Wanken bringt, dringt grade im Kino kaum noch an eine größere Öffent­lich­keit.

Freilich ist auch das Fantasy Filmfest eine Filter­blase. Es hat eine tradi­tio­na­lis­ti­sche Ader; hat Fans, die seit 31 Jahren mit Dauer­karte dabei sind und des Gaudi-Splatters im Stil der 1980er kein bisserl müde. Auch sie gehören bedient.

Wenn das Festival seine Tour durch Deutsch­land im Münchner Cinemaxx vom 6. bis 16. September eröffnet (und vom 21.9.-1.10. in Nürnberg beschließt) – dann findet man da auch den vierten Teil der Hatchet-Reihe (Victor Corwley) oder die Verfil­mung des Amiga-Game-Klas­si­kers It Came From The Desert (seiner­seits eine Hommage an alte Mons­ter­filme).

Und der Eröff­nungs­film ist fraglos eine große Nummer, aber kein Aufbruch ins Unbe­kannte: IT will Stephen Kings magnum opus von 1986 endlich adäquat auf die Leinwand wuchten. Und wenn er das klug macht, wird er weniger von Coul­ro­phobie getragen sein, als von der bitter­süßen Erin­ne­rung an Kindheit in den 1950ern.

Zumindest die Atmo­s­phäre eines anderen Werks von King greift Super Dark Times auf.
Die Konstel­la­tion aus vier Freunden, einer Leiche und dem Thema des Heran­rei­fens zu Erwach­senen erinnert doch auffällig an Stand By Me, die Verfil­mung von Kings Novelle »Die Leiche« über vier Freunde, die titel­ge­bende Leiche und das sich ankün­di­gende Erwach­sen­werden.
Diese Ähnlich­keiten lassen einen anfangs glauben, man sähe eine ähnlich herz­er­wär­mende Coming of Age Geschichte für eine andere Gene­ra­tion. So spielt Regisseur Kevin Phillips Spiel­film­debut in den 90er Jahren. Dem Jahrzehnt also, in dem die aktuelle Riege junger Filme­ma­cher ihre Kindheit durch- und erlebt hat.
An verklärter Nostalgie zeigt Phillips aller­dings kaum Interesse.
Doch ist der Filmtitel kein Hinweis auf eine Abrech­nung mit der Ära seiner Jugend. Die düsteren Zeiten brechen hier mit dem Ende der kind­li­chen Unschuld über die Clique herein.
Wuchsen die Kinder in Stand By Me an dem, womit die Welt sie konfron­tierte, kämpfen die jungen Männer in Super Dark Times mit den Abgründen der Psyche, die sie in sich selbst entdecken.

Doch bei all diesem Rück­bli­ckenden verstärkt sich das Gefühl eines Gene­ra­ti­ons­wech­sels, einer Zeiten­wende für den Genre-Film wie für das Fantasy Filmfest. Jetzt, da mit Wes Craven, George A. Romero und Tobe Hooper das Drei­ge­stirn im Jenseits vereint ist, dessen Tabu­brüche die US-Horror-Revo­lu­tion der 1970er auslösten.

Einer­seits ist der Ideen­aus­tausch inter­na­tio­naler denn je – Beiträge kommen diesmal u.a. aus Island, Israel, Polen und sogar Deutsch­land. Ande­rer­seits übt das Genre-Kino auch in den USA wieder einen Reiz aus auf junge Inde­pen­dent-Filme­ma­cherInnen, die es als Expe­ri­men­tier­feld sehen für verquere Ideen, unge­wohnte Ästhe­tiken. Die Mons­ter­filme zur Allegorie auf Alko­ho­lismus machen (Nacho Viga­londos Colossal mit Anne Hathaway), oder Posta­po­ka­lypse zur klaus­tro­pho­bi­schen Trau­er­ar­beit (It Comes at Night).

Trey Edward Shults nutzt wie schon in seinem ersten Spielfilm Krisha das Horror­genre zur persön­li­chen Ausein­an­der­set­zung mit dem, was Mensch­sein ausmacht.
So ist eine nur vage beschrie­bene Seuche, die eine Familie in einem Waldhaus von der erkrankten Außenwelt isoliert, lediglich der Anlass des Horrors in It Comes at Night, nicht dessen Ursprung. Als die Familie sich dazu durch­ringt, mit einer anderen Familie den Schutz zu teilen, den das verbar­ri­ka­dierte Haus bieten kann, ist es diese Entschei­dung für den aufrich­tigen Versuch eines Mitein­an­ders von Fremden und die daraus resul­tie­renden Kompli­ka­tionen, aus der sich die dring­li­chere Bedrohung entwi­ckelt.
Shults verzichtet darauf, durch über­zo­gene Plot Twists oder über­zeich­nete Charak­tere das Schicksal der Familien zu lenken. Nur ein paar seltene Schock­mo­mente erinnern daran, dass man hier einen Zombie­film sieht.
Vielmehr liegt das Augenmerk des Films auf der betonten Norma­lität seiner Prot­ago­nisten und ihrem Umgang mitein­ander. Keiner ist in seinem Leben vor der Kata­strophe einem Job nach­ge­gangen oder hat ein Hobby ausgeübt, dass ihn auf diese Extrem­si­tua­tion vorbe­reitet hätte. Die Mitglieder beider Familien bemühen sich eben so gut es irgend geht, ihre aus der Not entstan­dene Gemein­schaft zum Wohl aller zu orga­ni­sieren.
Letzt­end­lich aber messen alle die anderen an dem, was sie sich selbst zutrauen, um ihre Liebsten und ihr eigenes Leben zu schützen. Es ist diese Angst vor dem, wozu sie sich selbst fähig glauben, die sie den Mitmen­schen gegenüber miss­trau­isch werden lässt und die (hier als Miniatur abge­bil­dete) Gesell­schaft über­stra­pa­ziert, ohne dass jemandem die offen­sicht­liche Schuld zuge­wiesen werden kann.
It Comes at Night thema­ti­siert die Scheu vor dem, vor den Fremden, macht aber nicht den Fehler, diese durch heim­tü­cki­sche Absichten oder Hinter­ge­danken seiner Charak­tere zu recht­fer­tigen.

Es findet sich eigent­lich nur ein wirklich großer Altver­trauter im Programm: Takashi Miike – mit seinem 100. Film! (Der Samurai-Manga-Verfil­mung Blade Of The Immortal.) Grade Miike aber ist einer der unbe­re­chen­barsten Filme­ma­cher überhaupt geblieben. Und sein Stress­test-Klassiker Audition (zu sehen in einem Tribute-Double Feature) ist wegwei­send dafür, wie Horror richtig fies bleiben kann, wenn explizite Gewalt­dar­stel­lung ausge­reizt scheint.

Wenn das Horror­kino wieder wahre, tiefe Vers­tö­rung sucht statt wohligem Schock, dann auch deshalb: Dies Genre, das leider immer auch wieder geprägt wurde durch die Angst und Aggres­sion junger Männer gegenüber Frau­en­kör­pern, wird erobert von Filme­ma­che­rinnen.

Ein halbes Dutzend Regis­seu­rinnen sind heuer vertreten. Besonders gespannt darf man sein auf zwei Cannes-Teil­neh­me­rinnen: Mouly Suryas indo­ne­si­scher Rache-Western Marlina the Murderer in Four Acts. Und Julia Ducournaus sinn­li­ches, preis­ge­kröntes Kanni­ba­lismus-Drama RAW, das in Toronto angeblich zu Notarz­tein­sätzen führte.

In Sundance hingegen soll KUSO die Leute reihen­weise aus dem Saal getrieben haben: Das Regie­debut von Steven Ellison, den wir als Musiker »Flying Lotus« sehr für seine psyche­de­li­schen, elek­tro­nisch-jazzigen Haken­schläge schätzen. US-Berichte und Trailer verspre­chen hier aber etwas, das so faszi­nie­rend eklig, deli­ri­ernd surreal wird wie letztes Jahr Jim Hoskings unfass­barer The Greasy Strangler.

Was das Fantasy Filmfest vollends als eine Oase etablieren könnte für jenes wahrhaft trans­gres­sive Kino im Geiste John Waters', David Lynchs, das neben Wellness-Arthouse und pseudo-poli­ti­scher Film­fes­tival-Betrof­fen­heit kaum noch Platz findet.